„Bewegung macht uns körperlich und auch psychisch stark“Interview zu Möglichkeiten des sportlichen Ausgleichs in Zeiten von Corona
30. März 2020, von Anna Priebe
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Foto: pixabay/fietzfotos
Kontaktverbot und möglichst zu Hause bleiben: Die Regeln in Zeiten von Corona sind klar. Doch wer – allein oder mit der Familie – den ganzen Tag in der Wohnung sitzt, merkt schnell den Bewegungsmangel. Warum körperlicher Ausgleich so wichtig ist und wie man sich auch in der Wohnung fit halten kann, erklärt Dr. Gunnar Liedtke vom Institut für Bewegungswissenschaft.
Die Mobilität der Menschen ist durch Corona massiv eingeschränkt. Ab wann wird mangelnde Bewegung gefährlich?
Für einen gesunden Menschen ist Bewegungsmangel wahrscheinlich erst nach ein paar Monaten wirklich gefährlich. Aber wenn man schon gesundheitlich angeschlagen ist, dann können auch schon ein paar Wochen ohne ausreichend Bewegung größere Probleme machen. Aber es geht ja nicht nur um schwere körperliche Folgen. Bewegung trägt einen großen Teil zu unserem allgemeinen Wohlbefinden bei – und ein Mangel wirkt sich entsprechend negativ aus.
Was sind die Folgen von zu wenig Bewegung?
Bewegung beeinflusst sowohl unser Herz-Kreislauf-System als auch die Muskulatur positiv. Daher erhöht Bewegungsmangel das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und viele sogenannte Zivilisationserkrankungen. Darüber hinaus hat sie aber auch große psychische Effekte und wirkt stimmungsaufhellend. Bewegungsmangel führt dazu, dass diese positiven Stimuli nicht vorhanden sind. Besonders im psychischen Bereich kann das schnell negative Auswirkungen haben, vor allem bei Menschen, die vorbelastet sind. Wir müssen nicht gleich von Depressionen reden, aber viele werden schwermütig und antriebslos.
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Dr. Gunnar Liedtke Foto: UHH
Reicht ein Spaziergang durch die Nachbarschaft als Ausgleich?
Ein Spaziergang an der frischen Luft ist auf jeden Fall schon eine super Sache und sehr zu empfehlen. Ich würde mal behaupten, dass ein Großteil der Menschen sonst im Alltag auch nicht viel mehr macht. Nur ca. 30 Prozent der Bevölkerung treiben regelmäßig Sport. Für diejenigen, die sportlich orientiert sind, ist ein strukturierteres Programm hilfreich. Ich versuche beispielsweise, mindestens alle zwei Tage laufen zu gehen und damit stärkere Effekte zu erzielen. Zudem mache ich jeden Tag Stabilisationstraining. Viele Menschen nehmen sich das immer wieder vor – nun gibt es vielleicht die Chance, es auch umzusetzen – am besten zusammen mit der Wohngemeinschaft oder Familie.
Haben Sie zwei oder drei Tipps, wie man sich zu Hause fit halten kann?
Die wirklich positiven Effekte kommen, wenn man sich über einen längeren Zeitraum bewegt. Wenn man sein Herz-Kreislauf-System aktivieren will, sollte man schon eine Viertelstunde aktiv sein. Aber das ist nichts für „schnell mal zwischendurch“, sondern eher was für die Mittagspause oder als Start in den Feierabend.
Wer nur wenig Zeit hat oder sich nur wenig Zeit dafür nehmen will, kann sich leicht mobilisieren, indem er oder sie gymnastische Übungen macht: Ein paar Mal in die Hocke gehen oder sich auf den Boden zu setzen und die Rückenmuskulatur dehnen – das bringt schon eine Menge. Eine weitere gute Übung wäre etwa, sich im Schneidersitz auf den Boden zu setzen und Äpfel zu pflücken.
Ich persönlich mache beispielsweise regelmäßig Planks. Bei dieser Übung legt man sich erst auf den Boden, stellt die Füße auf die Zehenspitzen und drückt sich hoch auf die Unterarme. Der Körper ist angespannt und bildet eine gerade Linie – eben wie eine Planke. Die Übung kann man leicht zu Hause machen und sie ist gut für die Bauch- und die Rückenmuskulatur, die ja durch das viele Sitzen sehr beansprucht ist. Im Homeoffice sitzen viele bestimmt auch nicht so optimal wie auf einem richtigen Bürostuhl. Planks kann man variieren, indem man zum Beispiel versucht, die Knie abwechselnd zu den Ellenbogen zu ziehen.
Der vielleicht wichtigste Tipp betrifft aber den Verstand: Wir wissen, dass wir uns jeden Tag die Zähne putzen müssen, um sie in Ordnung zu halten – und tun das in der Regel auch. Genauso müssen wir verstehen, dass wir uns jeden Tag eine halbe Stunde bewegen müssen, um gesund zu bleiben. Bewegung meint nicht unbedingt Sport und es muss auch nicht zwingend Spaß machen, den haben die meisten Leute beim Zähneputzen auch nicht. Aber der erwähnte Spaziergang wäre ein sehr guter Anfang – und auch wenn er keinen Spaß machen sollte, tut er doch in den allermeisten Fällen gut!
Kinder haben einen besonderen Bewegungsdrang. Was gibt es hier für Möglichkeiten?
Es hängt natürlich davon ab, wie alt die Kinder sind. Aber wenn sie schon etwas älter sind, können kleine Wettkämpfe mit der ganzen Familie hilfreich sein, um sich gemeinsam zu motivieren. Es gibt auch viele gute YouTube-Tutorials zu Kraftübungen oder Dehnprogramme, die oftmals richtige Herausforderungen sind und die zum Beispiel meinen Kindern richtig Spaß machen. Auch die stay-at-home-Angebote des Hochschulsports sind da ein gelungener Beitrag.
Und ganz wichtig: rausgehen und draußen spielen – Fangen, Fußball, Frisbee oder ähnliches. Innerhalb der Kernfamilie ist das ja noch erlaubt – und solange das so ist, sollte man es unbedingt tun, natürlich unter Einhaltung aller Abstandsregeln zu anderen Personen. Frische Luft und Sonnenlicht sind für die Stimmungslage ein wichtiger Faktor. Daher gilt: Sich draußen zu bewegen hat noch mal einen deutlich positiveren Effekt, als die Übungen im Wohnzimmer zu machen.
Online-Angebot des Hochschulsports Hamburg
Der Hochschulsport bietet mit dem „Quarantraining“ ein abwechslungsreiches und „stay at home“-geeignetes Sportprogramm an. Über Skype und die Plattform „Zoom“ gibt es täglich verschiedene Kurse. Auf der Webseite gibt es alle Termine und weitere Informationen.