Erstmals mit DoppelspitzeWie sich die Wissenschaft im Loki-Schmidt-Garten neu aufstellen will
1. September 2023, von Claudia Sewig
Foto: UHH/Esfandiari
Vielen Besucherinnen und Besuchern ist es vielleicht nicht bewusst, aber bereits in ihrem Gründungsjahr 1919 übernahm die Universität Hamburg die Leitung des Alten Botanischen Gartens am Dammtor. Auch der „neue“ Botanische Garten in Klein Flottbek, der Loki-Schmidt-Garten, gehört seit 1979 zu ihr. Mit Direktor Prof. Dr. Dominik Begerow und der wissenschaftlichen Leiterin Dr. Thea Lautenschläger gibt es jetzt erstmals eine wissenschaftliche Doppelspitze, die neue Akzente setzen möchte.
Botanische Gärten werden in Deutschland – zumindest in der Öffentlichkeit – nicht so sehr mit Wissenschaft in Verbindung gebracht wie im Ausland: „Wenn man etwa von Kew Gardens in Großbritannien spricht, weiß jeder, der sich ein wenig dafür interessiert, dass dort auch geforscht wird. Botanische Gärten in Deutschland hingegen wurden in den vergangenen 50 Jahren eher als ein Anhängsel der Wissenschaft gesehen, deren fundamentale Bedeutung für die großen Herausforderungen unserer Zeit – natürlich explizit im Hinblick auf die Herausforderungen des Klimawandels – jetzt erst wieder stark in den Fokus zu rücken beginnt. Deshalb ist unser Anliegen, die Bedeutung der Universitätsgärten für Forschung und Gesellschaft wieder mehr sichtbar werden zu lassen“, sagt Prof. Dr. Dominik Begerow. Ende Juni hielt er seine Antrittsvorlesung am Institut für Pflanzenwissenschaften und Mikrobiologie (IPM), nachdem er bereits im August 2022 das Amt als Direktor des Loki-Schmidt-Gartens übernommen hatte.
Das IPM liegt in Klein Flottbek unmittelbar neben dem Botanischen Garten, in dem Dr. Thea Lautenschläger am 1. November 2022 die Wissenschaftliche Leitung übernommen hat – doch erst ab dem 1. September 2023 wird sie hier vollständig aktiv sein. Vorher leitete sie parallel noch eine Arbeitsgruppe an der Professur für Botanik an der TU Dresden. „Als Wissenschaftlerin ist man doch oft relativ einsam und bekommt eher selten Feedback für seine Arbeit. Das ist im Botanischen Garten nun komplett anders, wo es einen permanenten Austausch auch mit den Gärtnerinnen und Gärtnern vor Ort gibt und die Ergebnisse von wissenschaftlichen Projekten durch unmittelbare Umsetzung direkt sichtbar werden“, fasst Lautenschläger einen der großen Unterschiede zwischen ihrer bisherigen Tätigkeit und ihrem jetzigen Aufgabengebiet zusammen.
Projekt mit tropischen Nutzpflanzen
Eines der wissenschaftlichen Themen, welches Lautenschläger von der TU Dresden mit nach Hamburg bringt, ist ein Projekt mit tropischen Nutzpflanzen in Angola. In dem zentralafrikanischen Land ist die Botanikerin seit 2012 aktiv. In Zusammenarbeit und enger Kooperation mit der Hochschule Kimpa Vita in Uíge soll dort ein Botanischer Garten angelegt werden. „Der Fokus liegt dort auf Medizinalpflanzen“, sagt Lautenschläger. Sie startete deshalb ethnobotanische Studien und fuhr mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von Dorf zu Dorf, um das traditionelle Wissen über Pflanzen zu sammeln. Fast nebenbei stieß die Forschergruppe dabei auch auf neue Arten, die sie erstmals beschreiben konnten. Schnell wurde vor Ort klar, dass ein Fokus des Projektes auch auf dem Erhalt der Arten liegen muss, so Lautenschläger: „Durch Baumeinschlag und Habitatsverlust sind viele der Pflanzen bedroht. Daher wurde zusätzlich und gemeinsam mit dem Umweltministerium in Angola begonnen, in den letzten verbliebenen Regenwäldern einen Nationalpark zu etablieren.“ So werden die Pflanzen nicht nur im neu entstehenden Botanischen Garten kultiviert, sondern vor allem auch in ihrem ursprünglichen Lebensraum geschützt und bewahrt.
Auch hierzulande haben es einige Pflanzen immer schwerer, andere breiten sich dafür stärker aus – als Folge des Klimawandels. Für Dominik Begerow ist dieser daher auch, mit vielen verschiedenen Aspekten, eines der großen Themen der kommenden Jahre. „Im Zusammenhang mit dem Klimawandel wird man Vorbehalte gegenüber invasiven Arten über Bord werfen müssen, um Arten herzubekommen, die hier besser angepasst sind und langfristig kultiviert werden können“, sagt der Botaniker voraus. Dabei ist der Botanische Garten ganz praktisch bereits jetzt permanent mit den Herausforderungen des Klimawandels konfrontiert und muss darauf reagieren – beispielsweise beim Wassermanagement. „Beim Wassermanagement sind wir sehr weit vorne. Statt alter Sprinkleranlagen, deren Wasser großenteils einfach verdunstet, setzen wir inzwischen fast ausschließlich moderne Beregnungsanlagen ein, um diese kostbare Ressource bestmöglich zu schützen. Dazu können wir Leute auch beraten“, sagt der Direktor des Loki-Schmidt-Gartens.
Lehre und Forschung enger verknüpfen
Naturnahe Bepflanzung, also praktische Ökologie im Sinne von Unterstützung der Biodiversität durch insektenfreundliche Bepflanzung, sei ein anderes Thema. Begerow: „Mit der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) in Hamburg haben wir gerade ein Wildblumenwiesenprojekt gestartet, welches auch für andere extensive Flächen der Stadt interessant sein könnte. Anders als die klassischen Rasenflächen wird diese naturnahe Wiese viel seltener und bei jeder Mahd auch nur teilweise abgemäht, wie ein Mosaik, damit den Insekten ganzjährig Pflanzen und Habitate zur Verfügung stehen. Kolleginnen und Kollegen aus der Botanik werden dann im Rahmen ihrer botanischen Kurse die Pflanzen, deren Wachstum und Verteilung kartieren. Und aus der Zoologie heraus werden die Insektenarten bestimmt.“ Das Projekt ist auch ein gutes Beispiel für das Bestreben des Gartens, Lehre und Forschung noch viel enger miteinander zu verknüpfen.
Auch bei der Kultivierung von gefährdeten Pflanzen steht der Loki-Schmidt-Garten im Austausch mit der BUKEA, etwa über die Schachbrettblume. Im Hamburger Umland ist eine Vielzahl der heimischen Pflanzen vom Aussterben bedroht, hier kann der Garten zukünftig eine entscheidende Rolle zum Erhalt der Arten spielen, etwa durch gezielte Erhaltungskulturen.
Offene Türen, kein Eintritt
Die große Vielfalt an Pflanzen auf dem Freigelände des Botanischen Gartens und vor allem auch in den Sammlungsgewächshäusern ist aber auch eine gärtnerische Herausforderung, darin sind sich Dominik Begerow und Thea Lautenschläger einig. Letztlich hänge die Qualität einer Sammlung eben nicht nur von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ab, die sie aufbauen, sondern in ganz erheblichem Maß von der Erfahrung und dem Können der Gärtnerinnen und Gärtner, um sie langfristig zu sichern und nutzbar machen zu können. Die Arbeit Letzterer werde oft nicht gesehen. Viele von ihnen hätten einen hohen wissenschaftlichen Anspruch, und die neue wissenschaftliche Doppelspitze hofft, diese wertvolle Ressource an Wissen und Erfahrung zukünftig noch viel besser mit einbinden und nutzen zu können.
Jenseits der wissenschaftlichen Aspekte betonen beide aber auch, dass eine wichtige Aufgabe von Botanischen Gärten immer auch die Erholungsmöglichkeit für Besucherinnen und Besucher bleiben wird. Lautenschläger: „Offene Türen für jedermann, ohne Eintritt, wollen wir unbedingt beibehalten, um weiterhin ein Angebot für wirklich alle Bürgerinnen und Bürger bereitzustellen und die hier behandelten Themen wie Biodiversität, Nachhaltigkeit, Flächennutzung, Ökologie und Klimaschutz in die breite Öffentlichkeit vermitteln zu können.“ Das Angebot zur Bildung in diesem Bereich soll perspektivisch noch viel umfangreicher werden, damit beispielsweise über Führungen und andere Bildungsformate ein intensiver Dialog und Austausch mit der Bevölkerung entsteht.