Zu Besuch im Archiv Hamburger KunstEine Reise in die Kunstszene des vergangenen Jahrhunderts
15. Dezember 2021, von Niklas Keller
Foto: UHH/Keller
Im Keller des geschichtsträchtigen Warburg-Hauses werden Bücher, Fotografien, Bilder, Dias und Korrespondenzen für die Nachwelt erhalten. Felix Krebs sortiert die Dokumente und gibt Zugang zu den Aktenordnern und Pappschachteln, in denen Informationen zur Hamburger Kunst des 20. Jahrhunderts gelagert werden. Einblicke in das verborgene Untergeschoss in der Heilwigstraße.
Der Weg in das Archiv Hamburger Kunst führt die Kellertreppe des Warburg-Hauses hinab, über den samtig grünen Teppich bis zu einer weißen Tür. Hinter dieser türmen sich auf den Wandregalen Ordner, Schachteln und Bücher auf. Gelbe quadratische Haftnotizen kennzeichnen, was sich darin verbirgt. Zwischen den Regalen, in dem nur rund zwölf Quadratmeter großen Raum, stehen zwei Tische: Einer dient als Ablage, der andere ist der Arbeitsplatz von Felix Krebs.
Krebs ist studentische Hilfskraft und fünf Stunden die Woche vor Ort. Er studiert Kunstgeschichte an der Universität Hamburg und ist spezialisiert auf Sammlungsgeschichte und die sogenannte Provenienzforschung, die sich der Herkunft von Kunstgütern widmet. Der Student ermöglicht Interessierten Zugang zum Archiv Hamburger Kunst und kümmert sich um die Organisation und die systematische Durchsicht der Sammlungsgegenstände – auch Tiefenerschließung genannt.
Viel Geschichte in der Heilwigstraße
Für das Archiv zur Hamburger Kunstgeschichte gäbe es wohl keinen besseren Lagerplatz, als die Räume des Warburg-Hauses in der Heilwigstraße 116. Denn hier liegt Geschichte in der Luft. Als Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg wurde das Gebäude von 1925 bis 1926 im Auftrag von Aby Warburg errichtet – direkt neben dessen damaligen Wohnhaus in der Heilwigstraße 114. Der jüdische Kunsthistoriker stammte aus der bekannten Bankiersfamilie Warburg, hatte mit seiner Leidenschaft für die Kunst jedoch völlig andere Pläne als seine Verwandten.
„Herzstück des heutigen Warburg-Hauses ist der Wissensraum in elliptischer Form, eine Art Bühne für die Wissenschaft“, erzählt Felix Krebs. Dort ist auch die Kulturwissenschaftliche Bibliothek angesiedelt, die 1933 in einer Nacht- und Nebelaktion nach London ins heutige Warburg Institute gebracht wurde – um es dem Zugriff der Nationalsozialisten zu entziehen.
In den 1950er Jahren hatte unter anderem die Neue Deutsche Wochenschau Gesellschaft ihren Sitz im heutigen Warburg-Haus und produzierte dort die erste Ausgabe der Tagesschau. Erst in den 1990er Jahren erwarb und renovierte die Stadt Hamburg das Gebäude. Heute versteht sich das Haus als interdisziplinäres Forum für Kunst- und Kulturwissenschaften. Es ist eine Einrichtung der Aby-Warburg-Stiftung und der Universität Hamburg und widmet sich der geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschung.
Die Hamburger Kunstszene auf zwölf Quadratmetern
„Im Archiv Hamburger Kunst befinden sich Informationen, Korrespondenzen, Zeitungsausschnitte und Werkverzeichnisse von vielen Hamburger Künstlerinnen und Künstlern aus dem 20. Jahrhundert“, erzählt Krebs. Schwerpunkt des Archivs sei das Bruhns-Archiv, das Kunsthistorikerin Dr. Maike Bruhns in jahrzehntelanger Recherchearbeit angelegt hat. Insgesamt 173 Aktenordner umfasst die Sammlung. In ihnen befinden sich Aufzeichnungen bis in die 70er Jahre hinein. „Vor allem Kopien, aber auch einige Originale“, so Krebs.
Felix Krebs wendet viel Zeit dafür auf, das Archiv zu organisieren und die Unterlagen zu analysieren. Wenn er Anfragen bekommt, nimmt sich der Student eines von zwei Büchern zur Hand, die Maike Bruhns 2001 veröffentlicht hat. Hier seien die meisten Künstlerinnen und Künstler des Archivs detailliert dokumentiert, erzählt er. Mit Bruhns ist Felix Krebs auch heute noch in gutem Kontakt. „Zurzeit fehlt der Ordner Nummer 80. Der liegt gerade bei Maike Bruhns zu Hause, um mit neuen Informationen und Dokumenten bestückt zu werden“, erzählt Krebs und zeigt auf das Regal, in dem der Ordner normalerweise steht.
Neben dem Archiv von Maike Bruhns befindet sich auch eine Sammlung von Carl-Walter Kottnik in den Wandregalen. Der Kunstmäzen steuerte Bücher und Aufzeichnungen zu den sogenannten ASSO-Künstlern bei, ein Zusammenschluss kommunistischer Künstler, deren Verbund 1933 von den Nationalsozialisten verboten wurde. Im Kottnik-Archiv sind mittlerweile Informationen zu ungefähr einhundert dieser Künstler einzusehen.
Der Nachlass von Albert Woebcke
„Meine Lieblingsstücke des Archivs befinden sich im Nachlass von Albert Woebcke“, so Krebs. Von dem 1980 verstorbenen Bildhauer stehen noch heute einige Aktstatuen im Hamburger Stadtgebiet. Im Hamburger Archiv sind viele Originalbilder verstaut, die Woebcke während seiner Studienzeit und im Laufe seines Lebens angefertigt hat. „Einige Bilder haben eine gewisse Nähe zu Picasso und sind vermutlich aus den 50er Jahren“, sagt Krebs. „Leider ist Woebcke mittlerweile etwas in Vergessenheit geraten.“
Um den altersbedingten Zerfall der Werke zu verzögern, werden viele Dokumente in säurefreiem Papier gelagert. Auch die Werke von Albert Woebcke werden so aufbewahrt. Krebs öffnet eine Schachtel und nimmt den Ausweis für ehemalige politische Gefangene des Hamburger Künstlers Gustav Andersdotterson in die Hand, der nach dessen Inhaftierung im Konzentrationslager und dem Gefängnis Fuhlsbüttel ausgestellt wurde. Das Papier scheint seine besten Tage hinter sich zu haben, die Ränder sind brüchig. „Das sich im Holz befindliche Lignin setzt Säuren frei, die das Papier angreifen. Mittlerweile wird bei der Papierproduktion Lignin von der Zellulose getrennt, sodass Papier nun langfristig haltbar ist“, erklärt er.
Um die Sammlungen bestmöglich zu schützen, verlagert Felix Krebs die Dokumente immer wieder in geeignetere Positionen. „Papier sollte eher im Liegen aufbewahrt werden, damit nichts hängt oder knittert.“ Aus diesem Grund sollen die Dokumente in den Aktenordnern zukünftig in Papierkartons gelagert werden. Auch Sonneneinstrahlung kann negative Auswirkungen auf das Archiv haben. „In der Regel sind die Jalousien an den Fenstern zum Vorgarten durchgehend unten, um das Papier vor dem UV-Licht zu schützen“, so Krebs.
Einfacherer Zugang zum Archiv
Im Jahr bekommt Felix Krebs durchschnittlich 15 bis 25 Anfragen zur Sammlung: „In der Regel melden sich Privatpersonen, freischaffende Künstlerinnen und Künstler, sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Aber auch Unternehmen, die ihre Institutionsgeschichte aufarbeiten möchten.“ Um einen besseren Überblick über das Archiv zu bekommen, plant Krebs eine Übersicht über das gesamte Werk, inklusive Künstlerinnen und Künstler, Briefwechsel, Nachlässe und Bücher. „Ich möchte eine solche Zusammenfassung gern online anbieten, damit Interessierte auf einen Blick einsehen können, was im Archiv Hamburger Kunst archiviert ist“, so Krebs. Damit erhofft er sich auch mehr Anfragen, um die Öffentlichkeit am Bestand teilhaben zu lassen. „Für das Papier ist es gut, wenn das Archiv so wenig wie möglich eingesehen wird. Gleichzeitig ist es schade, wenn kaum jemand die Sammlung anschaut.“ Einige Objekte sollen auch in FUNDus, dem Sammlungsportal der Universität Hamburg, zugänglich gemacht werden. Zum Beispiel die Audio-Kassetten mit Künstlerinterviews, die von Carl-Walter Kottnik geführt wurden.
Felix Krebs hat noch eine weitere Idee, wie er das Archiv den Menschen näherbringen könnte. „Ich würde sehr gern im Foyer im Warburg-Haus eine Ausstellung organisieren – zum Beispiel mit den Bildern von Albert Woebcke“, sagt Krebs. Einen weiten Transportweg hätten die Bilder schließlich nicht – sie müssten nur die Kellertreppe hinauf.
Weitere Informationen
Eine Übersicht über die Bestandteile der Sammlung ist auf der Webseite des Archivs Hamburger Kunst zu finden.