90 Jahre „Schwarzer Freitag“„Heute würde es nicht mehr zu vergleichbaren Krisen kommen“
25. Oktober 2019, von Felix Willeke
Foto: gemeinfrei
Am 25. Oktober 1929 fielen die Kurse an der New Yorker Börse und lösten damit die „Große Depression“ in Amerika und Europa aus. Massenarbeitslosigkeit, Bankensterben und ein Rückgang der Industrieproduktion von teilweise mehr als 40 Prozent waren die Folge. Die Volkswirtschaftlerin Prof. Dr. Elisabeth Allgoewer und der Finanzmarktökonom Prof. Dr. Alexander Szimayer von der Universität Hamburg erklären, wie es zur Krise kam und ob sich Vergleichbares heute wiederholen könnte.
Frau Allgoewer, was ist am „Schwarzen Freitag“ passiert?
Einen Tag zuvor brach an der New Yorker Börse Panik aus – dieser 24. Oktober 1929 wird auch als „Black Thursday“ („schwarzer Donnerstag“) bezeichnet. Durch die Zeitverschiebung kamen die Nachrichten erst am 25. Oktober in Europa an. Diese Panik an der Börse in New York löste einen Kursverfall aus, der schließlich in der „Great Depression“ („Großen Depression“) mündete – mit dramatischen Folgen für die Weltwirtschaft.
Warum kam es dazu?
Auf der einen Seite steckte die Landwirtschaft in den USA nach dem Ersten Weltkrieg in einer tiefen Krise. Auf der anderen Seite wurden in der Industrie neue Produktionsmethoden wie Fließbandarbeit eingeführt, was hohe Wachstumsraten zur Folge hatte.
Unter diesen Rahmenbedingungen entwickelte sich der Leitindex am New Yorker Aktienmarkt, der Dow Jones, positiv. Dies mündete in eine große Spekulationswelle mit stark steigenden Kursen. Aktienkäufe wurden vielfach durch Kredite finanziert, die wiederum mit Aktien abgesichert wurden. Es entstanden Investmentfonds, die keiner Regulierung unterlagen. Als die Kurse zu fallen begannen, versuchten alle, ihre Aktien zu verkaufen. Die Kurse fielen weiter und eine Abwärtsspirale setzte ein.
Welche Folgen hatten die Ereignisse?
Der Börsencrash wirkte vor allem auf die Einschätzung der Wirtschaftslage. Die von einem überschwänglichen Optimismus getriebenen „goldenen Zwanzigerjahre“ waren zu Ende und Verunsicherung dominierte die Erwartungen. Die Probleme der amerikanischen Wirtschaft wurden deutlich. Die Krisen in der Landwirtschaft und in der Industrie führten in den Folgejahren zu Bankenzusammenbrüchen. Daraus wurden Konsequenzen gezogen. Der US-Kongress verabschiedete 1933 den „Glass-Steagall Act“. Neben einer Einlagensicherung, die die Sparer vor Vermögensverlusten schützt, wurde ein Trennbankensystem eingeführt: Geschäftsbanken (commercial banks) – die Einlagen- und Kreditgeschäfte betreiben – mussten von Investmentbanken, die mit Aktien handeln durften, vollständig getrennt organisiert sein. Im Zuge der Finanzmarktliberalisierung wurde diese Regulierung 1999 aufgehoben. Wenn wir den „Schwarzen Freitag" mit der Finanzkrise ab 2008 vergleichen, hatte letztere wesentlich größere Auswirkungen auf die Vermögen der Menschen. In den USA ist heute zum Beispiel die Altersvorsorge eines großen Teils der Bevölkerung von der Börsenentwicklung abhängig, da sich diese über die Börse finanzieren.
Herr Szimayer, sind Ereignisse wie 1929 heute noch denkbar?
Heute würde es nicht mehr zu vergleichbaren Krisen kommen. Der Staat würde schon bei den ersten Anzeichen eingreifen und in Maßnahmen wie Konjunkturpakete investieren. Diese Eingriffe erfolgen auf nationaler sowie internationaler Ebene, beispielsweise innerhalb der EU. Sie werden von Maßnahmen der Notenbanken flankiert.
Im Vergleich zur „Großen Depression“ liegt eine grundlegend verschiedene Ausgangssituation vor. Die Märkte sind heute stärker vernetzt, Handel erfolgt in einer atemberaubenden Geschwindigkeit und die Menge an verfügbaren sowie verwertbaren Informationen ist rasant angestiegen. Insbesondere die Automatisierung des Handels – und die daraus resultierende höhere Handelsgeschwindigkeit – kann Schwankungen der Märkte zur Folge haben und das Entstehen von Krisen befördern. Ein Beispiel ist der sogenannte Flash Crash vom 6. Mai 2010. Getrieben vom automatisierten Handel rutschte der US-Aktienmarkt in wenigen Minuten um knapp zehn Prozent ab. Auch wenn innerhalb desselben Tages ein Großteil der Verluste wieder wettgemacht wurde, können derart große Kursschwankungen in einer angespannteren Situation zu hausgemachten Krisen führen. Das bedeutet: Wenn wir heute von einer Krise an den Finanzmärkten sprechen, ist dies nicht mit der Krise aus den 1920er gleichzusetzen, da die Ursachen andere sind.
Welche Folgen hätte denn heute eine Krise für die Wirtschaft und für den einzelnen Menschen?
Im Gegensatz zu den Ursachen wären die Folgen einer heutigen Krise vergleichbar: ein rasanter Anstieg der Arbeitslosigkeit, ein starker Rückgang des Bruttoinlandsprodukts und der Rückgang des Welthandels aufgrund von Protektionismus – also der „Schutz“ der nationalen Wirtschaft. Jedoch könnten, und das hat Frau Allgoewer ja auch schon angedeutet, aufgrund neuer Abhängigkeiten die Folgen für den einzelnen Menschen sogar massiver als 1929 sein. Dabei spielt auch die in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegene Vermögensungleichheit eine Rolle. Hieraus könnten gesellschaftliche Konflikte resultieren, die deutlich verheerender als vor 90 Jahren sein könnten.
Wie müssen Mechanismen genau aussehen, die derartige Ereignisse heute verhindern können?
Diese Mechanismen sind unter anderem Eingriffe des Staates und der Zentralbanken. Diese Maßnahmen sollen Konsum und Investitionen anregen sowie die Stabilität des Finanzsektors garantieren. Ob das allerdings gelingt, ist fraglich. Denn eine strenge Regulierung stabilisiert zwar einzelne Banken und Versicherer in schwankenden Märkten, doch die hohen Auflagen können in Krisenzeiten den Finanzsektor im Gesamten destabilisieren. Heute schon verfolgen die Zentralbanken eine Niedrigzinspolitik und greifen damit erheblich ein, wobei wir das Ende der Fahnenstange vermutlich bald erreicht haben. Die Frage ist dann, wie viel Spielraum Zentralbanken noch haben, wenn sich eine Krise wie 2008 noch einmal anbahnt.