Sorgen um ehemalige Mitarbeitende in Afghanistan„Junge Leute, die an eine bessere Zukunft ihres Landes glaubten“
25. August 2021, von Christina Krätzig
Islamwissenschaftler der Universität Hamburg sind in den vergangenen Jahren wiederholt in Afghanistan gewesen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Nationalmuseums in Kabul auszubilden oder um dort zu forschen. Nun versuchen sie, eine noch im Land befindliche Akademikerin über den DAAD nach Deutschland zu bringen.
Die Stadt Balch im Norden von Afghanistan gehört zu den ältesten Städten der Welt. Sie galt als märchenhaft reich und war das Zentrum des mächtigen baktrischen Reichs, das im 3. Jahrhundert vor Christus von Alexander dem Großen erobert wurde. Später folgten buddhistische und islamische Herrscher.
„Sie alle haben Spuren hinterlassen, beispielsweise Münzen, mit denen sie bezahlten. Diese Münzen geben Aufschluss über die Siedlungsgeschichte der Stadt Balch und über die Handelsbeziehungen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner“, erklärt der Islamwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Heidemann. Er war 2012 und 2013 in Afghanistan, um Münzfunde einer Ausgrabung unter französischer Leitung im Rahmen eines internationalen Projektes zur islamischen Geschichte der Stadt zu sichern und zu interpretieren.
Arbeit unter Feldbedingungen: in Toiletten, die notwendigen Chemikalien kommen per Post
Heidemann und sein Team arbeitete an der Aufarbeitung der Funde, die sich in Dutzenden von Aluminiumkisten verpackt im französischen archäologischen Institut in Kabul befanden: Klumpen aus Stein, Sand und Kupfer, die Uneingeweihten kaum als Münzfunde aufgefallen wären. Dafür baute er in den Waschräumen des Institutes ein Restaurierungswerkstatt auf, denn in den Laboren des Nationalmuseums gab es kein fließendes Wasser. Die notwendigen Chemikalien für die Konservierung ließ er per Versand nach Kabul liefern.
Zusammen mit einem Mitarbeiter bildete er Angestellte des Nationalmuseums aus: einheimische Frauen und Männer, die an der Universität in Kabul studiert und anschließend eine Anstellung im Museum bekommen hatten. „Es waren hoch motivierte junge Leute, die an eine bessere Zukunft ihres Landes glaubten“, sagt er. „Ihre Arbeit war nur unter den Bedingungen möglich, die die internationale Schutztruppe geschaffen hatte. Sie schuf ab 2001 ein Klima, in dem die Ausbildung einer neuen Generation möglich war – etwas, was jetzt zerstört wird.“
Aus den mails der Zurückgebliebenen spricht die Verzweiflung
Wie andere Expertinnen und Experten auch weist Heidemann darauf hin, dass die Taliban nicht mit dem afghanischen Volk oder gar mit „dem Islam“ gleichzusetzen seien: „Es ist eine terroristische Gruppe mit apokalyptischen Vorstellungen, die Menschen, die ich als freundlich und aufgeschlossen erlebt habe, in ihrem eigenen Land terrorisieren“, erklärt er. Auf die kürzlich öffentlich gewordenen Verlautbarungen der Taliban, Frauen in Zukunft anders behandeln zu wollen, gibt der Islamwissenschaftler nichts: „Für diese selbsternannten Gotteskrieger zählen Versprechungen, die sie Ungläubigen gegenüber machen, nicht“, erklärt er. „Sobald die amerikanischen Truppen abgezogen sind, befürchte ich, dass es zu Massakern an religiösen Minderheiten und an den gebildeten Schichten kommen wird – wie schon bei der vorherigen Machtübernahme durch die Taliban.“
Über E-Mail und die sozialen Medien steht Heidemann noch immer in Verbindung zu seinen ehemaligen Schülerinnen und Schülern. Viele sind bereits ins Ausland geflüchtet, doch eine junge Frau befindet sich nach wie vor in Kabul. „Aus ihren Nachrichten spricht die Verzweiflung“, sagt er. Fieberhaft hat er in der vergangenen Woche daran gearbeitet, sie über den DAAD auf die Vorschlagliste für einen Evakuierungsflug setzen zu lassen, unterstützt von der Leitung der Universität Hamburg. Dies ist nun auch gelungen. Ob sie es jedoch tatsächlich noch schaffen wird, das Land zu verlassen, ist unklar.