Kontrolle versus GeheimhaltungÜben für die atomare Abrüstung
17. September 2019, von Christina Krätzig
Foto: UHH/Ohme
Vom 23. bis 27. September 2019 üben 30 Forschende bzw. Diplomatinnen und Diplomaten aus Japan, Australien, Deutschland, Frankreich und weiteren europäischen Ländern die kontrollierte Abrüstung von Atomwaffen. In einer Art Rollenspiel treten Inspektorinnen und Inspektoren gegen Abgeordnete einer fiktiven Atommacht an. Prof. Dr. Gerald Kirchner von der Universität Hamburg hat die Übung mit vorbereitet.
Herr Kirchner, wie lange haben die Vorbereitungen für die einwöchige Veranstaltung gedauert?
Zwei Jahre. Wir wollten, dass alles möglichst realitätsnah ist und haben unter anderem eine Sprengkopfattrappe gebaut. Ich habe radioaktive Ersatzstoffe für Plutonium gesucht und mich schließlich für radioaktives Barium und Californium entschieden. Beides liefert ähnliche Messwerte wie Plutonium, ist aber bei weitem nicht so gefährlich. Weil die Stoffe radioaktiv sind, müssen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Schutzanzüge tragen und im Strahlenschutzbereich des Forschungszentrums Jülich arbeiten. Wie in der Realität werden sie jeden einzelnen Punkt ihres Vorgehens miteinander aushandeln müssen.
In der Realität hat es noch nie eine von internationalen Expertinnen und Experten kontrollierte Abrüstung einer Nuklearwaffe gegeben – obwohl im 1968 aufgesetzten „Atomwaffensperrvertrag“ steht, dass die Atommächte Verhandlungen führen sollen, die letztlich zur Vernichtung aller Kernwaffen führen sollen. Der Prozess verläuft ziemlich schleppend, oder?
Am Ende des Kalten Krieges besaßen sowohl die USA als auch Russland deutlich mehr als 20.000 Kernwaffen. Heute sind es noch 7000. Es wurde also reduziert, wenn auch nicht unter internationaler Kontrolle. Es existieren jedoch mehrere internationale Arbeitskreise, in denen Fragen der kontrollierten Abrüstung kontinuierlich erörtert werden. Einem davon gehöre ich als deutscher Experte an. Wir diskutieren zum Beispiel, welche Messverfahren angewendet werden dürften.
Was bedeutet das?
Das grundlegende Dilemma ist: Die Atommächte hüten die Konstruktionsdetails ihrer Kernwaffen mit größter Sorgfalt, während die Kontrollierenden Informationen brauchen, um die Demontage einer Waffe zu bestätigen. Selbst wenn sie diese nicht sehen und die Demontage nicht direkt überprüfen dürfen, könnten sie mit Hilfe einfacher Messungen feststellen, ob Plutonium vorhanden ist und ob nach der Demontage die gleiche Menge in einem versiegelten Container steckt wie vorher in der Waffe. Aber die Atommächte verbieten solche Messungen, weil das Signal Rückschlüsse auf die Sprengkraft und Güte des Sprengkopfes erlauben würde.
Können Kontrollierende denn ohne Messungen auskommen?
Nein. Aber man kann Messverfahren entwickeln, die keine sensiblen Daten enthüllen. Beispielsweise eine Farbskala: Statt konkreter Werte sehen die Messenden auf den Geräten farbige Anzeigen wie bei einer Verkehrsampel. Hat man sich darauf geeinigt, folgen allerdings gleich die nächsten Probleme. Wer stellt die Messgeräte? Wer modifiziert sie, wer kontrolliert die Modifizierungen? Mit solchen Fragen ringen wir in der Realität – und vermutlich werden es auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Jülich tun.
Was soll dort noch geübt werden?
Es geht zum Beispiel darum, sicher zu stellen, dass während der Demontage kein radioaktives Material beiseitegeschafft wird. Also müssen die Inspektorinnen und Inspektoren prüfen, dass es keine versteckten Ausgänge aus dem Demontagebereich gibt und dort arbeitende Personen beim Verlassen der Anlage penibel kontrollieren. Sie könnten auch Kameras installieren, die bei erhöhter radioaktiver Strahlung anspringen, also wenn ein bereits versiegelter, für das Lager bestimmter Container heimlich wieder geöffnet wird.
Die Methoden, die sie in Jülich prüfen, werden vermutlich nicht so schnell angewendet werden. Weshalb halten Sie die Übung trotzdem für wichtig?
Eine atomwaffenfreie Welt liegt trotz des Atomwaffensperrvertrags leider noch weit in der Zukunft. Aber der Vertrag zwingt die Atommächte zumindest, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Häufig äußern einzelne dieser Staaten Zweifel, dass es überhaupt geeignete Methoden gibt; das bedeutet in ihrem Verständnis solche, die die Geheimhaltung nicht gefährden. Wir wollen auch zeigen, dass das nicht stimmt – damit das angebliche Fehlen geeigneter Verfahren nicht als Vorwand dient, die Abrüstung noch weiter zu verschleppen.
Prof. Dr. Gerald Kirchner ist Physiker und leitet das Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF) an der Universität Hamburg. Er organisiert die Übung zur kontrollierten atomaren Abrüstung gemeinsam mit dem Forschungszentrum Jülich im Auftrag des Auswärtigen Amtes. Beteiligt sind auch das französische Außen- und das französische Verteidigungsministerium.