Unter Federführung der Universität HamburgGroße Umfrage zum Umgang mit Coronavirus gestartet
1. April 2020, von Hendrik Tieke
Foto: Sebastian Engels
Verhalten sich die Menschen während der Corona-Pandemie, wie es die Behörden empfehlen? Das will eine internationale Umfrage in sieben europäischen Ländern herausfinden. Koordiniert wird sie von drei Wissenschaftlern der Universität Hamburg.
Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist neu. Deshalb weiß die Politik noch nicht genau, wie die Bevölkerung mit der Bedrohung durch dieses Virus umgeht und inwieweit sie politischen Entscheidungen wie dem Kontaktverbot folgt. Um schnell solch ein Wissen zu schaffen, haben mehrere Forschende der Universität Hamburg eine Umfrage entwickelt, zu der auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Hochschulen aus den Niederlanden, Italien und Portugal beigetragen haben. Die Universität Hamburg fördert das Projekt mit rund 60.000 Euro aus Mitteln der Exzellenzstrategie.
Prof. Dr. Jonas Schreyögg ist Experte für Gesundheitsökonomie, Leiter des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) der Universität Hamburg und Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Er ist einer der drei Koordinatoren der Umfrage. Hier erklärt er, was sich sein Forschungsteam davon erhofft.
Was ist das Ziel der Europa-Umfrage?
Wir wollen einerseits wissen, wie sehr die Menschen die Anweisungen und Empfehlungen der europäischen Regierungen befolgen, was den Umgang mit dem Coronavirus betrifft. Andererseits wollen wir herausfinden, ob diese Anweisungen und Empfehlungen auch bei allen ankommen und dabei so verstanden werden, wie sie gemeint sind.
Welche Fragen stellen Sie?
Zunächst einmal fragen wir die Teilnehmenden nach Berufsfeld, Wohnort, Alter und Gesundheitszustand. So können wir in der Auswertung herausfinden, ob die Menschen aus verschiedenen Schichten, Altersgruppen und europäischen Regionen unterschiedlich mit der Bedrohung umgehen. Dann stellen wir verschiedene Fragen, um herauszufinden, inwieweit die Menschen bereit sind, Risiken einzugehen: Machen sie sich generell und insbesondere jetzt Sorgen um ihre Gesundheit? Oder glauben sie, ihnen wird schon nichts zustoßen?
Gibt es weitere Bereiche, die Sie untersuchen?
Uns interessiert auch, wie häufig und intensiv sich die Menschen über das Coronavirus informieren – und wie sehr sie gesellschaftliche und öffentliche Beschränkungen befürworten. Welche Hygienemaßnahmen treffen sie? Halten sie sich an die Versammlungsverbote und Ausgangsbeschränkungen?
Außerdem legen wir den Teilnehmenden Piktogramme vor. Sie zeigen die fünf Verhaltensweisen, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Dazu gehören etwa regelmäßiges Händewaschen oder Abstandhalten. Dabei wollen wir herausfinden: Inwieweit kennen und befolgen die Menschen diese Anweisungen? Darüber hinaus testen wir auch die Wirksamkeit dieser Piktogramme: Bevor wir diese den Teilnehmenden zeigen und auch einige Zeit danach fragen wir sie, welche Präventionsmaßnahmen sie kennen und befolgen.
Wer nimmt an dieser Studie teil?
Wir befragen online jeweils eine Stichprobe von 1000 Menschen, die die Bevölkerung in sieben verschiedenen europäischen Ländern repräsentativ abbildet: in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Dänemark, Portugal, den Niederlanden und Italien.
Insgesamt werden die Teilnehmenden dreimal gebeten, den Fragebogen auszufüllen, was jeweils 20 Minuten dauert: Einmal in diesen Tagen, dann einen Monat später im April und dann noch einmal im Mai. Auf diese Weise können wir zum Beispiel herausfinden, inwieweit sich die Bereitschaft der Menschen mit der Zeit ändert, Risiken im Zusammenhang mit der Corona-Bedrohung einzugehen. Es ist ja durchaus denkbar, dass es zu einer „Ermüdung“ kommt, je länger die Beschränkungen des öffentlichen Lebens gelten: Vielleicht halten sich die Menschen irgendwann weniger an die Verordnungen der Politik – ein Faktor, den diese dann in ihrer Planung berücksichtigen kann.
Welche Ergebnisse erwarten Sie?
Wir gehen davon aus, dass die Europäerinnen und Europäer je nach Herkunftsland unterschiedlich mit der Krise umgehen. Schließlich ist jedes Land anders vom Virus betroffen und hat auch andere Maßnahmen vorgenommen. Außerdem haben die Menschen in verschiedenen Ländern verschiedene Mentalitäten und unterschiedliche Herangehensweisen an gesellschaftliche Ausnahmezustände.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Die Deutschen vertrauen sehr stark auf den Staat. Deshalb vermuten wir, dass sie die Empfehlungen und Anordnungen der Politik eher einhalten als die Einwohnerinnen und Einwohner von Ländern, in denen Politikerinnen und Politiker einen schlechten Ruf haben. Andererseits finden in anderen Ländern häufiger und regelmäßiger Aufklärungskampagnen zu chronischen Erkrankungen statt. Diese wiederum sind damit stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert. Italien und Großbritannien etwa sind hier deutlich fortgeschrittener als Deutschland. Genau das könnte zu einem unterschiedlichen Verhalten von Menschen mit chronischen Erkrankungen in den verschiedenen europäischen Staaten führen – insbesondere, was die Frage betrifft: Wie ernst nehmen sie die Bedrohung durch das Virus?
Auch sind die Europäerinnen und Europäer in einem unterschiedlichen Maße bereit, sich impfen zulassen, was man etwa bei der Grippe sehen kann. Hier sind die Deutschen zum Beispiel vergleichsweise „impffaul“. Wir erwarten allerdings, dass es beim Corona-Virus in ganz Europa eine hohe Impfbereitschaft geben wird.
Welchen Nutzen kann die Politik aus Ihrem Projekt ziehen?
Letztlich werden wir nach jeder der drei Teilumfragen mehr darüber wissen, wie die Europäerinnen und Europäer mit der Bedrohung durch das Virus umgehen. Mit diesen Erkenntnissen kann die nationale und europäische Politik ihre Maßnahmen dann noch zielgerichteter kommunizieren und umsetzen.
Die Forschenden hinter der Umfrage
Koordinatoren der Umfrage sind Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Prof. Dr. Tom Stargardt und Sebastian Neumann-Böhme vom Hamburg Center for Health Economics (HCHE) der Universität Hamburg. Beteiligt sind darüber hinaus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der folgenden Universitäten: Erasmus University (Rotterdam), Nova School of Business and Economics (Lissabon) sowie Bocconi University (Mailand). Die Forschenden arbeiten auch im internationalen Graduiertenkolleg „Improving Quality of Care in Europe“ zusammen, das vom HCHE koordiniert wird.