Prof. Dr. Beate Ratter über die Auswirkungen und den Umgang mit Katastrophen in Deutschland„Viele denken bei Klimawandel an Bangladesch oder Kalifornien“
30. August 2021, von Tim Schreiber
Foto: Martin Seifert
Seit der Hochwasserkatastrophe in Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind einige Wochen vergangen – die Aufräumarbeiten werden aber noch lange andauern. Die Geografin Prof. Dr. Beate Ratter erklärt, was die Lehren für künftige Extremwetterereignisse sein sollten.
Die Berichterstattung über das Hochwasser ist weniger geworden, die Themen Klimawandel und Extremwetterereignisse werden aber nicht verschwinden. Was ist aus Ihrer Sicht nun mit Blick auf die Zukunft politisch und gesellschaftlich wichtig?
Erstens zeigen die Zwischenfälle, dass Katastrophenschutz und Katastrophenvorsorge Teil einer Klimaanpassungsstrategie sein sollten. Es ist klar, dass alle Regionen dieser Welt und somit auch Deutschland auf die eine oder andere Art vom Klimawandel betroffen sein werden – ob Starkregen, Waldbrände oder auch Hitzewellen.
Zweitens muss die Politik und die Wissenschaft in die Gesellschaft hineinwirken, denn es ist deutlich geworden, dass das individuelle Risikobewusstsein der Menschen nicht ausreichend vorhanden ist. Da gibt es eine Art psychologische Distanz. Der Klimawandel wird in Deutschland zwar gesehen, aber viele denken bei den Auswirkungen an Bangladesch, Kalifornien oder Australien und sind überzeugt: Bei uns kann das doch nicht passieren. Dort muss angesetzt werden. Ich wurde kürzlich gefragt, was die Politik nun tun sollte und ich habe gesagt: Bitte keinen weiteren Bericht! Wir haben davon so viele im Regal liegen. Wir müssen stattdessen lernen, mit den Menschen gemeinsam ein Bewusstsein und Handlungsroutinen zu entwickeln.
Die Diskussion um Sirenen oder Warn-Apps führt nicht weit genug?
Nein, denn es nützt nichts, eine Warnung über eine App zu bekommen, wenn ich nicht weiß, was ich zu tun habe. Und auch einen Sirenen-Alarm muss man deuten können. Das heißt, es ist extrem wichtig, zu schulen, wie mit einem Risiko umzugehen ist. Wir haben uns in einem unserer Forschungsprojekte mit Extremereignissen in Ostfriesland beschäftigt. Dort haben wir sehr eng mit dem Katastrophenschutz und der Feuerwehr zusammengearbeitet. Die verteilen an alle Haushalte Informationsblätter und da steht drin, was die Menschen alles bereithalten sollen für den Notfall. Das kenne ich aus Hamburg zum Beispiel nicht. Es muss aber normal werden, mit Katastrophen umgehen zu können.
Warum haben wir den Umgang verlernt?
Das liegt zum großen Teil daran, dass wir kein Verständnis mehr für natürliche Phänomene und Topographien haben und auch zu wenig Erinnerungskultur. Im Ahrtal war es nicht die erste Überschwemmung, sondern ein Höhepunkt in einer Kette von Überschwemmungen. Die Menschen vor Ort haben aber in den Medien immer wieder beteuert, dass sie so etwas noch nie erlebt hätten und nicht für möglich gehalten haben.
Wir arbeiten viel zu Hamburg und der Sturmflut 1962 und dazu, wie die Erinnerung daran aktiv gehalten werden kann. Bis heute haben wir in Hamburg eine kollektive Erinnerung, wir nennen das auch einen Erinnerungsanker. Das ist ein Fixpunkt an dem wir unsere Katastrophenerinnerung festmachen können. Mehr als 300 Tote in Hamburg waren 1962 aber auch ein Schock. In der Forschung ist klar: Es können Millionen von Schäden entstehen, aber das Aufrütteln passiert durch Tote.
Sie forschen auch zum Risikobewusstsein der Menschen in Hamburg. Wie sind die neuesten Ergebnisse?
Wir machen seit 14 Jahren eine jährliche Umfrage dazu und grundsätzlich wissen die Hamburgerinnen und Hamburger, dass der Klimawandel da ist, wenn auch eher abstrakt. Wenn man sich die Entwicklung anschaut, fühlen sich mittlerweile immerhin 54 Prozent der Befragten persönlich betroffen und gefährdet. Für viele in Hamburg ist Klimawandel aber gleichzusetzen mit Sturmflut – und gegen Sturmflut schützt uns die Stadt. Dadurch ist für viele die Verantwortung verlagert. Aber es gibt auch andere Gefahren, das hat man zum Beispiel beim Starkregen 2018 im Hamburger Osten gesehen. Dort gab es große Schäden und die Kanalisation kam an ihre Grenzen. Ähnliches sehen wir übrigens auch in Ostfriesland mit dem Tornado, der gerade über 50 Häuser demoliert hat. Stürme sind nichts Ungewöhnliches an der Nordseeküste, aber über ein solches Ausmaß war nicht nur die Bevölkerung überrascht. Wir beschäftigen uns dort bei unserem derzeitigen Projekt WAKOS mit Extremereignisbündel – der Gefahr von gleichzeitig auftretenden Stürmen, Starkregen, Sturmfluten und dem Meeresspiegelanstieg. Solche Ereignisbündel werden in Zukunft zunehmen.
Wie ist Hamburg grundsätzlich auf Wetterextreme aufgestellt?
Bei Sturmfluten sind wir gut aufgestellt. Bei Starkregenereignissen eher mittelgut, da gibt es zum Beispiel Nachholbedarf bei der Kanalisation und den Regenrückhaltebecken. Für den Fall von Hitzewellen versucht die Stadt mit dem Klimaplan Hamburg gerade sehr viel zu machen, zum Beispiel Dachbegrünungen oder grüne Fassaden, also die Möglichkeit Kälte und Wärme über Begrünung auszutauschen. Das wird angegangen und umgesetzt, wobei das durch die Nachverdichtungspolitik der Stadtentwicklung meines Erachtens auch wieder untergraben wird. Ich will Hamburg aber nicht schlechtmachen, wir stehen gut da. Es gibt einen ambitionierten Klimaplan und zum Beispiel auch eine Risiko-Überschwemmungskarte.
Und was können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tun?
Wir haben in unserer Arbeitsgruppe angefangen, uns zu überlegen, wie wir auf die Naturentfremdung der Menschen eingehen können und auf welcher Ebene wir dagegen etwas tun können. Ich glaube, es ist extrem wichtig, in die Gesellschaft hineinzugehen und das Thema zu vergemeinschaften – also zu zeigen, dass jeder etwas beitragen kann und keiner alleine ist. Wir haben ein Handlungsdefizit nicht aus Unvermögen, sondern aus Unkenntnis. Und da kann man ansetzen – gerade als Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler.