Suche nach WirkstoffenCoronavirus-Proteine im Röntgenblick
11. Mai 2020, von Viola Griehl
Foto: privat
Weltweit suchen Forschungsgruppen nach möglichen Wirkstoffen gegen das Coronavirus. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg sind dabei. Auf dem Campus in Bahrenfeld begann jetzt eine Versuchsreihe zu verschiedenen Schlüsselproteinen, die bei dem Einsatz eines Wirkstoffs eine Rolle spielen könnten. Prof. Dr. Dr. Christian Betzel und Prof. Dr. Arwen Pearson vom Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“ zum aktuellen Stand.
An Mitteln gegen das Coronavirus wird gerade weltweit geforscht. Welches ist Ihr Ansatz?
Christian Betzel: Wir analysieren im Team mit Wissenschaftlern des DESY die Molekülstrukturen von verschiedenen Corona-relevanten Proteinen, an die ein mögliches Gegenmittel andocken könnte. Dazu züchten wir zunächst nur wenige Mikrometer kleine Kristalle dieser Proteine. Setzt man diese dann einem hochintensiven Röntgenlicht aus, erzeugen sie ein charakteristisches Streumuster, das es uns ermöglicht, die atomare Struktur des ganzen Proteins genau zu berechnen. Bei den Proteinen, die wir analysieren, handelt es sich um Enzyme, d. h. sie beschleunigen Reaktionen und ermöglichen zum Beispiel die Aufnahme des Virus in die menschliche Zelle.
Arwen Pearson: Wir untersuchen dabei vier Proteine, die für die Vermehrung des Coronavirus essenziell sind: Zwei stammen vom Virus selbst und zwei sind menschliche Proteine. Bei den beiden viralen Proteinen handelt es sich um eine Art von Enzymen, die die langen Proteinketten im Virus in kleinere Stücke schneiden, weil erst so Bausteine für neue Viren entstehen. Die beiden menschlichen Proteine werden vom Virus verwendet, um sich an eine menschliche Zelle anzuheften und ermöglichen seine Aufnahme in die Zelle.
Betzel: Wir konzentrieren uns derzeit darauf, eine mögliche Bindung von bereits bekannten und eingesetzten Medikamente an die ausgesuchten Proteine zu erforschen. Die Bindung funktioniert wie ein Schalter, der entweder die Aktivität der Proteine ausschaltet - und damit die Vermehrung des Virus stoppt - oder dessen Aufnahme in menschliche Zellen verhindert und damit eine Behandlung gegen COVID-19 ermöglicht.
Was ist der Vorteil dieser Methode?
Betzel: Bei dieser Vorgehensweise, die man auch als „Schlüssel-Schloss-Prinzip“ bezeichnet, kann man die Wirkungen eines Stoffs sehr genau erforschen. Die meisten anderen biochemischen Methoden liefern oft keine Daten, wo und wie ein Wirkstoff tatsächlich wirkt.
Pearson: In unserem Projekt verwenden wir die Röntgenkristallographie. Sie ermöglicht uns genau das: Wir sehen die Proteine dreidimensional auf atomarer Ebene und können so auch beobachten, wenn sich ein zweites Molekül, also zum Beispiel ein Medikament, an das Protein bindet. Wir sehen, wo es gebunden ist und mit welchen Teilen des Proteins es interagiert. Mithilfe der ultrahellen Röntgenstrahlen und der Automatisierungstechnologien, wie wir sie bei der Röntgenstrahlungsquelle PETRA III im Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY haben, können wir außerdem Daten hochautomatisiert und mit hohem Durchsatz verarbeiten. Dadurch können wir Tausende von verschiedenen Verbindungen innerhalb weniger Tage erforschen, um zu sehen, ob eine von ihnen für unsere Ziele passt.
Wann werden Sie sagen können, ob Sie einen geeigneten Wirkstoff gefunden haben?
Betzel: Die Frage wird weltweit täglich gestellt und ist leider nicht konkret mit einem Datum zu beantworten. Aber jeden Tag erscheinen zu COVID-19 und SARS-Cov-2 wissenschaftliche Publikationen, die Anlass zur Hoffnungen geben, dass relativ schnell Wirkstoffe zur Behandlung der Corona-Pandemie entdeckt und verifiziert werden können. Vieles bezieht sich auf Wirkstoffe, die schon heute zur Behandlung anderer Krankheiten eingesetzt werden und daher direkt zur Verfügung stehen. Darauf fokussieren sich auch unsere Forschungsaktivitäten. Wir werden hier auf jeden Fall einen wichtigen Beitrag liefern und eventuell gelingt uns sogar ein „lucky shot“, sodass wir bereits nach einigen Wochen einen ersten möglichen Wirkstoffkandidaten identifiziert haben, der dann in einem ersten folgenden Schritt über Experimente mit Zellkulturen getestet wird.
Weitere Informationen
Viren sind nur rund 20 bis 300 Nanometer (0,00002 bis 0,0003 Millimeter) klein, sodass man sie nur im Elektronenmikroskop erkennen kann. Ihr Aufbau ist recht einfach: Sie bestehen aus einem oder mehreren Molekülen, die das Erbgut mit den Informationen zur Vermehrung enthalten. Manche Viren sind noch von einer Lipidmembran umgeben. Anders als Bakterien bestehen Viren weder aus einer eigene Zelle noch haben sie einen eigenen Stoffwechsel. Viren sind daher keine Lebewesen. Zur Vermehrung kapern sie die Zellen eines Wirts, schleusen ihr eigenes Erbgut ein und bringen diese dazu, neue Viren herzustellen. Bei diesen Prozessen spielen Proteine eine wichtige Rolle. Wenn es gelingt, ein entscheidendes Protein zu blockieren, lässt sich der Zyklus unter Umständen unterbrechen, das Virus kann sich nicht mehr vermehren, und die Infektion wäre damit besiegt.
Zusammenarbeit
Die Teams arbeiten unter der gemeinsamen Leitung von Prof. Dr. Dr. Christian Betzel (Fachbereich Chemie und Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“), Prof. Dr. Arwen Pearson (Fachbereich Physik und Exzellenzcluster CUI) sowie Dr. Alke Meents vom Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY. Vom Exzellenzcluster CUI bringen zudem Prof. Dr. Henry Chapman (Fachbereich Physik, DESY) sowie Prof. Dr. Henning Tidow und Prof. Dr. Tobias Beck (beide Fachbereich Chemie) ihr Know-how in den Bereichen Röntgenkristallographie, Proteindesign und Strukturbiologie ein. Prof. Dr. Matthias Rarey (Zentrum für Bioinformatik der Universität Hamburg) steuert seine Expertise im Bereich Modellierung und Energieberechnungen bei. Außerdem sind an der Forschung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Universität Lübeck, der Max-Planck-Gesellschaft, dem European XFEL, dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL), dem Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie (IME) sowie dem Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin beteiligt.