Initiative für mehr Klimabildung in Schulen„Die Grundmechanismen des Klimawandels fächerübergreifend vermitteln“
8. November 2022, von Anna Priebe
Foto: Pixabay/dmncwndrlch
Der Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen sind drängende Themen der Gegenwart. Aus Sicht von Expertinnen und Experten wird das Wissen darum in den aktuellen Bildungsplänen aber bisher oft nicht ausreichend vermittelt. In einer Erklärung fordern sie, die Lehrpläne deutlich zu verändern und Klimabildung fächerübergreifend zu behandeln. Prof. Dr. Dietmar Höttecke ist Professor für Didaktik der Physik an der Universität Hamburg und einer der Initiatoren der Kampagne.
Inwiefern ist Klimawandel denn momentan Teil des Physikunterrichts?
Nur wenige Bundesländer sehen bisher in den Bildungsplänen eigene Klimabausteine für den Physikunterricht vor. Sachsen-Anhalt bringt das zum Beispiel gerade für die Sekundarstufe I auf den Weg. In der Regel wird das Thema eher anderen Themen beigeordnet, sodass man den Treibhauseffekt zum Beispiel erwähnt, wenn es um Strahlung geht. So entsteht für die Schülerinnen und Schüler aber kein konsistentes Bild.
Insgesamt behandeln viele Lehrkräfte das Thema eher aus eigener Motivation. Das war auch der Ausgangspunkt für unsere Initiative: Auf einer Fortbildung für Physiklehrkräfte haben sich Vertreterinnen und Vertreter aus der Lehrpraxis, der Wissenschaft und der Klimaforschung intensiv mit Unterrichtskonzepten und -methoden zum Thema Klimawandel auseinandergesetzt. Es wurde noch mal deutlich, wie groß der Handlungsdruck ist und wie wenig er sich in den aktuellen Bildungsplänen widerspiegelt. Lehrkräfte würden das Thema gern mehr unterrichten, haben dazu aber oft kaum Gelegenheit.
Sie haben schon 2009 in einer Fachzeitschrift einen Lernzirkel zum Thema „Den Treibhauseffekt verstehen“ vorgestellt. Was hat sich im Unterricht zum Klimawandel seitdem getan?
Es gibt dazu keine Erhebungen für alle Bundesländer, Fächer und Schulformen, aber man sieht, dass sich seitdem einiges getan hat. Viele Lehrkräfte haben sich auf den Weg gemacht und leisten hervorragende Arbeit. Es gibt in Hamburg zum Beispiel die Klimaschulen, ein Netzwerk, an dem sich viele Schulen beteiligen, die sich auch in Hinblick auf die Unterrichtsgestaltung austauschen.
In den Bildungsplänen der Länder findet Klimabildung aber weiterhin oft nur in einem Fach statt, vor allem in der Geografie. Unsere Initiative geht allerdings davon aus, dass das Problem so groß, herausfordernd und komplex ist, dass man es – so wie wir es in der Forschung ja auch tun – multidisziplinär bearbeiten muss. Viele Aspekte könnten sicher besser in den einzelnen naturwissenschaftlichen Fächern Chemie, Biologie und Physik unterrichtet werden. In Physik könnte zum Beispiel darüber gesprochen werden, worin der Treibhauseffekt besteht und wie Klima modelliert und vorhersagt wird.
Wie kann das Thema in der Schulpraxis besser abgebildet werden?
Wir müssen davon ausgehen, dass Klimawandel zu den besonders komplexen Lernthemen zählt – und die fügen sich naturgemäß nicht ganz in einzelne Fächer. Einige Schulen und Länder sind in ihren pädagogischen Konzepten hier schon deutlich fächerverbindender unterwegs. Es müssen daher Zuständigkeiten für bestimmte Themenaspekte und Fächer definiert und koordiniert werden – und zwar zentral bei der Erstellung von Bildungsplänen. Das ist natürlich nicht einfach, aber die Realität sieht momentan so aus, dass Fachkommissionen die Bildungspläne immer für nur ein Fach und die verschiedenen Schulstufen ausarbeiten. Bei dieser Arbeit ist der Austausch zwischen den Fächern meistens viel zu gering. Das sollte aus unserer Sicht aufgebrochen werden.
Ziel muss sein, ein umfassendes und übergreifendes Verständnis für die Grundmechanismen des Klimawandels zu vermitteln. Auch die Kipppunkte und Kippelemente sind ein wichtiges Thema, um zu verstehen, warum der Handlungsdruck so groß ist. Darüber hinaus muss es auch darum gehen, wie Klimaforschung überhaupt funktioniert, damit die Schülerinnen und Schüler verstehen, wie die Vorhersagen und Berechnungen zustande kommen.
Zugleich muss der Unterricht so gestaltet sein, dass er auch Lösungen anbietet, um das Phänomen der Klimaangst zu vermeiden, bei dem Kinder den Kampf gegen den Klimawandel als aussichtlos empfinden könnten. Schließlich müssen wir in der Schule auch zu positiven Narrativen über klimaneutrale Gesellschaften beitragen und die Frage stellen, in welcher Welt wir leben möchten. Es ist doch auch eine sehr erstrebenswerte Perspektive, uns irgendwann so zu ernähren, dass weniger Tierleid entsteht, Müll vermieden und Ressourcen regeneriert werden.
Schülerinnen und Schüler müssen verstehen, wie Klimaforschung überhaupt funktioniert
Gibt es denn bereits entsprechendes Lehrmaterial für die verschiedenen Fächer?
Ja, es gibt schon viele Überlegungen und Forschungsarbeiten, auch Erfahrungen und Material aus der Praxis. Bisher ist diese Arbeit noch nicht so sichtbar, aber da kann man sicher viele Schätze heben. Wenn man sich auf den Weg macht, die Frage der Klimabildung über die Fächer hinweg zu koordinieren, müsste man sicherlich genau schauen, wo es schon Material gibt und wo was fehlt. Aber erstmal geht es darum, die Räume dafür im Curriculum zu schaffen.
Was kann die Forschung beitragen, um diesen Prozess zu begleiten und zu erleichtern?
Es gibt verschiedene Forschungsprojekte, die sich mit genau diesem Thema – also der Vermittlung von so komplexen Themen wie dem Klimawandel – beschäftigen. Es gibt zum Beispiel Modellansätze, bei denen Lehrkräfte mit Klimaforschenden kooperieren, um Unterrichtsmaterial zu erstellen, zu erproben und zu verbessern.
In der Physikdidaktik haben wir das Projekt „Klimawandel vor Gericht“ durchgeführt. Hier haben Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Fächern grundlegende Informationen zum Klimawandel bekommen, etwa zum Treibhauseffekt. Gleichzeitig sollten sie in Planspielen politische Entscheidungen zu klimarelevanten Themen auf Basis des Gelernten diskutieren. Fachwissen für Bewertungen einzusetzen, ist eine der wichtigen Teilkompetenzen im naturwissenschaftlichen Unterricht – und wir untersuchen aktuell, wie die Informationen strukturiert sein müssen, um diese Fähigkeiten auszubilden. Momentan bereiten wir zudem eine experimentell angelegte Interventionsstudie vor, bei der wir schauen, wie man junge Menschen wirksam gegen Fake News zum Thema Klimawandel wappnen kann. Dabei arbeiten wir dann auch eng mit Lehrkräften zusammen.
Sie haben die Erklärung den Bildungsministerien überreicht. Wie wird es nun weitergehen?
Aus unserer Sicht braucht es einen deutlich stärkeren politischen Diskurs über dieses Thema. Es muss auf dieser Ebene Einigkeit darüber hergestellt werden, dass Klimabildung in der formalen schulischen Bildung eine deutlich größere Rolle spielen soll. Man muss klare bildungspolitische Ziele formulieren und die Politik muss Druck entfalten, Klimabildung in die aktuellen Überarbeitungsschleifen der Bildungspläne einzubringen. Das möchten wir anstoßen, indem wir Öffentlichkeit schaffen. Wenn Bereitschaft besteht, das Thema anzugehen, stehen wir gern als Ansprechpartner bereit, um darüber zu beraten, wie die Einbindung in die Lehrpläne konkret aussehen kann.
Die Erklärung
Prof. Dr. Dietmar Höttecke hat gemeinsam mit Prof. Dr. Susanne Heinicke und Prof. Dr. Stefan Heusler (beide Universität Münster), Prof. Dr. Thorid Rabe (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Michael Sach (Studienseminar Bad Vilbel) und Prof. Dr. Rita Wodzinski (Universität Kassel) eine Erklärung initiiert, die mehr und bessere Klimabildung im naturwissenschaftlichen Unterricht an Schulen fordert. Sie wurde am 28. Oktober 2022 den 16 Bildungsministerien der Länder und dem Bundesministerin für Bildung und Forschung überreicht. Sie wird von verschiedenen Einrichtungen und Fachverbänden unterstützt, etwa der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik e.V., der Deutschen Physikalischen Gesellschaft e.V. und dem Verband zur Förderung des MINT-Unterrichts e.V.