Die explosive Mischung macht's
30. Dezember 2019, von Hendrik Tieke
Foto: pixabay/kalipsotri
Mehr als 130 Millionen Euro haben die Deutschen im vergangenen Jahr für Feuerwerk ausgegeben. Kritische Stimmen warnen vor den Gefahren für Umwelt und Gesundheit. Doch wie funktioniert Feuerwerk eigentlich aus chemischer Sicht?
Dr. Dieter Rehder ist emeritierter Professor an der Universität Hamburg, unter anderem für Angewandte Chemie. Diese Forschungsrichtung fragt, wie sich chemische Erkenntnisse praktisch nutzen lassen. Im Interview erklärt Rehder, welche chemischen Prozesse bei Feuerwerkskörpern ablaufen und welche technischen Grundprinzipien dabei wirken.
Herr Prof. Dr. Rehder, warum fliegen Silvester-Raketen in den Himmel?
Das liegt einerseits an ihrer Bauweise: Eine spitze, längliche Form trifft auf nur geringen Luftwiderstand – wir kennen das von Flugzeugrümpfen. Andererseits hat es mit dem Druck zu tun, der durch die Verbrennung eines Pulvergemisches in der Papphülle entsteht. Denn dabei bilden sich Gase wie Kohlendioxid oder Sauerstoff. Und die können nur durch das kleine Loch entweichen, das die Zündschnur in die Hülle gebrannt hat. So entsteht ein starker Antrieb, der das geringe Gewicht der Rakete bis zu 100 Meter hoch tragen kann.
Wie sind diese Raketen aufgebaut?
Sehr einfach: Man braucht nur eine robuste Papphülle, eine gut brennende Zündschnur und zwei verschiedene Pulver. Das eine Pulver ist das Brennmittel, es ist der Grundstoff für die Raketenexplosion am Himmel. Dafür kann man zum Beispiel zerstoßene Holzkohle verwenden. Dann braucht man noch ein sogenanntes Oxidationsmittel. Das dient dazu, die Verbrennung des anderen Pulvers zu beschleunigen. Diesem Gemisch mengt man schließlich noch bestimmte Stoffe bei, die in bunten Farben verbrennen.
Warum explodieren die Raketen erst am Himmel?
Silvester-Raketen haben verschiedene Kammern. Die unterste Kammer enthält das beschriebe Zwei-Pulver-Gemisch in einer wenig explosiven, aber gut brennbaren Zusammensetzung – ein Antriebsgemisch. Darüber befinden sich noch weitere Kammern. Diese Kammern enthalten dieselben beiden Pulver, allerdings in einer anderen Zusammensetzung. Diese zweite Mischung wiederum verbrennt besonders heftig, erzeugt dadurch großen Druck und reißt so ihre jeweilige Kammer explosionsartig auseinander. Wenn nun das Antriebsgemisch seine eigene Kammer durchgebrannt hat, ist die Rakete bereits am Himmel. Dort pflanzt sich der Brand fort – in die darüber liegende Kammer mit dem Explosionsgemisch. Und wenn das dann explodiert, fängt die nächste Kammer mit solch einem Gemisch Feuer. Auf diese Weise malen Silvester-Raketen oft mehrere „Farb-Blumen“ in gewissen zeitlichen Abständen an den Himmel.
Woher haben diese „Blumen“ ihre Farben?
Die Farben entstehen durch etwas gröbere Alkalisalz-Körner. Sie sind in den oberen Kammern der Rakete beigemengt. Wenn die Kammern explodieren, werden sie in alle Richtungen geschleudert. Wegen ihrer Größe verbrennen die Salzkörner dabei recht langsam und hell – so entstehen die typischen Farbmuster. Ob diese nun etwa rot, grün oder gelb sind, hängt vom Metall-Bestandteil des Salzes ab, das man verwendet.
Kommen Alkali-Salze auch bei den Leuchtkreiseln zum Einsatz, die man auf den Boden wirft?
Ja. Im Gegensatz zu Raketen gibt es bei Leuchtkreiseln allerdings keine Antriebs- und Explosionskammern, sondern eine feste Mischung aus zerstoßenem Aluminium und Eisen. Diese Mischung ist an einem kreisförmig gewickelten Draht befestigt und mit einer Zündschnur versehen. Setzt man damit das Gemisch in Brand, wirkt es wie ein Antrieb für den Draht-Kreisel. Wunderkerzen enthalten übrigens ein sehr ähnliches Gemisch – nur brennt das etwas langsamer und weniger heftig herunter.
Und wie funktionieren Böller?
Böller sind aus chemischer Sicht ein sehr langweiliges Feuerwerk: Eine Zündschnur fackelt ab und setzt ein Pulvergemisch in Brand. Das wiederum erzeugt in Sekundenbruchteilen Gase, die nicht entweichen können. Und die verursachen dann einen extremen Innendruck. So platzt die Papphülle mit einem lauten Knall – das war’s.
Kann man sich auch selber Feuerwerk bauen?
Das sollte nur von Profis gemacht werden. Ich kenne Leute, denen das die Finger abgerissen hat. Auch ich habe mal als junger Student versucht, eine Rakete zu bauen – mit Zutaten, die damals noch in Drogerien frei verkäuflich waren. Das ging ziemlich in die Hose.
Was ging beim Selbstversuch schief?
Beide Pulver – das Zündmittel und das Brennmaterial – muss man gut mischen und mit einem Stiel in der Papphülle festklopfen. Beim Festklopfen kann aber ganz schnell Hitze entstehen, die das Gemisch entzündet und zur Explosion bringt. Genau das ist mir damals passiert, in meiner Hand – dabei hatte ich nicht einmal sehr stark geklopft. Zum Glück gab es keine nennenswerte Verletzung.
Die Belastung von Umwelt und Gesundheit beim Silvesterfeuerwerk
Bei der Explosion von Feuerwerkskörpern entstehen Giftstoffe wie zum Beispiel Chloroxid oder Schwefeloxid. Die Dosen, die man davon in der Regel einatmet, sind meist unbedenklich. „Viel schwerer fällt der Feinstaub ins Gewicht, der entsteht, wenn Millionen Menschen zugleich zünden“, sagt Prof. Dr. Dieter Rehder. „Dann werden gewaltige Mengen winziger Teilchen freigesetzt – bei Raketen und Böllern etwa Siliziumoxid, bei Knallerbsen etwa Mikro-Sand.“ Diese Teilchenmassen tragen zur generellen Feinstaubbelastung bei, besonders in den Städten. Raketen, die am Himmel verbrennen, erzeugen außerdem Kohlendioxid. Das wiederum verstärkt den Treibhauseffekt.