Digitales Unterrichten„Studierende finden die Lehrvideos sehr hilfreich“
6. Januar 2021, von Tim Schreiber
Foto: Benjamin Grimm-Lebsanft
Während der Corona-Pandemie muss die Lehre an der Universität Hamburg ins Digitale verlegt werden. In einer Interviewserie sprechen Dozierende über Herausforderungen, Lösungen – und über Veränderungen, die auch nach der Pandemie bleiben könnten. Heute: Physiker Prof. Dr. Michael Rübhausen.
Wie war der plötzliche Umstieg auf digitale Lehre im Sommersemester für Sie?
Es war eine riesige Herausforderung für mich nach der kurzfristigen Ankündigung des digitalen Semesters die Vorlesung zu organisieren. Ich bin schnell zu dem Schluss gekommen, dass die Formate verändert werden müssen, weil digitale Veranstaltungen anders konsumiert und verarbeitet werden. Die Themen mussten kompakter gehalten werden. Ich habe deshalb eine Lehrveranstaltung von 90 Minuten in drei Einheiten zu je 30 Minuten aufgeteilt. Dazu habe ich Lehrvideos produziert und diese anstelle von Vorlesungen asynchron zum Download zur Verfügung gestellt.
Wie haben Sie die Lehrvideos produziert?
Ich hatte zum Glück schon viel Erfahrung mit Schnittsoftware. Zudem habe ich privat in Technik investiert: zwei neue Kameras, Mikrofone und Festplatten. Die Studierenden finden die Lehrvideos sehr hilfreich, weil sie sich diese immer wieder anschauen können. Das bedeutet auf der anderen Seite, dass die Vorlesung so präzise wie möglich formuliert sein muss. Qualitätssicherung ist also wichtig. Zusammen mit den Übungsgruppenleiterinnen und Übungsgruppenleitern habe ich im Team gearbeitet und die Videos vor der Veröffentlichung optimiert. Dies war neu für mich, denn in einer interaktiven Präsenzveranstaltung entsteht immer automatisch ein Gespräch mit den Studierenden, welches Inhalte präzisiert und zu einem gemeinsamen Lernprozess führt.
Wie haben Sie versucht, die Interaktion mit den Studierenden zu organisieren?
Digitale Formate haben nicht den gleichen Interaktionsgrad wie Präsenzveranstaltungen, in denen man ganz klassisch anfängt zu diskutieren. Die Lehrvideos entsprechen daher vollständigen Lerneinheiten, inklusive Ziel- und Leitfragen am Ende jeden Moduls. Außerdem haben wir Übungsgruppen von vorher 15 Studierenden in Kleingruppen unterteilt, mit je drei oder vier Teilnehmenden. Die Studierenden mussten dort jede Woche etwas präsentieren. Das hat sehr gut funktioniert. Wir haben auch keine Übungsaufgaben auf klassischen Zetteln mehr ausgegeben und diese korrigiert, sondern Präsentationen machen lassen und diese mit einem direkten Feedback versehen. Dafür haben wir innerhalb unseres Teams der Lehrenden wöchentliche Vorbesprechungen der Übungsaufgaben durchgeführt. So sind wir von den Zetteln zu guten inhaltlichen Diskussionen gekommen. Zusätzlich habe ich eine digitale Sprechstunde eingeführt.
Ich mache jetzt jede Woche zusätzlich eine Diskussions- veranstaltung über Zoom.
Wie erleben Sie die Interaktion bei digitalen Lehrveranstaltungen?
Kleine Gruppen sind gut, da sie es ermöglichen, alle Teilnehmenden zu sehen. Vorlesungen mit 30, 40 oder bis zu 100 Menschen werden hingegen schnell sehr anonym und machen in meinen Augen nicht viel Sinn. Kommunikation ist mehr als nur das Verbale, es läuft auch viel indirekt und unbewusst. Wenn Studierende unruhig werden oder mal auf ihr Smartphone schauen, nehme ich das als Dozent digital kaum wahr. Man weiß nicht, ob alles so ankommt, wie gewünscht. Das finde ich unbefriedigend. Das ist der größte Nachteil von digitalen Formaten und ich sehe dafür auch leider keine Lösung.
Haben Sie im digitalen Wintersemester etwas verändert?
Ich fühlte mich im Sommersemester etwas unwohl, weil es zu wenig Interaktion gab. Ich mache jetzt jede Woche zusätzlich eine Diskussionsveranstaltung über Zoom nachdem die Lehrvideos bearbeitet worden sind mit allen Studierenden. Dadurch habe ich noch eine weitere interaktive Ebene eingeführt. Ich bekomme immer schon vor der Diskussionsveranstaltung viele spannende Fragen über die ich mich sehr freue.
Hat die digitale Lehre aus Ihrer Sicht auch Vorteile?
Der Vorteil ist das individualisierte Lernen. Die Universität wird ja immer mehr mit heterogenen Lerngruppen konfrontiert, also mit Absolventinnen und Absolventen, die unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Im ersten Semester muss es immer auch darum gehen, die individuellen Schwächen aufzuarbeiten. Ich glaube schon, dass es sinnvoll sein kann, Lehrvideos zu bestimmten Themen bereit zu stellen, die dann bei Bedarf genutzt werden können, um Defizite auszugleichen. Man kann nicht pauschal sagen, dass digitale Lehre immer schlechter ist als Präsenzlehre oder umgekehrt. Beides hat Vor- und Nachteile. Wir sollten beides unbedingt weiterentwickeln und über geeignete Kombinationen nachdenken.
Was wird von der digitalen Lehre bleiben, wenn Lehre wie vor der Pandemie wieder möglich sein wird?
Eine Universität ohne Präsenzlehre ist unvorstellbar. Aber eine Verbesserung der Präsenzlehre mit intelligenter digitaler Lehre ist absolut sinnvoll. Wir haben in der Pandemie alle toll improvisiert, aber wir können noch vieles lernen und uns weiterentwickeln. Warum nicht Vorwissen digital aneignen und sich dann in der Präsenzlehre auf das konzentrieren, was die Präsenzlehre ausmacht: die Interaktion. Außerdem starten wir in der Physik das Semester oft schon vor dem Vorlesungsbeginn, zum Beispiel mit mathematischen Vorkursen. Dafür können wir gut digitale Lehre verwenden, vielleicht auch in Zusammenarbeit mit den Schulen. Brüche in Bildungszyklen entstehen meist bei den Übergängen zwischen den Bildungseinrichtungen. Warum dafür nicht digitale Lehre nutzen und Übergänge mit passenden Lehrangeboten besser gestalten? Dadurch könnten vielleicht die Abbruchquoten gesenkt werden.
Zur Person
Prof. Dr. Michael A. Rübhausen ist Arbeitsgruppenleiter am Center for Free-Electron Laser Science. Er beschäftigt sich mit biochemischen Prozessen und nanostrukturierten Festkörpern und nutzt dafür modernste Laserquellen. Im Sommersemester 2020, dem ersten pandemiebedingten digitalen Semester, unterrichtete er Nanostrukturphysik A – eine Einführung in die Festkörperphysik für Studierende der Nanowissenschaften. Im aktuellen Semester lehrt Prof. Rübhausen die weiterführende Veranstaltung Nanostrukturphysik B zusammen mit Dr. Elena Vedmedenko sowie eine Einführung in numerische Methoden für Nanowissenschaftlerinnen und Nanowissenschaftler zusammen mit Prof. Dr. Gabriel Bester.
Angebote des HUL
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