Mehr zum Thema finden Sie hier.
Insekten-Monitoring auf dem Energieberg GeorgswerderWie geht es Schwebfliege, Schlupfwespe und Co.?
6. November 2019, von Christina Krätzig
Die Biomasse der Insekten ist in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren um 75 Prozent zurück gegangenen. Ein Langzeitmonitoring der Universität Hamburg soll neuartige Daten liefern.
Flammendes Herbstlaub, leuchtend rote Hagebutten. Am Horizont ragen Elphi und Hafenkräne neben Schornsteinen und den Hallen der Aurubis AG auf. Knapp unter dem Gipfel des Energiebergs in Georgswerder duckt sich ein Zelt aus feinmaschigem Netz ins Gras. Auf seiner Spitze balanciert ein weißer Plastiktopf. Er ist zur Hälfte mit vergälltem Alkohol gefüllt, in dem verschiedene Insekten schwimmen: Eine dicke Fliege, winzige Mücken und eine zartflügelige Köcherfliege.
„Die Tiere zu bestimmen ist angesichts der enormen Artenfülle, mit der uns Insekten auch in heimischen Gefilden begegnen, eine große Herausforderung“, erklärt Dr. Martin Kubiak vom Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg, der zusammen mit Torsten Demuth vom Verein „Neuntöter – Verein für Forschung und Vielfalt e.V.“ heute zum letzten Mal in diesem Jahr die Fallen leert. „Es sind ca. 33.000 Insektenarten in Deutschland bekannt. Oft unterscheiden sie sich nur geringfügig voneinander. Eine Person allein kann unmöglich alle Arten überblicken.“
Seit die sogenannte „Krefelder Studie“ 2017 festgestellt hat, dass die Biomasse der Insekten in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren um 75 Prozent zurück gegangenen ist, ist die Besorgnis groß – zumal neuere Studien beispielsweise von der TU München die alarmierenden Ergebnisse bestätigen. Die Bundesregierung hat nun sogar ein Aktionsprogramm zum Insektenschutz verabschiedet. Denn Insekten sind unersetzlich in der Natur: Sie bestäuben Wild- und Kulturpflanzen und machen Vögel und andere Tiere satt.
Mit ihrer Forschung will die Universität Hamburg dazu beitragen, einige der offenen Fragen klären – beispielsweise, ob das Insektensterben bestimmte Gruppen besonders betrifft oder gar zum Aussterben bestimmter – und wenn ja, welcher? – Arten führt. Anders als in der „Krefeld-Studie“ wollen die Hamburger nicht nur die Biomasse bestimmen, sondern auch die Arten, die ihnen ins Netz gegangen sind. Die Informationen geben sie an die Behörde für Umwelt und Energie weiter, sie stehen für die Naturschutzarbeit zur Verfügung. Nahezu ideal ist der gewählte Standort für ein Langzeit-Monitoring: Im Gegensatz zu anderen Lebensräumen wird sich der Energieberg in den kommenden Jahren nicht wesentlich verändern. Die Behörde für Umwelt und Energie pflegt die Flächen und achtet darauf, dass sie nicht zuwachsen: Das nämlich könnte die Stabilität der ehemaligen, heute gesicherten Mülldeponies gefährden.
In einem behelfsmäßigen Labor auf dem Gelände packt Torsten Demuth den Fang vorsichtig auf die Waage: Nicht einmal drei Gramm wiegt das kleine Häufchen aus Flügeln und Beinen. Im Sommer sind es bis zu 30 Gramm, die er bei der wöchentlichen Leerung der beiden Fallen auf dem Energieberg verzeichnen kann. „1000 Individuen können das trotzdem sein“, schätzt Demuth. Gemeinsam mit Dr. Martin Kubiak rief er das Monitoringprojekt ins Leben und kümmert sich mit anderen Vereinsmitgliedern um die Feldarbeit und die Datenverwaltung. Vor Ort bestimmt er Tiergruppen wie Großschmetterlinge und Heuschrecken. Die Forschenden der Universität übernehmen den Rest: Eine mühsame und langwierige Arbeit. Die kleinsten Punkte im Topf sind nur zwei, drei Millimeter lang: winzige Fliegen und Mücken. Allein von ihnen kommen in Deutschland 10.000 Arten vor.
Die Artenbestimmung ginge heute auch deutlich schneller. Moderne Geräte können sie blitzschnell und preiswert übernehmen. Doch im Sequenzierer zählt nur ihre DNA: die Insekten werden gemahlen, die Fänge zerstört. Zudem zählen die Geräte nicht, wie oft die einzelnen Arten vorkommen. Da dies jedoch eine wichtige Information ist, werten die Forschenden der Universität Hamburg einen Teil der Proben weiterhin selber aus. Und bewahren sie auf, damit zukünftige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sie studieren können. Denn nur dank der Käfersammlungen längst verstorbener Naturforscher können wir heutzutage in der Vergangenheit in Hamburg beheimatete Insekten betrachten wie beispielsweise den Schmalflügeligen Pelzbienen-Ölkäfer oder den braun-orangen Wegerich-Scheckenfalter. Letzterer verschwand irgendwann nach dem Krieg, wurde nun aber wieder gesichtet – auf dem Energieberg Georgswerder.
