Ukrainische Geflüchtete mit Studienwunsch„Sprachkompetenz ist ein wichtiger Baustein für den Studieneinstieg“
12. April 2022, von Christina Krätzig
Foto: UHH
Viele Einrichtungen und Mitarbeitende der Universität Hamburg beschäftigen sich aktuell mit dem Krieg in der Ukraine und dessen Folgen. Wir zeigen in unserer Serie einige Beispiele, wie die Initiative „#UHHhilft“. Sie ist eine Anlaufstelle für Geflüchtete, die ihr im Ausland begonnenes Studium an der Universität Hamburg fortsetzen wollen, oder die hier anfangen möchten zu studieren. Derzeit unterstützt die Initiative auch junge Menschen aus der Ukraine.
Die Betriebswirtin Prof. Dr. Silke Boenigk hat in ihrer Funktion als Flüchtlingsbeauftragte der Universität Hamburg im Wintersemester 2015/16 das Projekt für Geflüchtete mit Studienwunsch ins Leben gerufen. Es wird in enger Kooperation mit verschiedenen Einrichtungen inner- und außerhalb der Universität betrieben, etwa der Zentralen Studienberatung, dem Hochschulsport, dem Sprachenzentrum und dem Studierendenwerk. Gefördert durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst beraten hier inzwischen zwölf studentische Angestellte pro Jahr etwa 2500 Geflüchtete im Erstkontakt. Zudem starten jedes Jahr vier Fachklassen. In naher Zukunft wird das Team um eine ukrainische Studentin ergänzt. Geleitet wird das Koordinationszentrum von Jana Hesse. Im Interview sprechen Hesse und Boenigk über die Auswirkungen des Ukrainekriegs auf „#UHHhilft“.
Frau Hesse, Frau Boenigk, wie steht es im Moment – kommen viele Geflüchtete aus der Ukraine zu „#UHHhilft“?
Jana Hesse: 69 Menschen aus der Ukraine haben sich bisher online zum Mitmachen angemeldet. 34 von ihnen haben die ukrainische Staatsangehörigkeit, 35 weitere haben vor ihrer Flucht in der Ukraine studiert, stammen ursprünglich aber aus anderen Herkunftsländern wie zum Beispiel Ghana. Insgesamt haben sich dieses Sommersemester 490 Personen zur Teilnahme am Programm angemeldet.
Was unterscheidet die ukrainischen Studieninteressierten von anderen?
Silke Boenigk: Die Ukrainerinnen – es sind ja überwiegend junge Frauen, die das Land bisher verlassen haben – sprechen häufig sehr gut Englisch. Das gilt auch für die Studierenden aus Drittländern, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Ihre Englischkenntnisse machen es ihnen zunächst leichter, sich an der Uni Hamburg zurechtzufinden. Umso größer ist dann jedoch ihre Enttäuschung, wenn sie erfahren, dass bisher keine englischsprachigen Bachelorstudiengänge angeboten werden und ein Bachelorstudium auf Deutsch ein sehr hohes Sprachniveau (C1) voraussetzt. Sprachkompetenz ist somit ein Nadelöhr und wichtiger Baustein für einen erfolgreichen Einstieg in ein Studium.
Hesse: Gestern habe ich beispielsweise einen jungen Mann aus Ghana beraten, der vor dem Krieg in Kiew sieben Semester Medizin studiert hat. Er spricht neben seiner Muttersprache exzellent Ukrainisch und Englisch. Doch für ein Medizinstudium bei uns muss er sehr gute Deutschkenntnisse nachweisen; er kann also nicht nahtlos weitestudieren. Wir konnten ihn jedoch in einem Integrationskurs anmelden, zu dem auch Sprachunterricht gehört. Das ist immerhin ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Wie geht es den Geflüchteten psychisch?
Hesse: Natürlich ist es für alle schwer, sich gezwungenermaßen neu zu orientieren. Aber diejenigen, die ihren Weg zu uns finden, sind Kämpfernaturen. Der Krieg in der Ukraine hat ja erst Ende Februar begonnen. Schon jetzt, nicht einmal zwei Monate später, besuchen uns einige Geflüchtete im Koordinationszentrum, fragen nach Beratung, um ihre akademische Laufbahn nicht zu unterbrechen. Die Jüngste von ihnen ist erst 17 Jahre alt. Sie möchte ihr in der Ukraine begonnenes Psychologie-Studium so schnell wie möglich fortsetzen – und in ihrem Fall könnte das sogar klappen, denn sie hat Deutsch in der Schule gelernt. Eine solche Zielstrebigkeit finde ich bewundernswert.
Boenigk: Die psychischen Folgen eines Kriegs und einer Flucht machen sich häufig erst später bemerkbar. Wir betreuen die jungen Leute ja fast immer über einen längeren Zeitraum, vermitteln Deutschkurse, unterstützen bei der Zeugnisanerkennung und bei der Bewerbung auf einen Studienplatz. Zudem machen wir Angebote zur sozialen Integration, etwa durch die sogenannten Buddy-Treffen und Hochschulsportangebote. Oft arbeiten wir auch mit externen Partnern zusammen: Für die ukrainischen Studierenden hat etwa die Claussen-Simon-Stiftung spontan Wohnungsangebote gemacht, wofür wir sehr dankbar sind.
Oft zeigt sich auch erst mit der Zeit, dass unsere Klientinnen und Klienten beispielsweise Schwierigkeiten haben, das normale Tempo eines Regelstudiums einzuhalten. Und natürlich dauert es auch, bis sie ihre Situation hier realistisch einschätzen können. Neben den Deutschkursen müssen sie Geld verdienen und nicht immer ist klar, wie lange sie bleiben dürfen. So bitter es ist, aber manchmal stellt sich die Frage, ob ein Studium wirklich die beste Lösung ist. Wir beraten auch zu Alternativen und es gibt in der Zentralen Studienberatung der Abteilung „Studium und Lehre“ Angebote zur psychologischen Beratung, falls sie erforderlich sind.
Haben die jungen Ukrainerinnen und Ukrainer Pläne für die Zeit nach dem Krieg?
Boenigk: Soweit ich das einschätzen kann, möchten die meisten möglichst bald zurück in ihre Heimat. Aber ob und wann eine Rückkehr möglich ist, kann derzeit ja niemand sagen. Wir freuen uns aber, dass wir einigen Personen eine Perspektive aufzeigen können.