Immer der Nase nach – Forschung rund ums RiechenVier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben einen Einblick
9. März 2022, von Anna Priebe
Foto: xkunclova/Shutterstock.com
An einer Blume schnuppern oder eine neue Bekanntschaft gut riechen können: Der Geruchssinn bringt große und kleine Freuden, ist aber gleichzeitig hochkomplex und fehlt sehr, wenn er nicht funktioniert. Vier Forschungsprojekte zum Riechen und seiner Bedeutung.
Vom Molekül zum Blumenduft – Verstehen, wie das Riechen funktioniert
Prof. Dr. Christian Lohr, Fachbereich Biologie
In der Nasenhöhle befinden sich Millionen Nervenzellen, die Signale ins Hirn weiterleiten, sogenannte sensorische Riechrezeptor-Neurone. Sie sind Ausgangspunkt eines hochkomplexen Vorgangs in einem System, das sich schon vor der Geburt entwickelt. Wir erforschen, wie genau das Gehirn bei Säugetieren Geruchsempfinden verarbeitet und welche Prozesse dabei ablaufen.
Auslöser sind Duftstoffe, die etwa von Blumen oder Seife ausgehen. Das sind flüchtige Moleküle, die mit der Luft in unsere Nase gelangen. Dort treffen sie auf die Rezeptoren. Es gibt insgesamt rund 350 verschiedene Rezeptortypen, die jeweils bestimmte Molekülarten wahrnehmen, wobei es auch Überschneidungen gibt und damit unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten. Dabei umfasst jeder Typ Tausende Neuronen, die in der Nasenhöhle verteilt sind und beim entsprechenden Reiz gleichzeitig aktiviert werden.
Dann senden sie über Nervenfasern, die sogenannten Axone, Signale ins Gehirn. Die Informationen werden erst einmal in den Riechkolben (Bulbus olfactorius) geschickt, wo sie sortiert werden müssen, denn neben den Blumen-Molekülen werden ja auch noch Signale verschiedener anderer Riechreize mitgeschickt. Im Riechkolben wird aus den Informationen ein Muster gebildet, das dann an die Großhirnrinde geleitet wird, wo der Geruchseindruck der Blume gebildet wird.
Wie werden Informationen im Riechkolben verarbeitet?
Das Besondere beim Riechen: Die Rezeptoren eines Typs sind in der ganzen Nasenhöhle verteilt und die Nervenfasern starten von verschiedenen Stellen ins Hirn, werden aber vor dem Eintreffen im Riechkolben entsprechend zusammengeführt und landen gebündelt an einer Stelle im Riechkolben – egal, woher aus der Nase der Reiz kam. Bei anderen Sinnesorganen findet eine solche Umverteilung der Informationen auf dem Weg ins Hirn nicht statt.
Wir untersuchen an tierischen Hirnpräparaten, wie genau die Informationen im Riechkolben verarbeitet werden. Die Schnitte sind rund zwei Millimeter lang und 250 Mikrometer dünn. Unter dem Mikroskop sieht man die einzelnen Zellen, in die wir mithilfe eines sogenannten Mikromanipulators – einer Art kleiner Roboter – per Fernsteuerung eine Mikroelektrode einführen, um einen elektrischen Reiz auszulösen. Dieser simuliert das Riechen und führt zu beispielsweise zu elektrischen Impulse in Nervenzellen, die wir mit einer zweiten Mikroelektrode messen. Für uns ist es unwichtig, ob es um Blumen- oder Bananenduft geht, sondern wir interessieren uns für die generellen Abläufe.
Im Fokus: Begleit- und Stützzellen
In meiner Arbeitsgruppe verknüpfen wir diese Forschung zum Geruchssystem bereits mit Krankheitsbildern und zum Beispiel schauen, wie sich die Informationsverarbeitung bei Multipler Sklerose verändert. Mein Schwerpunkt liegt aber in der Grundlagenforschung und ich beschäftige mich mit einem ganz bestimmten Zelltyp, den sogenannten Astrozyten oder Gliazellen.
Früher Begleit- oder Stützzellen genannt, füllen sie jede Lücke zwischen den einzelnen Nervenzellen aus und beeinflussen die Kommunikation zwischen diesen maßgeblich. Ich konzentriere mich auf ihre Rolle speziell bei der neuronalen Informationsverarbeitung während des Riechprozesses. Man weiß, dass sie bei einer Reizung des Rezeptors ebenfalls aktiviert werden, aber wie sie dann wiederum auf die Nervenzellen wirken, ob sie den Riechprozess unterstützen oder hemmen und wie sie den Riecheindruck beeinflussen, das möchte ich herausfinden.
Seit Corona im Fokus: Geruchsverlust, seine Ursachen und Auswirkungen
Dr. Anna-Sophie Hoffmann, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
Drei bis fünf Prozent der Menschen in Deutschland sind von langanhaltendem Geruchsverlust, der Anosmie, betroffen. Unter Hyposmie, also einem schwächeren Geruchssinn, leiden rund 20 Prozent und bei den über 50-Jährigen sogar jeder bzw. jede vierte. Die Ursachen sind dabei vielfältig – ein Virusinfekt, Allergien, eine schiefe Nasenscheidewand, chronische Nasennebenhöhlenentzündungen mit Polypen, Erkrankungen der Nerven und selten auch ein Tumor oder ein Schädel-Hirn-Trauma, bei dem Riechfasern abreißen. Der Verlust stellt eine ungemeine Einschränkung der Lebensqualität dar – zumal ein großer Teil des Schmeckens über das Riechen stattfindet und auch dieser Sinn dann meist nicht richtig funktioniert.
Die vorübergehende Einschränkung der Riechfähigkeit während eines Infekts kennen viele. Medial sehr präsent wurde das Symptom dann seit der Corona-Pandemie. Bei Viruserkrankungen kann das an einer geschwollenen Nasenschleimhaut liegen. Diese kleidet die Nasenhaupthöhlen aus und durch Keime kann sie gereizt werden, sodass sie mehr durchblutet wird, anschwillt und die Nase verschließt. Die Atemluft und damit die Duftmoleküle können dann nicht mehr zu den Riechzellen vordringen. Außerdem kann es passieren, dass das Virus die Zellen in der Nase direkt attackiert und beschädigt. Welche Mechanismen beim Coronavirus genau greifen, wird momentan erforscht.
Zwei Forschungsprojekte zu Corona und Geruchsverlust
In meiner Fachabteilung haben wir im Zusammenhang mit Covid-19 zwei Projekte gestartet. Im ersten hat ein Team untersucht, wie viele der stationär, aber nicht auf der Intensivstation behandelten Covid-19-Erkrankten einen objektivierbaren Geruchsverlust aufwiesen. Auch wenn es unter der Omikron-Variante nur noch selten auftritt, berichten Studien, dass in den ersten Wellen im Schnitt rund 76 Prozent der an Covid-19 Erkrankten von Geruchs- und Geschmacksverlust betroffen waren. Besonders im Fokus stand die Frage, wie lange es dauert, bis die Beschwerden abklingen und welche Rolle Risikofaktoren wie Alter und Vorerkrankungen dabei spielen.
Dabei ist es eine besondere Herausforderung, den Geruchssinn objektiv zu messen. Wir nutzen dazu Geruchsstifte, die nach ganz verschiedenen Dingen riechen, zum Beispiel nach Rose, Ananas oder nach Fisch. Die Patientinnen und Patienten müssten dann aus einer Auswahl angeben, wonach die Probe riecht oder verschiedene Konzentrationen an Gerüchen richtig erkennen. Hier konnten wir zeigen, dass die Differenzierung von Gerüchen bei COVID-19-Erkrankten noch recht gut funktioniert, während die Schwelle der Geruchsempfindung – also die minimale Konzentration eines Geruchsstoffes, mit der er wahrgenommen werden kann – stark angehoben ist.
Kann man im MRT Vergrößerungen des Riechkolbens sehen?
Das zweite Projekt wurde im Rahmen der Hamburg City Health Study (HCHS) durchgeführt, in der mehrere Tausend Hamburgerinnen und Hamburger auf verschiedene Erkrankungen hin untersucht werden. Während der Pandemie wurde eine Gruppe mit rund 150 Covid-19-Patientinnen und -Patienten gebildet. Bei ihnen wurde eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Kopfes durchgeführt und wir werten die Aufnahmen dahingehend aus, inwiefern der Riechkolben (Bulbus olfactorius), der mit dem MRT gut erfasst werden kann, Volumenschwankungen aufweist. Etwa die Hälfte der Covid-19-Betroffenen in unserer Studie gab einen Geruchsverlust an – und deren Bilder können wir mit den Teilnehmenden vergleichen, die dieses Symptom nicht hatten. Für uns ist dabei interessant, ob sich der Riechkolben nach dem Rückgang der Symptome wieder erholt. In diesem Projekt werden die Daten momentan noch ausgewertet.
Therapeutisch gibt es bei Geruchsverlust übrigens verschiedene Ansätze. Akute Entzündungen und Schwellungen kann man mit Cortison oder auch Antibiotika behandeln, Polypen werden operiert oder medikamentös behandelt. Unterstützend können Betroffene über einen gewissen Zeitraum ein Riechtraining mit Duftölen machen, das heißt sie riechen mehrmals täglich an den Fläschchen, um die Riechnerven immer wieder neu zu reizen. Riechzellen können sich allerdings auch ohne Behandlung selber erneuern, das ist eine Besonderheit der Nase. So erholt sich der Geruchssinn in vielen Fällen von alleine. Unsere Daten werden gerade ausgewertet, aber andere Studien haben bereits gezeigt, dass rund 95 Prozent der Corona-Betroffenen nach sechs Monaten wieder normal riechen können.
Gegen Gestank und Krankheiten – Duftöle in der Antike
Justine Diemke, Arbeitsbereich „Alte Geschichte“
Als Althistorikerin beschäftigte ich mich mit verschiedenen Facetten des Lebens in der Antike, also der athenischen und der römischen Kultur in einem Zeitraum vom 7. Jahrhundert vor Christus bis zum 3. Jahrhundert nach Christus. Die erhaltenen Beschreibungen von Sinneseindrücken können uns dabei eine Menge über das damalige Leben sagen. Damals muss es nach unserem heutigen Empfinden sehr gestunken haben, man lebte eng mit Tieren zusammen, die Latrinen waren öffentlich zugänglich und die Körperhygiene war mit der heutigen nicht vergleichbar. Allerdings wird darüber in den Quellen wenig geschrieben. Da man es gewöhnt war, wurde der Gestank selten explizit erwähnt.
Beschrieben werden Düfte dagegen in anderen Zusammenhängen, etwa um Menschen zu beschreiben und zu bewerten, denn ihr Geruch wurde damals auch mit der Persönlichkeit in Verbindung gebracht. So wird Alexander der Große als sehr wohlriechend beschrieben und Venus verzaubert Männer mit ihrem Duft, während soziale Unterschichten und Frauen per se als schlechtriechend galten.
Düfte als Heilmittel und Zeichen von Krankheit
Meine Quellen reichen von Historiographien und Biografien über Gedichte, Briefe, Reden und Rezepte bis zu Inschriften. Es liegen auch bildliche Darstellungen der Duftstoffherstellung in Fresken antiker Wohnhäusern vor. Im Rahmen meiner Dissertation arbeite ich zu Depressionen in der Antike. In den Schriften von Plutarch gibt es Hinweise, dass Düfte schon im alten Ägypten als wohltuend für die Seele galten, und laut Aristoteles tragen sie zur Freude bei, „indem sie das Gehirn erwärmen und damit auflockern“. So bin ich auf das Thema aufmerksam geworden, denn in den medizinischen Schriften werden die Zutaten für solche Düfte und ihre Wirkungen ausführlich beschrieben.
Während bestimmte Gerüche heilten, etwa Gebärmutterleiden, galten schlechte Gerüche als Zeichen von Krankheit und als Weg, sich anzustecken. Daher wurden zum Beispiel bei Bestattungsritualen viele Duftstoffe eingesetzt, da man Sorge hatte, sich über den Geruch der Leiche zu infizieren. Damit ist man dann inhaltlich bei der Verwendung von Duftstoffen als Parfüm.
Die Quellen zeigen nämlich, dass im Haushalt, aber auch im öffentlichen Leben – zumindest in der Oberschicht – viel exzessiver als heute Duftstoffe eingesetzt wurden, um den allgegenwärtigen Gestank zu übertünchen. Von der eigenen Kleidung über Haustiere bis zum Essenstisch und Theatersitzen – alles wurde mit wohlriechenden Duftölen versehen. Diese waren sogar so wertvoll, dass Menschen für sie überfallen wurden, wie ein Papyrusfragment zeigt.
Nächstes Projekt: Gerüche und Berufe
In einem Forschungsseminar, das mit Mitteln aus der Exzellenzstrategie gefördert wurde, habe ich mit Studierenden versucht, die Duftstoffe von damals herzustellen – was durch die Übersetzung der Rezepturen und ohne die pflanzlichen Stoffe, von denen wir heute wissen, dass sie krebserregend sind und die wir deshalb weglassen mussten, gar nicht so einfach war.
Aktuell beschäftige ich mich mit den Gerüchen im militärischen Kontext. Es gibt Berichte über Belagerungen und Schlachten, aber auch Schriften, die man als Handbücher bezeichnen kann. Ich möchte mir nun zum Beispiel anschauen, ob Feinden konkrete Gerüche zugeschrieben wurden. Diese Assoziation bestimmter Gerüche mit sozialen Gruppen wird dann auch Thema weiterer Projekte sein. Ich habe herausgefunden, dass einige Berufsgruppen mit schlechten Gerüchen und damit negativ assoziiert wurden, darunter Tuchwalker, die damals die Kleidung reinigten. Damals wurde die Wäsche anders als heute mit Urin gewaschen, daher lag ein starker Gestank in der Luft. Ich möchte schauen, ob sich bei den Berufen bestimmte Typen herausarbeiten lassen.
Elektronische Nasen mit Nanopartikeln verbessern
Sophia Bittinger, Fachbereich Chemie
Elektronische Nasen sind analytische Instrumente, die nach dem Prinzip des menschlichen Riechens funktionieren: Die Gassensoren reagieren wie Geruchsrezeptoren auf Moleküle in der Umgebungsluft. Die Signale werden an einen Computer weitergeleitet, der dem Riechkolben entspricht und sie ausgewertet und interpretiert. In der Arbeitsgruppe von Dr. Tobias Vossmeyer, in der ich als Doktorandin arbeite, entwickeln wir neuartige Gassensoren und elektronische Nasen – durch den Einsatz von Nanomaterialien und insbesondere von Goldnanopartikeln.
Die Partikel sind zwischen drei und sieben Nanometer klein, wobei ein Nanometer einem Millionstel Millimeter entspricht. Sie werden durch Alkandithiole – organische Verbindungen aus Kohlen- und Wasserstoff sowie Schwefel – zu einem 20 bis 100 Nanometer dünnen Film vernetzt, sodass sich ein sogenanntes Nanokomposit ergibt. Dadurch, dass wir die Hybridfilme selbst herstellen, können wir durch die Zusammensetzung und die Änderung der Kettenlängen der Alkandithiole die Eigenschaften gezielt verändern und sie so für die Wahrnehmung bestimmter Stoffe optimieren. Diese Sensoren sind sehr empfindlich und vielfältig einsetzbar.
Jeder Sensorfilm entspricht dabei einem Geruchsrezeptor unserer Nase. Wenn Moleküle aus der Umgebungsluft auf den Sensor treffen, werden sie in den Film absorbiert, er schwillt an und durch die geänderten Abstände zwischen den Goldnanopartikeln ändert sich seine Leitfähigkeit. Denn durch den Film lassen wir konstant einen elektrischen Strom fließen – und wenn dieser schwächer wird, deutet das auf eine Reaktion mit einem Gasbestandteil hin. Diese Veränderung können wir auslesen und interpretieren, denn verschiedene Gaskomponenten führen zu unterschiedlichen Signalverläufen.
Entwicklung von Chips mit mehreren Sensorfilmen
Während bisher grundsätzlich die Sensoreigenschaften der Nanopartikelfilme erforscht wurden, beschäftige ich mich in meiner Doktorarbeit vor allem mit der Herstellung von Sensor-Arrays, also von Chips, auf denen mehrere verschiedene Sensorfilme angeordnet sind – wie es ja auch in der Nase zahlreiche unterschiedliche Rezeptoren gibt. Die von mir hergestellten Arrays beinhalten zum Beispiel acht Sensorfilme, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften auf Gasmoleküle unterschiedlich reagieren.
So ergeben sich verschiedene Antworten auf die nachzuweisende Substanz. Das charakteristische Muster, das aus ihrer Kombination ersteht, kann man mit Erkennungsalgorithmen auswerten, einer Gaskomponente zuordnen und sie so nachweisen. Das ist ein weiterer wichtiger Teil meiner Promotion: In Kooperation mit Dr. Hendrik Schlicke vom Fraunhofer-Zentrum für Angewandte Nanotechnologie CAN untersuche ich, wie die Muster aus diesen Sensorantworten zu interpretieren sind. Da ich gezielt Dämpfe von Lösungsmitteln, etwa Alkoholen, einsetze, kann ich aus den Signalen des Arrays Rückschlüsse auf charakteristische Muster für die getesteten Substanzen und Substanzklassen ableiten.
Anwendungsmöglichkeiten in der Medizin und Umweltanalyse
Zwar betreiben wir momentan Grundlagenforschung und sind von einer serienmäßigen Anwendung noch relativ weit entfernt, aber zukünftig sind viele Einsatzbereiche denkbar. Wir verwenden die Sensoren vor allem für die Erkennung von flüchtigen organischen Verbindungen. Das sind zum Beispiel in der Atemluft befindliche Moleküle, die für die medizinische Diagnostik interessant sein könnten, denn in der Atemanalyse gelten bestimmte Moleküle als Marker für Krankheiten. Auch Anwendungen in der Lebensmittelanalyse und -kontrolle sowie in der Umweltanalyse sind denkbar. Das Ziel meiner Arbeit ist es, die Eigenschaften der von uns entwickelten Sensormaterialien besser zu verstehen und ihre Eignung für solche und ähnliche Anwendungen zu optimieren.