Der Ukraine-Krieg und die Friedensforschung„Ob Putin irrational ist, ist eine Frage der Perspektive“
30. März 2022, von Anna Priebe
Foto: IFSH
Informationen für die Öffentlichkeit, Zeichen der Solidarität oder direkte Hilfe für Betroffene: Viele Einrichtungen und Mitarbeitende der Universität Hamburg beschäftigen sich aktuell mit dem Krieg in der Ukraine und dessen Folgen. Wir zeigen in unsere Serie einige Beispiele. Teil 2: Prof. Dr. Ursula Schröder, wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
Krieg in der Ukraine und Unsicherheit in Europa – wie hat sich die Arbeit am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) durch den Angriff Russlands verändert?
Alle unsere Forschungsbereiche sind direkt betroffen. Wir arbeiten unter anderem zur europäischen Sicherheit, zu Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie zu Fragen des gesellschaftlichen Friedens in Europa. Viele der aktuell brennenden Fragen werden bei uns im Haus also ohnehin bearbeitet, wie die Debatten um die Ausrüstung der Bundeswehr, um Sicherheitsakteure in der Ukraine oder um die Ostflanke der NATO. Aber wir kümmern uns gerade natürlich intensiv um die neuesten Entwicklungen und haben dafür unter anderem eine Ukraine-Arbeitsgruppe im Haus gegründet.
Wir befinden uns in einer sehr unvorhersehbaren Situation. Wie gehen Sie in der Forschung damit um?
Die Prognosen für die Entwicklung des Kriegs sind durchaus unterschiedlich. Wir gehen aber mehrheitlich davon aus, dass die Lage in der Ukraine auch nach einem möglichen mittelfristigen Ende der akuten Kriegshandlungen langfristig gewaltförmig sein wird. Ich schätze, dass die akute Kriegsphase zu einer deutlich veränderten internationalen Ordnung führen wird. Und diese Veränderung werden wir in der Forschung begleiten.
Schon jetzt stellen sich daher viele konkrete Fragen: Wie verhandelt man einen Frieden? Was sind die Folgen für die europäische Sicherheitsordnung? Wie verändert sich die internationale regelbasierte Ordnung als Resultat dieses Kriegs? Und gibt es eine neue Aufmerksamkeitsdynamik, die sich mehr auf klassische sicherheitspolitische Fragen richtet und beispielsweise nicht mehr so sehr auf die Auswirkungen des Klimawandels auch für die Friedens- und Sicherheitspolitik? Das sind nur einige der Themen, die in den kommenden Jahren entscheidend sein werden.
Kommen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen denn gerade noch zum Forschen?
Das ist je nach Bereich verschieden, aber einige unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bekommen momentan täglich mehrere Interviewanfragen. Die kommen dadurch deutlich weniger zur Forschung und die Belastung ist in allen Bereichen sehr hoch. Aber wir haben als außeruniversitäre Einrichtung nicht nur ein Mandat zur Forschung, sondern auch zum Wissenstransfer – und das nehmen wir sehr ernst. Wir haben die Aufgabe, darüber zu informieren, was gerade passiert, versuchen einzuordnen und auch zu bewerten. Das ist Teil unseres Jobs und der hat in diesen Wochen Priorität.
Kontakte in der Wissenschaft sind für die Rückkehr zu einer friedlichen Koexistenz unerlässlich
Wie sieht denn zurzeit die Zusammenarbeit mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in den betroffenen Ländern aus?
Unser Haus hat traditionell Kontakte nach Russland, insbesondere in der Forschung zur Rüstungskontrolle oder auch zur OSZE, der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“. Diese Kontakte versuchen wir momentan auf der individuellen Ebene aufrecht zu erhalten. Es ist aus der Konfliktforschung bekannt, dass Kontakte in die Zivilgesellschaft und zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unerlässlich sind, um auf lange Sicht wieder zu einer friedlichen Koexistenz zu kommen. Wir planen gerade keine wissenschaftlichen Forschungsprojekte mit russischer Beteiligung, aber diese individuellen Kontakte dürfen wir nicht aufgeben.
In der Ukraine haben wir bisher zu internationalen Polizeimissionen geforscht, es gibt allerdings keine institutionellen Forschungskooperationen mit dem Land. Wir sind aber Teil der Hamburger Wissenschaftsbrücke in die Ukraine. Forscherinnen und Forscher aus der Ukraine würden also bei uns aufgenommen, sollten sie sich bei uns melden.
Wie bringen Sie Ihre Expertise aktuell in die Politik ein?
Wir haben den Zugang zur Politik unter anderem durch ein IFSH-Büro in Berlin, das unsere engen Kontakte in die Ministerien, vor allem zum Auswärtigen Amt, und in den Bundestag koordiniert. Da gibt es einige etablierte Formate.
Es geht dabei nicht primär darum, den Politikerinnen und Politikern einzelne Forschungsprojekte vorzustellen, sondern eher darum, mit relevanten Personen aus dem politischen Berlin bestimmte Themen und Probleme zu diskutieren. Da erklären wir zum Beispiel mit unserem Hintergrundwissen aus der Forschung, was wir über bestimmte Problem wissen, welche Szenarien wir uns auf dieser Basis für die Zukunft vorstellen könnten, und mitunter auch welches Vorgehen daher sinnvoll sein könnte. Manchmal geht es auch darum zu zeigen, warum bestimmte Dinge vermutlich nicht funktionieren werden.
Wladimir Putins Verhalten wird oft als irrational bezeichnet. Kann man da noch mit wissenschaftlichen Erkenntnissen argumentieren?
Solche individualpsychologischen Fragen sind natürlich immer schwierig und auch nicht der Kern unserer Forschung. Ob Putin irrational ist, ist zum Beispiel auch eine Frage der Perspektive. Wenn man sich anschaut, was er sagt, sehen wir ein bestimmtes Weltbild, das unserem sehr entgegen steht, das in sich aber durchaus konsistent sein kann. Dieses Weltbild und diese anderen Weltanschauungen müssen wir begreifen, um handlungsfähig zu bleiben beziehungsweise wieder zu werden.
Unsere eigene Forschung interessiert sich da nicht so sehr für die Einzelperson, sondern eher für die strukturellen Folgen seines Handelns und auch für mögliche Zukunftsszenarien. Welche Möglichkeiten gibt es, diesen Krieg in Verhandlungslösungen zu beenden? Und später: Welche internationalen Institutionen bleiben eigentlich bestehen? Wie können wir eine neue internationale Friedensordnung aufbauen?