Abschluss und dann? UHH-Alumni und ihre Wege in den Beruf
11. April 2023, von Marie Schlicht/Anna Priebe
Foto: Studioline, BGW 2022, Miguel Ferraz, privat, FH Potsdam/Andrea Hansen
Jährlich machen Tausende Studierende hier ihren Abschluss. Hinzu kommen hunderte Promotionen. Die folgenden beruflichen Wege sind bunt und vielfältig. In dieser Reihe erzählen Alumni aus verschiedenen Fakultäten, was sie von der Uni Hamburg mitgenommen haben und wozu sie Studierenden raten. Dieses Mal berichten fünf Alumni der Fakultät für Erziehungswissenschaft.
EW-Alumni
Gloria Boateng
- An der Uni: Lehramt der Primar- und Sekundarstufe I (2002–2011)
- Heute: u. a. Lehrerin, Moderatorin, Autorin und Vorstandsvorsitzende des Bildungsfördervereins „SchlauFox e.V.“ für sozioökonomisch benachteiligte Kinder und Jugendliche
Nach der Uni wusste ich erst nicht, wie es weitergehen soll. Ich habe zunächst zwei Jahre promoviert, das Projekt dann aber abgebrochen, weil ich merkte, dass mir die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen fehlt und ich nicht in die Forschung möchte. Also habe ich mein Referendariat und das 2. Staatsexamen nachgeholt. Viel Studium steckt zwar inzwischen nicht mehr in meinen Job, aber das Wenige hat einen sehr wichtigen Anteil – nämlich die Fähigkeit zur Reflexion und Selbstreflexion. Denn in meinem Beruf als Lehrerin ist bis heute die größte Herausforderung, mit den Strukturen des Schulsystems zurechtzukommen.
Es war wirklich ein enorm großer Lernprozess, die eigenen Ansprüche herunterzuschrauben, da ich ihnen unter den realschulischen Bedingungen nie gerecht werden konnte. Das hat mich lange sehr frustriert. Ich würde generell sagen, dass ein großer Teil von dem, was mensch zum erfolgreichen Arbeiten als Lehrkraft braucht, nicht im Studium erlernt wird bzw. erlernt werden kann. Im Berufsleben muss mensch sich in vielen Situationen anders beweisen und es helfen viel eher die eigene Persönlichkeit, der Einsatz und das Engagement. Den Studierenden würde ich daher raten: Nehmt das Studium nicht zu ernst, doch ernst genug, um einen guten Abschluss zu machen. Und bringt in der Praxis vor allem eure ganze Persönlichkeit ein. Und da schließt sich der Kreis, denn auch das Studium kann ein guter Booster für die Persönlichkeitsentwicklung sein.
Dr. Meike Nieß
- An der Uni: Studium Sonderschullehramt (2003–2008), Promotion (2010–2015)
- Heute: Referentin der Berliner Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen
Mein beruflicher Lebenslauf ist nicht so gerade, wie man es sich zu Beginn eines Studiums vielleicht vorstellt: Nach dem Staatsexamen habe ich ein halbes Jahr in Finnland unterrichtet und einen einjährigen Master „Disability Studies“ in Großbritannien gemacht. Bevor ich Referentin geworden bin, war ich zunächst als Erzieherin in der Behindertenhilfe tätig und dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin. Ich wusste zwar, womit ich mich inhaltlich beschäftigen möchte, aber nicht ganz genau, im Rahmen welcher Berufsbilder und Tätigkeiten dies möglich ist und wie der Einstieg gelingt.
Ich habe sehr viele Stellenanzeigen gelesen und mich oft beworben. Ein Coaching des Career Center der Uni Hamburg hat mir sehr dabei geholfen, meine Ziele zu formulieren und zu verfolgen. Heute schreibe ich viel – sowohl Stellungnahmen zu Gesetzen, als auch Reden und Wortbeiträge für die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen. Dabei profitiere ich von meinem behindertenpädagogischen Fachwissen und greife auf diese Inhalte zurück. Zudem hilft es mir, dass ich wissenschaftliche Publikationen lesen und die Ergebnisse für politische Positionierungen nutzen kann. Bei mir hat sich rückblickend trotz vieler – auch existenzieller – Sorgen alles gefügt und ich habe den Job gefunden, den ich mir inhaltlich immer gewünscht habe. Ich kann daher nur empfehlen, das zu studieren, wofür Interesse besteht, nicht aufzugeben und auch Umwege in Kauf zu nehmen.
Marco Helms
- An der Uni: Studium der Erziehungswissenschaft (Schwerpunkt Erwachsenenbildung) mit den Nebenfächern Psychologie und Soziologie (1991 –1998)
- Heute: Abteilungsleiter im Präventionsbereich der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege (BGW)
Wie groß die Bandbreite der pädagogischen Arbeitsfelder ist, habe ich schon eine ganze Weile vor meinem Diplom erkannt. Ich hatte viele Praxisanteile im Studium und konnte so parallel zur Uni Arbeitserfahrungen in der internationalen Jugendarbeit und Suchtberatung sammeln. Dadurch fühlte ich mich gut auf die Arbeitswelt vorbereitet. Genau das würde ich auch Studierenden raten: Setzt euch frühzeitig mit den Berufsfeldern auseinander, die für euch infrage kommen, und lernt sie durch eigene praktische Erfahrungen kennen.
Nach dem Diplom war ich zunächst als Pädagoge in einem psychiatrischen Krankhaus der Evangelischen Stiftung Alsterdorf tätig. Danach habe ich eine Weiterbildung absolviert, da mir klargeworden ist, dass ich gerne in der Personal- und Organisationsentwicklung arbeiten möchte. Das mache ich nun schon seit vielen Jahren bei der BGW. In großen Organisationen sind die Strukturen manchmal relativ unflexibel und Entscheidungen benötigen viel Zeit. Die dafür notwendige Geduld und Ausdauer aufzubringen, war eine Herausforderung – und solche Kompetenzen lernt man erst richtig im Job. Worauf mich mein Studium dagegen sehr gut vorbereitet hat: Dass sich in einer Organisation die verschiedenen Arbeitsbereiche stetig weiterentwickeln, zum Beispiel im Zuge der Digitalisierung oder neuer Arbeitsformen.
Prof. Dr. Tanja Salem
- An der Uni: Erziehungswissenschaft auf Diplom mit den Nebenfächern Soziologie und Psychologie (2002–2009)
- Heute: Professorin für Theorie und Praxis der Kindheitspädagogik an der Fachhochschule Potsdam
Was will ich wirklich machen? Wo könnte ich gut arbeiten? Diese Fragen haben auch mich während meines Studiums beschäftigt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Studierende aus nicht-akademischen Familien häufig vor Hürden stehen, wenn es ums Studieren allgemein, aber auch um die Orientierung und Teilhabe im Wissenschaftssystem geht. Glücklicherweise gibt es vermehrt Initiativen, Beratung und Stipendien und ich kann nur jede und jeden bestärken, sich im Wissenschaftsbetrieb umzuschauen.
Ich habe während des Studiums in unterschiedlichen pädagogischen Feldern und als studentische Hilfskraft gearbeitet. Das hat mir geholfen, mich beruflich zu orientieren. Dass ich einmal Professorin werden würde, war dabei nicht mein Denkhorizont, aber im Studium habe ich ein Verständnis dafür gewonnen, wie wichtig Theorien und Forschung für die praktische pädagogische Arbeit sind. Heute als Professorin geht es mir nicht nur darum, dass sich Studierende theoretisches Wissen über (früh-)kindliche Bildung in der Migrationsgesellschaft aneignen, um die pädagogische Praxis in ihrer beruflichen Zukunft wissenschaftlich fundiert und begründet gestalten zu können. Sie sollen vielmehr Wissen und Praxis kritisch hinterfragen und weiterentwickeln können. Besonders wichtig ist mir dabei, dazu beizutragen, dass Studierende die Bildungsvoraussetzungen von jungen Menschen anerkennen, sie als Ausgangspunkt ihrer pädagogischen Arbeit nehmen und sich auch für sie und ihre Familien einsetzen.
Ann-Kathrin Gomolzig
- An der Uni: Bachelor Erziehungs- und Bildungswissenschaft mit dem Nebenfach Gebärdensprache (2015–2019), Master Erziehungs- und Bildungswissenschaft (2019–2022)
- Heute: Sozialpädagogin bei „Jungenarbeit Hamburg e.V.“
Als Sozialpädagogin leite ich Erstorientierungskurse für Geflüchtete, die in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Hamburg stattfinden. Die Teilnehmenden erlernen hier die deutsche Sprache, aber auch, sich in ihrer neuen Umgebung orientieren zu können. Dieser Bereich fällt vielleicht nicht in die klassische Erziehungswissenschaft, aber ich kann sehr viel von dem, was ich im Studium gelernt habe, in der Praxis anwenden. Mein Nebenfach Gebärdensprache ist zum Beispiel eine große Bereicherung, um in meinen Kursen vielfältige Kommunikation zu ermöglichen. Zudem hilft es mir sehr, dass ich im Wahlbereich Arabisch gelernt habe.
Ich kann Studierenden nur raten, diesen Weg zu nutzen, um sich breit aufzustellen. Man weiß nie, was einem später nützlich sein könnte. Ich selbst hätte mir nach dem Studium auch eine Promotion vorstellen können und habe mich sowohl auf Stellen im pädagogisch-praktischen Bereich als auch auf Promotionsstellen beworben. Die Entscheidung habe ich dann aufgrund der besseren Arbeitsbedingungen getroffen. Zuerst wurde mir gesagt, dass ich nur wegen des aktuellen Fachkräftemangels zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei und ein erziehungswissenschaftliches Studium für eine sozialpädagogische Tätigkeit nicht optimal sei. Das gab mir im ersten Moment das Gefühl, nicht qualifiziert genug zu sein. Aber diese Bedenken haben sich schnell zerstreut. Das Lehren hat mir schon als Tutorin im Studium viel Spaß gemacht – und diese Freude empfinde ich auch heute in meinem Beruf.