Finnwal-Bestände in der Antarktis erholen sich„Ein positives Zeichen in Zeiten von Artensterben und Klimawandel“
8. Juli 2022, von Anna Priebe
Foto: Carsten Rocholl
Die Biologin Dr. Helena Herr von der Universität Hamburg forscht seit 13 Jahren zu Walen in der Antarktis. Nun konnte sie gemeinsam mit ihrem Team erstmals nachweisen, dass die Zahl der Finnwale dort nach dem Jagdverbot von 1976 wieder zunimmt. Im Interview erklärt sie die Bedeutung dieser Ergebnisse.
An Land den Bestand wilder Tiere zu bestimmen, ist ja schon schwierig. Wie zählt man aber Finnwale?
Wir nutzen dafür die sogenannte Linien-Transekt-Methode. Das bedeutet, dass im Untersuchungsgebiet vorabbestimmte Linien, sogenannte Transekte, abgefahren oder abgeflogen werden. Währenddessen werden alle Sichtungen der fokussierten Tierart – in unserem Fall der Finnwale – erfasst. Aus der Anzahl der Tiere und ihrer Verteilung relativ zur Transektlinie berechnen wir dann die Tierdichte entlang der abgesuchten Strecken.
Diese fließt dann in ein Modell, in dem wir auch lokale Umweltparameter wie Wassertiefe oder die Distanz zur Küste berücksichtigen und das es uns erlaubt, die Verteilung und Anzahl der Tiere im Untersuchungsgebiet abschätzen. Auf diese Weise haben wir eine Anzahl von 7909 Tieren für unser 93.000 Quadratkilometer großes Untersuchungsgebiet ermittelt.
Dabei muss man sich aber immer klarmachen, dass diese Bestandsabschätzungen natürlich keine exakte Anzahl der Tiere angeben können, sondern nur eine Annäherung an die Größenordnung sind.
Was ist das Besondere an den Sichtungen, die im Rahmen dieser Forschung gemacht wurden?
Die beobachteten Gruppengrößen von bis zu 150 Tieren sind in der heutigen Zeit einzigartig und wurden zuletzt Anfang des 20. Jahrhunderts, also zu Beginn des Walfangs in der Antarktis, beschrieben. Das Wiederauftreten von großen Aggregationen in den Nahrungsgründen sprechen für eine Erholung der Population und die Reetablierung historischer Verhaltensweisen.
Für mich persönlich waren es einige der spektakulärsten Naturereignisse, die ich bisher gesehen habe. Es war ein unglaublich beeindruckendes Erlebnis, das Wasser quasi „kochen“ zu sehen mit diesen riesigen Tieren, die gemeinsam fressen und den Ozean aufwühlen. Da bleibt die Euphorie bei der Beobachtung nicht aus.
Was macht den antarktischen Finnwal-Bestand so wichtig für die Wissenschaft?
Die Finnwale der Südhemisphäre haben über die vergangenen Jahrzehnte tatsächlich eher wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit bekommen. Nachdem die küstennäher lebenden Blau- und Buckelwale Anfang des 20. Jahrhunderts nahezu ausgerottet waren, gerieten die Finnwale bis zum Verbot in den Fokus des Walfangs. Auch ihre Zahl wurde stark reduziert – und in Kombination mit der eher küstenfernen Verteilung machte das eine Erforschung schwierig.
Dass sich jetzt eine Erholung andeutet, macht die Finnwale zu einem wichtigen Beispiel dafür, dass die Natur sich erholen kann, wenn man sie radikal unter Schutz stellt. 1976 wurde die Jagd auf Finnwale eingestellt, und heute, knapp 50 Jahre später, haben wir wieder mehrere tausend Tiere in nur einem kleinen Teilgebiet der Antarktis. Das ist ein positives Zeichen in Zeiten von Artensterben, Biodiversitätsverlust und Klimawandel.
Gibt es Hoffnung für die Wale?
Neben den Finnwalen haben sich seit dem Ende des Walfangs insbesondere auch die Buckelwale schon stark erholt. Es besteht also durchaus Hoffnung, dass Populationen wieder wachsen, wenn ausreichend Schutz gewährleistet ist. Allerdings gibt es auch andere Beispiele, wie etwa die südlichen Glattwale oder die antarktischen Blauwale, die sich kaum oder nur sehr langsam von der starken Dezimierung zu erholen scheinen – ohne dass man weiß, warum es sich bei diesen Populationen so anders verhält.
Zudem drohen allen Walen heute statt des Walfangs viele neue Gefahren: Schiffskollisionen, massiver Lärm in den Meeren durch den Schiffsverkehr, Beifang und natürlich die Klimaerwärmung erfordern neue und gut ausgearbeitete Schutz- und Managementkonzepte. Das ist bei Tieren, die durch die Meere ziehen und sich größtenteils außerhalb nationaler Hoheitsgewässer aufhalten, nicht einfach. Die Internationale Walfangkommission, die ursprünglich zum Management des Walfangs gegründet wurde, widmet sich heute intensiv diesem Thema.
Insgesamt würde ich sagen, dass es Hoffnung für die Wale gibt, diese aber eng verknüpft ist mit den allgemeinen Bedrohungen für unsere Umwelt, allen voran dem Klimawandel, dem es im Sinne aller Lebewesen zu begegnen gilt.