Klimaverhandlungen als Forschungsfeld
29. November 2019, von Christina Krätzig
Foto: UHH/Ohme
Am 2. Dezember 2019 beginnt die 25. Weltklimakonferenz in Madrid. Vier Jahre nach dem Abkommen von Paris ist die Staatengemeinschaft weit davon entfernt, das damals vereinbarte Ziel zu erreichen und die Erderwärmung auf 1,5 oder maximal 2 Grad zu begrenzen. Warum das so ist und wie die Delegierten mit dem bisherigen Scheitern umgehen, erforscht Stefan Aykut, Juniorprofessor für Soziologie an der Universität Hamburg.
„Das Klimaabkommen von Paris sollte im Grunde funktionieren wie ein selbsterfüllende Prophezeiung“, sagt der Soziologe, der im Frühjahr 2019 den Heinz Maier-Leibnitz-Preis erhalten hat; den wohl wichtigsten Preis zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland. „Vorgegeben wurde nur das Ziel, nämlich die Erderwärmung auf 1,5 oder maximal 2 Grad zu begrenzen, sowie ein Mechanismus zur regelmäßigen Überprüfung von freiwilligen Selbstverpflichtungen . Was genau in den Selbstverpflichtungen steht und wie die einzelnen Staaten das Temperaturziel zu erreichen gedenken, blieb ihnen selbst überlassen.“
Erfolgsbotschaften statt ehrlicher Bilanzierung des Erreichten?
In Madrid soll es nun vorrangig darum gehen, das bisher Erreichte zu überprüfen. „Doch es herrscht ein immenser Druck, Erfolge zu verkünden, damit Staaten sowie nichtstaatliche Akteure ihre Anstrengungen zur Reduzierung von Treibhausgasen fortführen und keine globale Resignation eintritt“, sagt Stefan Aykut.
Die Architekten des Abkommens seien von der Vorstellung ausgegangen, dass Akteure tätig werden, wenn sie sehen, dass viele andere Protagonisten ebenfalls handeln. Klimaschutz als sich selbst verstärkender Prozesses – wenn nur stetig Fortschritte verkündet würden. „Doch nun steht der Druck, Erfolgsbotschaften zu verkünden, einem offenen Diskurs über die bisherigen Fortschritte der Staatengemeinschaft möglicherweise im Weg“, vermutet Aykut.
Mit seinem Team will der Soziologe untersuchen, wie die Verhandlungen ablaufen und wie sich die verschiedenen Akteure verhalten. Er selbst interessiert sich auch für den Finanzsektor und will herausfinden, unter welchen Umständen auch Finanzmarktakteure Klimaschutzbestrebungen unternehmen könnten. Seine Doktorandin Emilie d'Amico konzentriert sich auf die Rolle von Städten, die sich heute unabhängig von ihren Regierungen häufig eigene Klimaschutzziele setzen – wie auch die Freie und Hansestadt Hamburg. Ein zweiter Doktorand, Felix Schenuit, nimmt die Rolle der Wissenschaft in diesem Prozess unter die Lupe.
Welche Rolle spielen Forschende im Ringen um mehr Klimaschutz?
„Weltweit besteht in der Wissenschaft im Grunde ein Konsens, dass das 1,5 Grad Ziel kaum mehr erreicht werden kann“, sagt Aykut. „Trotzdem werden weiterhin Studien publiziert, die nahelegen, dass das noch möglich sei. Dabei gehen diese von vollkommen unrealistischen Annahmen aus, beispielsweise dass negative Emissionstechnologogien im großen Stil zum Einsatz kommen. Diese Technologien stehen aber noch gar nicht in diesem Umfang zur Verfügung und sind gesellschaftlich umstritten. Es scheint, als wolle auch die Wissenschaft nicht die Überbringerin der schlechten Nachricht sein“.
Das Geschehen mit Offenheit und aus der Distanz beobachten
Stefan Aykut nimmt bereits zum sechsten Mal an einer Weltklimakonferenz teil. Er hat keine festen Erwartungen, wie sich die 25. Konferenz entwickeln wird. „Wir arbeiten im Grunde wie Ethnologen, mischen uns möglichst vorurteilsfrei unters Volk und beobachten, was geschieht“, erklärt er seine Methode. Schwierig sei allerdings, dass ein Ethnologe oder eine Ethnologin unter Umständen Jahre bei einem fremden Volk verbringen könnten, während Weltklimakonferenzen nur zwei Wochen dauern. Doch: „Auf der Konferenz finden viele wichtige Aktivitäten abseits des offiziellen Programms statt. Auch wir knüpfen dort Kontakte, die wir hinterher zu Forschungszwecken nutzen können.“
Wer die Klimaverhandlungen erforscht, braucht also einen langen Atem – ebenso wie die Verhandlungsführenden selbst.