Internationale Übung„Wir wollen zeigen, dass atomare Abrüstung möglich ist“
30. März 2022, von Christina Krätzig
Foto: UHH/Ohme
Seit Beginn des Ukrainekriegs fürchtet die Welt, dass Russland Atomwaffen einsetzen könnte. Nun üben Forschende und Diplomatinnen und Diplomaten aus zwölf Ländern die kontrollierte Abrüstung von Atomwaffen. So wie es im Atomwaffensperrvertrag 1968 vereinbart, bisher aber nie durchgeführt wurde.
Herr Kirchner, Sie haben rund 30 Delegierte aus zwölf Ländern eingeladen, eine kontrollierte Abrüstung einer fiktiven Atomwaffe zu üben. Nimmt auch Russland an dieser Übung teil?
Leider nein. Die Atommächte USA, Großbritannien und Frankreich schicken Teilnehmende, aber Russland nicht. Das ist natürlich schade, denn Russland besitzt derzeit mehr Atomwaffen als jedes andere Land der Erde. Am Ende des Kalten Krieges waren es etwa 20.000 Stück, wie auch in den USA. Rund zwei Drittel dieser Waffen wurden seitdem vernichtet, allerdings ohne Kontrollen. Eine international kontrollierte Abrüstung, wie sie der 1968 geschlossene Atomwaffensperrvertrag vorsieht, hat es bisher noch nie gegeben. Trotzdem üben wir das, um zu zeigen, dass es möglich ist.
Anfang der 90er Jahre war auch die Ukraine eine Atommacht ...
Die Ukraine war damals sogar das Land mit dem drittgrößten Kernwaffenarsenal der Welt. Es handelte sich um sowjetische Waffen, die nach dem Zerfall der UdSSR im Land verblieben waren. Doch die Ukraine bekannte sich zum Atomwaffensperrvertrag und ließ ihre Atomwaffen von Russland vernichten. Im Gegenzug verpflichteten sich Russland, die USA und Großbritannien im Budapester Memorandum von 1994, die Souveränität und die bestehenden Grenzen des Landes zu achten.
Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine trotzdem angegriffen. Wie wahrscheinlich halten Sie einen Einsatz von Atomwaffen in diesem Krieg?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Russland einen solchen Weg einschlagen würde. Das wäre ein so krasser Bruch internationaler Abkommen – ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird.
Hätte denn jede Atomwaffe die Zerstörungskraft der Bomben, welche die USA über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen haben?
Nein. Man unterscheidet heute strategische und taktische Kernwaffen. Strategische Kernwaffen haben ein so großes Zerstörungspotential, dass sie eher zur Abschreckung als zum tatsächlichen Einsatz gedacht sind. Sie können ganze Landstriche langfristig radioaktiv verseuchen. Taktische Kernwaffen werden hingegen wie konventionelle Waffen zur Bekämpfung gegnerischer Streitkräfte eingesetzt. Sie haben eine größere Sprengkraft als herkömmliche Waffen, aber nicht das Zerstörungspotential strategischer Waffen. Dennoch ist auch ihr Einsatz international geächtet, da er zu inakzeptablen Strahlenfolgen führt.
Wenn Sie nicht befürchten, dass Russland Kernwaffen in der Ukraine einsetzen wird, bedeutet dies, dass Kernwaffen keine Rolle in diesem Konflikt spielen?
Kurzfristig eher nicht. Aber ich fürchte, dass die Begehrlichkeit in Staaten, die nur schweren Herzens auf die Entwicklung und den Besitz von eigenen Kernwaffen verzichten, wieder wachsen wird. Es könnte ein Gefühl entstehen, dass man ohne eigene entsprechende Waffen den Atommächten oder anderen Aggressoren mehr oder weniger ausgeliefert ist. Jedes Land, das Kernenergie zu friedlichen Zwecken nutzt, ist schätzungsweise in weniger als einem Jahr in der Lage, eine Atombombe zu bauen. Und das ist wirklich besorgniserregend.
Prof. Dr. Gerald Kirchner ist Physiker und leitet das Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF) an der Universität Hamburg.
Mehr zur Abrüstungsübung finden Sie in unserer Pressemitteilung.