Interview mit Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute zum „Kodex Wissenschaftsfreiheit“„Man muss manchmal auch Dinge aushalten, die einem auf den Nerv gehen“
4. Februar 2022, von Tim Schreiber
Foto: UHH/Esfandiari
Die Universität Hamburg hat einen Kodex zum Schutz der wissenschaftlichen Freiheit in ihrem Leitbild verankert. Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute hat die Kommission, die den Kodex erarbeitet hat, geleitet und erklärt die Hintergründe und die wichtigsten Botschaften.
Herr Prof. Trute, was war der Anlass für die Erarbeitung eines Kodex zur Wissenschaftsfreiheit?
Der ganz unmittelbare Grund waren sicherlich die Ereignisse um die Rückkehr von Prof. Lucke und die Proteste bis hin zur Verhinderung von Lehrveranstaltungen. Aber es gab auch einige andere Vorgänge, wie zum Beispiel den Fall einer Kollegin an unserer Uni, der von einem Beauftragten der Bundesregierung wegen ihrer Auffassung zu bestimmten Themen der Entwicklungspolitik negative Konsequenzen angedroht worden sind. Wenn man sich mit dem Thema dann beschäftigt, findet man eine Reihe von Fällen, aber natürlich nicht alle an unserer Universität.
Was sind für Sie die wichtigsten Botschaften des Kodex?
Mir scheint das wichtigste an der Wissenschaftsfreiheit zu sein, dass alle sie auch wirklich leben und dass man die Verantwortung dafür nicht auf Leitungsgremien oder den Staat verschiebt. Es geht um Wissenschaft und den Erkenntnisgewinn und darum, dabei methodisch vorzugehen – aber auch engagiert und gelegentlich auch polemisch. Die Universität ist ein Ort, an dem man Thesen entwickeln und ausprobieren kann und soll. Und es ist wichtig, dass man das nicht skandalisiert. Man muss die Auffassungen und Positionen von Prof. Lucke überhaupt nicht teilen, aber dass er sich auf die Wissenschaftsfreiheit in Gestalt der Lehrfreiheit berufen kann, scheint mir unzweifelhaft. Am Ende sind es Störungen gewesen, die dazu dienten, ihn aus der Universität rauszuhalten. Das ist meines Erachtens ein falsches Verständnis davon, was Wissenschaft ausmacht. Im Übrigen gilt: Man muss manchmal auch Dinge aushalten, die einem auf den Nerv gehen.
Aber Protest ist doch legitim?
Natürlich, aber Veranstaltungen einfach zu sprengen ist dann keine Auseinandersetzung mehr. Das ist schlicht der Versuch, jemanden aus der Wissenschaft herauszudrängen. Und das ist dann kein legitimer Protest mehr. Man muss lernen, in einer Form zu widersprechen, die es dem Gegenüber ermöglicht weiterzumachen.
Der Kodex ist also zu verstehen als eine Stärkung der Wissenschaftsfreiheit und auch als Plädoyer, Konflikte zwar miteinander auszutragen, aber die Freiheit zu bewahren?
Ja, und es ist auch ein Versuch, deutlich zu machen, dass es auch der Solidarität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler braucht. Von den Rängen aus zuzuschauen, wie Virologinnen und Virologen an den Pranger gestellt werden, ist keine gute Haltung. Es ist wichtig, dass Kolleginnen und Kollegen und ebenso die Institutionen dann deutlich zeigen, dass das so nicht geht.
Gibt es denn auch Grenzen der Wissenschaftsfreiheit?
Keine Freiheit ist absolut. Man muss natürlich immer die Freiheit der anderen mitdenken. Das ist fast eine Banalität, gerät aber manchmal in Vergessenheit. Außerdem ist es so, dass es andere legitime Rechtsgüter geben kann, die in Konflikt treten. Nehmen wir das Beispiel Corona und die Einstellung der Lehre und Forschung in Präsenz. Da wird oft die Meinung vertreten, das sei ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit. Selbst wenn es so wäre, gibt es natürlich ein legitimes Interesse, einen solchen Eingriff vorzunehmen mit dem Ziel, die Gesundheit vieler Menschen an der Universität aber auch außerhalb derselben zu schützen. Unter Juristinnen und Juristen ist es normal, dass Rechtsgüter abgestimmt und abgewogen und so auch Freiheiten eingeschränkt werden.
Bringt Wissenschaftsfreiheit auch Pflichten mit sich?
Es gibt sicherlich eine Verpflichtung eines jedes Forschenden, über seine Ergebnisse auch Rechenschaft abzulegen. Das gehört meiner Meinung nach zur Freiheit dazu. Begrenzt wird diese, wenn eine Universität oder eine Fakultät vorgibt, welche Forschungsgegenstände oder Forschungsrichtungen legitim sind und welche nicht. Das geht unseres Erachtens nicht, obwohl es einen gewissen Trend dazu gibt. Das sind zwar eher weiche Regeln, aber es kann Konsequenzen haben, zum Beispiel, dass man kein Geld mehr bekommt.