Deutsch lernen unter erschwerten BedingungenForschung zu Internationalen Vorbereitungsklassen in Zeiten von Corona
4. Mai 2020, von Bente Gießelmann
![Simone Plöger und Elisabeth Barakos](https://assets.rrz.uni-hamburg.de/instance_assets/uni/13135819/733x414-ploeger-barakos-33599806a388c6c9804e0cc9aa33462e3fca00b6.jpg)
Foto: UHH/Ohme/Barakos
In Internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) lernen Kinder und Jugendliche, die nach Deutschland geflüchtet oder migriert sind, Deutsch und werden auf das deutsche Schulsystem vorbereitet. Wissenschaftlerinnen der Universität Hamburg erforschen das Konzept in einem Projekt mit verschiedenen Teilstudien. Ein Gespräch darüber, wie sich diese Arbeit angesichts von Corona gestaltet.
Bis zu den Beschränkungen durch Corona begleiteten Sie die Lehrenden und die Kinder direkt in den Vorbereitungsklassen. Wie sah der Unterricht aus?
Simone Plöger: Die Internationalen Vorbereitungsklassen, auch IVKs genannt, haben das primäre Ziel, neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern innerhalb eines Jahres die deutsche Sprache so zu vermitteln, dass sie danach dem Unterricht in einer Regelklasse folgen können. Demnach ist der Schwerpunkt natürlich der Deutschunterricht.
Erfahrungsberichte von Lehrkräften sowie unsere bisherige Forschung zeigen aber, dass der Klassenkontext für die Schülerinnen und Schüler noch sehr viel mehr bedeutet: Es ist der Ort, an dem sie zum ersten Mal mit der Schule in Deutschland in Berührung kommen. Die IVK ist für die Kinder daher häufig auch erstmal ein „Schutzraum“, in dem sie ankommen können.
Wie haben sich die Klassen durch die Schulschließungen verändert?
Elisabeth Barakos: Der normale Unterricht in der IVK-Klasse musste auf Smartphone-Unterricht umgestellt werden. In unserer Fallschule verläuft die Kommunikation vorwiegend über regelmäßige Telefonate und WhatsApp-Chat-Gruppen. Dort werden – differenziert nach den individuellen Leistungsniveaus der Schülerinnen und Schüler –Sprachnachrichten sowie Arbeitsblätter per Link oder via Foto hochgeladen. Es werden auch regelmäßig Post-Pakete mit Lernmaterialien versandt.
Welche besonderen Herausforderungen stellen sich für die Beteiligten?
Barakos: Oft sind leider schon die grundlegenden Bedingungen für eine effektive Kommunikation nicht gegeben, das heißt, die Schülerinnen und Schüler haben meist keine eigene E-Mail-Adresse, der Computerzugang ist zuhause nur sehr eingeschränkt möglich, Handys müssen teilweise mit Geschwistern geteilt werden, Möglichkeiten zum Drucken gibt es kaum und die Internetverbindung ist oft schwach. Somit sind die Kommunikation und das Lernen meist über das Handy auf die WhatsApp-Gruppe und Telefonate mit der Lehrkraft beschränkt.
Doch der Handy-Bildschirm ist klein und das Lesen anstrengend und schwierig. Zudem verstehen viele Schülerinnen und Schüler die Aufgabenstellung nicht und ohne Face-to-Face-Kommunikation ist das Erklären deutlich schwieriger. Lehrkräfte müssen daher sehr kreativ mit der Erstellung des Lernmaterials sein.
Auch Ihre Forschung hat sich verändert. Wie begleiten Sie die Beteiligten?
Barakos: Per E-Mail, Telefonaten und WhatsApp. Die virtuelle Ethnographie als Methode wird in Zeiten der Corona-Krise wichtiger denn je, das heißt, andere Räume zur Kommunikation mit den Forschungspartnerinnen und -partnern sowie digitale Wege des Austauschs spielen eine immer größere Rolle. Unsere Forschung geht weiter und muss sich einfach an die neuen Gegebenheiten anpassen.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse dieser Krise für Ihre Forschung?
Plöger: Wir sehen, dass es enorm ist, was einzelne Lehrkräfte gerade auf die Beine stellen. Auch die sogenannten Kulturmittlerinnen und Kulturmittler, die als mehrsprachige Pädagoginnen und Pädagogen neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler sowie ihre Familien unterstützen, engagieren sich sehr. Es zeigt aber auch, wie sehr es derzeit noch an der einzelnen Person und ihren verfügbaren Kapazitäten hängt, ob und wie die Schülerinnen und Schüler unterstützt werden.
Es braucht jedoch kontinuierliche Strukturen. Auch in IVKs, wo es mitunter schon an vernünftig ausgestatten Klassenräumen fehlt, ist Digitalisierung ein wichtiges Stichwort. Diese Missstände und die ungleiche Verteilung von Ressourcen sind nicht neu, sie werden aber gerade zusätzlich verschärft.
Gibt es aus Ihrer Sicht als Wissenschaftlerinnen Empfehlungen für die aktuelle Situation?
Plöger: Im Moment laufen viele Debatten über die Öffnung der Schulen. Wir beobachten die Situation und haben auch intensiv mit den Lehrkräften darüber gesprochen. Sie sehen die Gefahr, dass die IVKs dabei möglicherweise außer Acht gelassen werden könnten. Diese Befürchtung steht in Zusammenhang mit früheren Erfahrungen, die zeigen, dass bei Lehrermangel und hohem Krankheitsstand der Unterricht in IVKs zuerst ausfällt. In der aktuellen Diskussion darüber, welche Jahrgänge wieder in die Schule „dürfen“, wird zuerst auf anstehende Prüfungen und Schulabschlüsse geguckt.
Aber gerade für viele Schülerinnen und Schüler in IVKs bedeutet der Schulalltag eine wichtige Routine. Außerdem sind durch die Schulschließungen und Kontaktsperre natürlich die Kommunikationsmöglichkeiten auf Deutsch für die Kinder und Jugendlichen deutlich eingeschränkt. Da Sprache aber maßgeblich über Kommunikation gelernt wird, erscheint es uns wichtig, die IVKs bei der schrittweisen Öffnung der Schulen nicht aus dem Blick zu verlieren.
Eine Langfassung des Interviews finden Sie auf der News-Seite der Fakultät für Erziehungswissenschaft.
Zur Person
Simone Plöger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe „Diversity in Education Research (DivER)“ und erforscht in ihrer Dissertation mit einem ethnografischen Ansatz, wie Integration an der Schule gelingen kann. Dafür begleitet sie drei Kinder bei ihrem Ankommen in einer Hamburger Stadtteilschule.
Dr. Elisabeth Barakos ist ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe „Diversity in Education Research (DivER)“. Sie beschäftigt sich mit dem Thema Mehrsprachigkeit im Bildungsbereich, institutioneller Kommunikation, Sprachenpolitik und der kritischen Diskursforschung.
DFG-Projekt
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt „Neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I“ von Prof. Dr. Sara Fürstenau und ihrem Team läuft seit Anfang 2020 und setzt den Fokus vor allem auf den Übergang von den Vorbereitungsklassen in Regelklassen. Die geplante Explorationsphase an den Schulen wurde durch Corona durchkreuzt, daher mussten nun andere Wege der Forschung gefunden werden.