Interview mit Alumnus und Moderator Peter Urban„Hamburg war der beste Kompromiss zwischen England und Münster“
9. Mai 2023, von Niklas Keller
Radiomoderator, TV-Kommentator und Alumnus der Uni Hamburg: Peter Urban studierte in den 60er- und 70er-Jahren Anglistik, Soziologie und Geschichte. Später promovierte er zu angloamerikanischer Populärmusik. Am 13. Mai kommentiert er den Eurovision Song Contest nach 25 Jahren zum letzten Mal – im Interview erzählt er über Uni-Architektur, ABBA und Picknick-Ausflüge nach Mölln.
Herr Urban, Sie schreiben in Ihrem Buch „On Air": „Ich sitze im Schatten des Phil-Turms am Von-Melle-Park auf der Randmauer des trüben Teichs, den sich ein bemühter Landschaftsarchitekt ausgedacht hat, um die Steinwüste des Unigeländes von Hamburg aufzulockern." Haben Sie auch schöne Erinnerungen an Ihr Studium an der Uni Hamburg?
Vom Ambiente her war das Unigelände damals keine Perle, obwohl am Campus Von-Melle-Park natürlich das schöne alte Hauptgebäude steht. Aber ich habe trotzdem tolle Erinnerungen an meine Studienzeit – besonders an die Menschen, die ich kennengelernt habe. Im englischen Seminar hatten meine Mitstudierenden und ich einen hervorragenden Draht zu unserem Professor. Er war sehr kommunikativ, sodass wir nach den Seminaren häufig noch in die Kneipe oder zum Italiener gegangen sind.
Zum Feiern oder um die Erkenntnisse aus den Seminaren zu vertiefen?
Wir haben unsere Erfahrungen mit der englischen Kultur und Sprache ausgetauscht. Das war eine tolle Ergänzung zu unseren Seminaren. Einmal im Jahr hat unser Professor uns Studierende zu einem Ausflug an den Möllner Schulsee eingeladen. Dort haben wir dann mit 40 bis 50 Leuten gepicknickt. Meinen Geschichtsprofessor habe ich sogar mal in Oxford besucht, weil er dort während eines Forschungssemesters arbeitete. Ich war neugierig und mochte seine Vorlesungen.
Warum haben Sie sich nicht für England, sondern für Hamburg entschieden?
Ich bin für das Studium nach Hamburg gezogen, weil sie damals die englischste der deutschen Städte war. Viele Plattenlabels hatten hier ihren Sitz. Meine Eltern wollten mich in das katholische Münster schicken, mein Traum war ein Leben in England. Hamburg war für mich der beste Kompromiss. Und der Stadt bin ich bis heute treu geblieben.
Sie haben an der Uni Hamburg Anglistik, Soziologie und Geschichte studiert – warum nicht Musik?
Für ein klassisches Musikstudium musste man damals mindestens ein Instrument perfekt spielen. Ich hatte nur zwei Jahre Klavierunterricht und habe mir den Rest selbst angeeignet. Das reichte nicht. Und Musiktheorie war auch nichts für mich. Es waren die sechziger Jahre – die Musik, die mich interessiert hat, wurde damals nicht behandelt.
Deshalb habe ich mir gedacht: Ich studiere das, was mich interessiert. Und das war die englische Sprache und Kultur. Zu der Zeit habe ich meinem Hobby gefrönt – bin häufig nach England gereist und habe mir Konzerte angeschaut. Irgendwann habe ich dazu Artikel geschrieben: in der ZEIT und der Musikzeitschrift Sounds, später für den NDR.
Sie haben sogar 1977 zu angloamerikanischer Populärmusik promoviert. Wie ist es dazu gekommen?
Wir hatten ein Seminar über Modern Poetry. Im Lehrbuch waren auch Gedichte von zwei Liverpooler Dichtern abgedruckt. Das war eine progressive Beat-Poesie-Gruppe rund um den Lyriker Roger McGough. Daraus habe ich meine Hauptseminararbeit gemacht. Und mein Professor fragte, ob ich daraus nicht eine Examensarbeit entwickeln möchte. Daraufhin nahm ich mir die Songs von Ray Davies von der Rockgruppe „The Kinks“ vor, dessen Texte die Nöte, Freuden und Schmerzen der britischen Unter- und Mittelschicht behandelten.
Und daraus wurde meine Doktorarbeit, in der ich mich allgemein mit angloamerikanischen Texten von Populärmusik beschäftigt habe. Darauf wäre mein Professor nie gekommen, er kannte sich eher mit Shakespeare und mit metaphysischer Dichtung aus. Aber er hat mich machen lassen. Und das war toll!
Konnten Sie als Kommentator des Eurovision Song Contest schon mal was aus Ihrem Studium anwenden?
Promoviert habe ich mit Ende 20 und den ESC kommentiere ich, seit ich 49 bin. Mein Studium war da also schon ganz schön lange her. Allerdings hilft es mir schon bei meiner Arbeit – ob beim ESC oder als Musikjournalist. Beim ESC kann ich mich mit anderen Kommentatorinnen und Kommentatoren über den Wettbewerb austauschen. Und englische Künstlerinnen und Künstlern können mir Dinge erklären, die andere deutsche Journalistinnen und Journalisten vielleicht nicht verstehen würden.
Wenn aber beim ESC mal eine Assoziation zu Alice im Wunderland käme, könnte ich sagen: Das habe ich im Studium gelernt!
Haben Sie während Ihres Studiums schon den ESC verfolgt?
Als Schüler war ich begeistert von France Galls Sieg mit „Poupeé de cire, poupée de son“ im Jahr 1965. Aber während meiner Studienzeit hat der ESC eine kleinere Rolle gespielt. Währenddessen war ich mit englischer und amerikanischer Musik beschäftigt. Ich war auf vielen Konzerten und habe selber Musik gespielt.
Die Leidenschaft für den bekanntesten europäischen Musikwettbewerb hat Sie also erst später gepackt?
Genau. Der ESC war damals noch sehr traditionell: Kaum Pop, eher Chanson. Später hat ABBA den Wettbewerb mit luftigem Pop neu aufgeladen. Seitdem sind dort alle möglichen Musikgenres vertreten. Ich bin da barrierefrei. Wenn ich etwas Gutes höre, dann finde ich das gut. Egal aus welcher Ecke oder Schublade die Musik kommt.
Wären Sie als Musiker gern selbst mal beim ESC aufgetreten?
Das war nie mein Ding. Bei meinen früheren Auftritten war ich immer Pianist oder Orgelspieler. Hin und wieder habe ich die Ansagen gemacht – weil das meine Bandkollegen nicht machen mochten. Aber ich wollte nie im Mittelpunkt stehen.
Am 13. Mai kommentieren Sie das TV-Spektakel zum letzten Mal. Aber mal angenommen: die diesjährigen Interpreten aus Deutschland, „Lord of the Lost”, gewinnen und der ESC 2024 findet in Hamburg statt. Überlegen Sie es sich dann nochmal mit dem Abschied?
Ein ESC in Hamburg wäre schön! Ich sag mal so: Ich hätte nichts dagegen, in einem solchen Rahmen nochmal mit dabei zu sein.