„Traut euch, euch etwas zu wünschen“Wie man optimistisch ins neue Jahr kommt
22. Dezember 2020, von Anna Priebe

Foto: pixabay/nidan
Ein anstrengendes Jahr ist zu Ende, die Pandemie geht weiter. Wie man trotzdem optimistisch zurück und vor allem nach vorne blicken kann, verrät Prof. Dr. Gabriele Oettingen, Professorin für Pädagogische Psychologie und Motivation an der Universität Hamburg.
Zu Weihnachten und Silvester lassen viele das vergangene Jahr Revue passieren. Was kann man machen, um da bei 2020 nicht zu verzweifeln?
Wenn man auf das vergangene Jahr zurückschaut, kommen einem leicht „Wenn bloß“-Gedanken, also „Wenn bloß die Pandemie nicht wäre, dann hätte ich dies oder jenes machen können“. Dieses kontrafaktische Denken ist in Situationen, an denen man wie bei einer Pandemie im Grunde nichts ändern kann, quälend und lässt einen leicht verzweifeln. Es produziert oft Bedauern, Enttäuschung, Stress und Groll auf andere, denen man die Schuld gibt.
Unsere Forschung hat gezeigt, wie man sich von diesem Denken lösen kann, indem man die Realität annimmt. Was einem dann bleibt, ist, nach vorne zu schauen und Tag für Tag weiter zu machen. Wir können nicht in weit planen, aber man kann sich für die nähere Zukunft etwas vornehmen, was Freude bringt oder was man schon länger machen wollte: eine Mail an einen alten Freund schreiben, ein gutes Buch lesen oder doch mal den Kleiderschrank aufräumen. Es sind diese kleinen Dinge, die einen aus dem Groll und aus der Enttäuschung um die Entwicklungen herausholen. Aber man muss sich trauen. Daher: Traut Euch, Euch etwas zu wünschen.
Wie hilft das, wenn es draußen dunkel und grau ist?
Man kann sich auch für den grauen Tag etwas wünschen, auch wenn es nur etwas Kleines, Kurzfristiges ist. Etwas, das man realisieren kann, das einen aber ein bisschen herausfordert und das einen Szenenwechsel bringt. Das kann zum Beispiel ein Telefonat mit der Freundin, ein Abendspaziergang zur Alster oder das Backen von Weihnachtsplätzchen sein.
Dann muss man aber noch aktiv werden.
Schon der Wunsch hebt die Stimmung, aber zum Handeln braucht es mehr. Hier hilft eine mentale Strategie, die wir in der wissenschaftlichen Literatur mentales Kontrastieren nennen. Der Wunsch wird der Realität gegenübergestellt und man überlegt sich, was es in einem selbst ist, das der Wunscherfüllung im Weg steht. Dieses innere Hindernis kann eine Emotion wie Angst sein, eine schlechte Angewohnheit oder auch eine irrationale Überzeugung wie „das kann ich nicht“.
Das Erkennen des inneren Hindernisses gibt einem die Energie und die konkrete Idee, um das Hindernis zu überwinden. Und wenn es einfach nur ist: Sich die Schuhe anzuziehen und den ersten Schritt vor die Tür hin zur Alster zu machen. Wenn das Hindernis zu groß ist, weil ich zum Beispiel meine Kinder nicht alleine lassen oder einen lang vereinbarten Termin einhalten möchte, dann werde ich das Ziel für den Moment zur Seite legen, um später darauf zurückzukommen und mir für den Moment ein machbareres Vorhaben suchen. Wichtig ist, dass mentales Kontrastieren einem hilft, aktiv zu werden und sich mit der Wunscherfüllung wieder ins Leben rein zu finden.
Wenn man zuhört, ergibt sich eine ganze Menge, was man tun kann
Wie kann man anderen helfen, wenn man merkt, dass sie stark belastet sind?
Zuhören. Wir haben uns vor der Pandemie oft über das Schnelllebige und Stressige beklagt. Jetzt haben wir die Gelegenheit, wirklich zuzuhören, auch wenn es nur am Telefon oder per Zoom ist. Das übersehen wir im Alltag oft.
Zuhören ist nur der Anfang, aber er ist schwer, weil wir es nicht gewohnt sind. Wir können den anderen ja auch mal fragen: Was wünschst Du Dir für heute? Und wenn man zuhört, ergibt sich eine ganze Menge, was man tun kann. Sei es emotionale Unterstützung oder auch ganz praktisch, etwa indem man mit Einkäufen aushilft, Kontakte vermittelt, bei technischen Problemen unterstützt oder auch mit einem kleinen Überraschungsgeschenk aufwartet. Es hilft uns allen, wenn wir merken, dass man uns gerne hat und wir gebraucht werden.
Welche Strategien helfen grundsätzlich im Umgang mit solch außergewöhnlichen Belastungen?
Was sich in der Forschung und Lehre sehr bewährt hat, sind Konstanz und Routine. Also sich zum Beispiel im Forschungsteam regelmäßig online zu treffen, zu sprechen und sich auszutauschen. Auch Rituale helfen sehr. Das Tägliche aufrechtzuerhalten, bringt einen über längere schwierige Situationen. Das geht von der persönlichen Hygiene über das Aufräumen der Wohnung bis hin zu regelmäßigen Spaziergängen.
Für einen guten Abschluss: Gibt es etwas Positives, das Sie persönlich aus 2020 mitgenommen haben?
Ich nehme eine Menge Positives mit. Die Veränderungen haben gezeigt, wie gut viele mit Unsicherheit und schwierigen Bedingungen umgehen können. Ich habe auch das Gefühl, dass zwischenmenschliche Beziehungen nicht nur gelitten haben, sondern einige sogar ernster und tiefer geworden sind – obwohl man sich nicht sehen konnte. Und ich war beeindruckt davon, was in der Lehre und in der Forschung geleistet wurde und wie gut die plötzliche Veränderung der Lehr- und Lernbedingungen von vielen Beteiligten bewältigt wurde. Das gilt auch für die Menschen in meiner Umgebung: Wie die Personen aufeinander Rücksicht genommen und wie tapfer sie mit der Krise umgegangen sind, ist beeindruckend.
Vor allem empfinde ich eine unendliche Dankbarkeit für die Menschen, die uns durch diese Pandemie bringen. Wir haben großes Glück, wenn wir zu Hause sein dürfen. Ich wünsche mir, dass die Menschen, die so tapfer gegen die Pandemie kämpfen und sich um die Betroffenen kümmern, mehr Anerkennung erfahren. Über diejenigen, die keine Zeit haben zu diskutieren, weil sie helfen und an der Sache dran sind, sollten wir mehr reden und sie sollten wir mehr unterstützen.