„Myon g-2“-Experiment elektrisiert Teilchenphysik„Die Abweichung ist auch für unser Exzellenzcluster interessant“
13. April 2021, von Anna Priebe
Foto: M. Haverkamp
Ein internationales Experiment bewegt die Teilchenphysik. Die Ergebnisse betreffen auch das Exzellenzcluster „Quantum Universe“, denn sie könnten Hinweise auf die Bestandteile Dunkler Materie geben. Prof. Dr. Johannes Haller, Professor für Experimentelle Teilchenphysik mit Schwerpunkt Collider-Physik und leitender Wissenschaftler des Clusters, erklärt das Experiment und die Folgen für die Forschung.
Vergangene Woche wurden die Ergebnisse des sogenannten „Myon g-2“-Experiments verkündet und in den Medien war von einer neuen Teilchenphysik die Rede. Wie haben Sie die Verkündung erlebt?
Wir haben uns in der Arbeitsgruppe die Verkündung live angehört. Wir wussten natürlich, woran unsere internationalen Fachkolleginnen und -kollegen arbeiten und wir waren sehr gespannt auf dieses heiß erwartete experimentelle Ergebnis. Vor rund 20 Jahren hatte man in einem Experiment mit sogenannten Myonen, einer Teilchenart, eine Abweichung vom Standardmodell der Physik gemessen. Das Modell beschreibt alle bekannten Teilchen unseres Universums und ihre Eigenschaften. Es gab lange nur diese eine Abweichung und es hätte sich um einen Fehler im damaligen Experiment handeln können, aber jetzt wurde die Abweichung bestätigt.
Was genau wurde bei dem Experiment am Fermilab in Chicago untersucht?
Konkret geht es um das magnetische Moment von Myonen. Das sind Teilchen, die auch in unserer oberen Atmosphäre erzeugt werden – durch hochenergetische Teilchen, die aus dem Kosmos kommen. Die meisten Elementarteilchen – zum Beispiel Elektronen und Protonen, aber auch Myonen – haben Eigenschaften wie kleine Kompassnadeln, die sich in einem Magnetfeld ausrichten. Wenn man die Kompassnadel anstößt, dreht sie sich wie ein Kreisel. Auch das magnetische Moment der Teilchen dreht sich, wenn sie zum Beispiel in ein elektromagnetisches Feld geleitet werden.
Wie schnell bzw. stark es sich dreht, hängt vom Teilchen und der Größe des Magneten ab. Durch theoretische Berechnungen kann man das Moment für jedes Teilchen genau vorhersagen. In den Berechnungen werden auch die Einflüsse der umgebenen Teilchen berücksichtigt. Beim Myon passen diese Vorhersage und die experimentellen Ergebnisse aber nicht zusammen. Das magnetische Moment des Myons ist größer als berechnet – und das jetzt schon zum zweiten Mal.
Wie wurde das untersucht?
Man hat im Fermilab, einem großen Teilchenbeschleunigerlabor in den USA, die Experimente von vor 20 Jahren, bei dem die erste Abweichung festgestellt wurde, nachgebaut. Dafür wurde der 15 Meter große Magnetring von New York über das Meer und den Mississippi nach Chicago gebracht, um dort das Experiment unter verbesserten Bedingungen wiederaufzubauen.
Die Myonen sind instabil und existieren ungefähr zwei Mikrosekunden, dann zerfallen sie. Für das Experiment hat man sie hergestellt und in den Versuchsaufbau gegeben. Dort fliegen sie in einem Magnetfeld immer im Kreis. Hinzu kommt die beschriebene eigene Ausrichtung des Teilchens. Wenn die Myonen zerfallen, emittieren sie Elektronen. Mit den Detektoren, die rund um den Ring aufgestellt sind, kann man diese messen und aus ihrer Richtung und Energie das magnetische Moment der Myonen rekonstruieren. Bei dieser Größe, „g“ genannt, kam es jetzt erneut zur Abweichungen und das neue Experiment hat damit das Ergebnis des alten bestätigt.
Was könnten die Ergebnisse bedeuten?
Durch die Abweichung liegt schnell der Schluss nahe, dass es vielleicht neue, bisher unbekannte Teilchen gibt, die in der Berechnung nicht aufgenommen wurden, aber in der Welt und um das Myon herum existieren. Schon nach der ersten nachgewiesenen Abweichung waren alle elektrisiert und es gibt inzwischen viele hundert Theoriepapiere, die versuchen, diese Abweichung zu erklären.
Durch die Abweichung liegt schnell der Schluss nahe, dass es vielleicht neue, bisher unbekannte Teilchen gibt.
Wie geht es nun weiter?
Man wird sich dem Problem von zwei Seiten nähern. Zum einen wird man die noch ausstehenden Daten des Experiments auswerten. Das war jetzt ja nur ein kleiner Teil der Messungen. Dann hat man mehr Myonen untersucht, kann genauere Angaben machen und die Ergebnisse weiter bestätigen.
Zum anderen gibt es aber auch die Möglichkeit die Berechnungen weiter zu verbessern. Die Abweichungen zwischen Theorie und Messwert ergeben sich nämlich vor allem mit einer bestimmten Berechnungsmethode. Es gibt aber auch eine alternative Rechenmethode, die zurzeit noch weniger genau ist, deren Ergebnis aber mit dem Messwert übereinstimmt. Wenn diese Rechnungen sich also bewähren, kann es auch sein, dass es gar kein neues Teilchen gibt und eher Unklarheiten im theoretischen Verständnis vorliegen.
Was bedeutet das für Ihre Arbeit und die Arbeit des Exzellenclusters „Quantum Universe“?
Bleibt die Abweichung bestehen, müsste man dann durch theoretische Überlegungen und weitere Experimente versuchen, die möglichen verursachenden Teilchen weiter einzugrenzen. Und da kommt dann auch unser Exzellenzcluster ins Spiel. Denn auch Bestandteile der Dunklen Materie, die wir hier in Hamburg erforschen, oder neue Theorien zum Higgs-Teilchen sind als Ursache denkbar.
Wir wissen aus konzeptionellen Überlegungen, dass es Physik jenseits des Standardmodells geben muss. Ob die für uns allerdings experimentell zugänglich sind, das ist eine andere Frage. Wenn sich herausstellt, dass hier wirklich ein anderes Teilchen involviert ist, wäre das ein erster Hinweis darauf und das Standardmodell müsste entsprechend erweitert werden. Das Finden ist dann ein gemeinsamer Einsatz von Theorie und Praxis. Am Teilchenbeschleuniger „Large Hadron Collider“ am CERN in Genf, an dem wir auch arbeiten, werden zahlreiche experimentelle Suchen zu neuen Teilchen durchgeführt.
Interessanterweise wurden dort bei Myonen auch noch andere Abweichungen vom Standardmodell gemessen. Es gibt also inzwischen zwei Abweichungen und auch Theorien, die diese beiden miteinander in Verbindung setzen. Die Zusammenhänge sind aber noch völlig unklar. Es bleibt also spannend.
Der Exzellenzcluster „Quantum Universe“
Der Exzellenzcluster „Quantum Universe“ beschäftigt sich mit grundlegenden Fragestellungen rund um den Ursprung, die Geschichte und die Zusammensetzung des Universums: Wie hat sich das Universum kurz nach dem Urknall entwickelt? Was ist Dunkle Materie und wie ist sie entstanden? Und wie beeinflussen Teilchenphysik und Gravitation die Entwicklung des Universums? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Exzellenzclusters konzentrieren sich dabei auf das Verständnis von Masse und Gravitation gerade an der faszinierenden Schnittstelle zwischen Quantenphysik und Kosmologie. Die Forschungsarbeiten reichen von der Entwicklung mathematisch-theoretischer Modelle über das Studium der Physik des Higgs-Teilchens bis hin zu theoretischen und experimentellen Arbeiten zur Suche nach Dunkler Materie sowie zu Gravitationswellen als Fenster in das frühe Universum. Am Cluster sind mehr als 200 Forschende aus Physik und Mathematik beteiligt.
Das Experiment
An dem Experiment waren mehr als 200 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 35 Institutionen beteiligt. Es wurde am „Fermi National Accelerator Laboratory“ (Fermilab) in Chicago durchgeführt und bestätigte ein Ergebnis von vor 20 Jahren, das damals im „Brookhaven National Laboratory“ in New York erstmals eine Abweichung vom Standardmodell der Physik erbracht hatte. Im ersten Messungsdurchlauf, dessen Ergebnisse jetzt veröffentlicht wurden, wurden mehr als acht Milliarden Myonen analysiert. Das entspricht nur rund sechs Prozent der erhobenen Daten. Die Ergebnisse des zweiten und dritten Durchlaufs werden zurzeit ausgewertet, ein vierter wird gerade durchgeführt und ein fünfter ist in Planung.