Verschwörungstheorien in den soziale Netzwerken„Was provoziert, wird stärker verbreitet"
10. September 2019, von Tim Schreiber
Foto: pixabay
Vor 18 Jahren starben bei den Terroranschlägen vom 11. September in den USA fast 3.000 Menschen. Bis heute kursieren über sie – ähnlich wie zur Mondlandung oder zu möglichen Gefahren des Impfens – viele Verschwörungstheorien in den sozialen Netzwerken. Die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Katharina Kleinen-von Königslöw erklärt im Interview, warum abwegige Theorien gerade auf Facebook oder auf Youtube auf fruchtbaren Boden fallen.
Frau Kleinen-von Königslöw, warum verbreiten sich Verschwörungstheorien gerade in den sozialen Netzwerken so gut?
Weil es sehr viel einfacher geworden ist, die Theorien ansprechend aufzubereiten. In den sozialen Netzwerken kann jeder teilen, was er möchte, wie abwegig auch immer die Inhalte sind, und die Posts sehen auch mit wenig Aufwand nach einer seriösen Quelle aus. Hinzu kommt, dass die Inhalte heute viel leichter zu finden sind: Früher waren sie in den unendlichen Weiten des Internet letztlich nur für Eingeweihte auffindbar. Jetzt profitieren sie besonders davon, dass sie sich in den sozialen Netzwerken viral verbreiten können, sich also mit wenigen Klicks hundert- oder tausendfach weiter vervielfältigen. Diese Art Schneeballsystem führt dazu, dass sich Verschwörungstheorien stark verbreiten.
Warum lesen Menschen diese Inhalte?
Soziale Netzwerke werden hauptsächlich dafür genutzt, um sich mit Freunden zu unterhalten und zu erfahren, was bei ihnen los ist. Entsprechend haben die Nutzerinnen und Nutzer eine andere Motivation, eine andere Einstellung gegenüber den Inhalten. Sie denken nicht groß darüber nach, was sie da machen. Informationen werden nicht systematisch verarbeitet, sondern oberflächlich. Dazu trägt auch die technische Gestaltung, das Design der Netzwerke bei, die schnelle Reaktionen mehr belohnt als Reflektion.
Wie entscheiden Nutzerinnen und Nutzer, welche Inhalte sie lesen?
Ich habe Experimente zur Nutzung von Nachrichten auf Facebook gemacht und untersucht, wie Menschen entscheiden, welche Nachrichten sie lesen und teilen. Dabei kam heraus, dass viele Menschen eher die Posts von engen Freunden mit ähnlicher Einstellung und hohem Wissen auswählen, also Posts, die besonders nützlich sind, um die eigene Meinung zu bestätigen. Die Quelle hat dabei aber schon einen Einfluss. Zum Beispiel wissen die meisten Leute, dass sie Artikel aus Boulevardzeitungen nicht besonders ernst nehmen können, denn mit dieser Art Medien haben sie schon Erfahrung. Unbekannte Angebote, die sie nicht sofort einordnen können, haben dagegen einen Vertrauensvorsprung gegenüber den Boulevardzeitungen und werden – wenn sie auf den ersten Blick wie ein normaler Nachrichtenpost aussehen – fast so häufig geteilt wie die Beiträge von Qualitätsmedien.
Hinzu kommt, dass seriöse Quellen wie beispielsweise der „Spiegel" das Spiel der Netzwerke mitspielen müssen, weil sie sonst dort niemanden erreichen. Sie bringen deshalb Nachrichten, die zum Beispiel auf die „Facebook-Logik“ zugeschnitten sind und den unseriösen Inhalten ähneln. Themen und Überschriften, die sie dort einstellen, sind deutlich emotionaler und trivialer als im Magazin oder auf der eigenen Webseite.
Welche Rolle spielt Empörung? Bekommen nicht gerade wütende oder auch provozierende Posts besonders viel Aufmerksamkeit?
In der Logik der sozialen Netzwerke wird das, was provoziert und starke Reaktionen auslöst – egal, ob positiv oder negativ – auch stärker verbreitet. Je mehr Reaktionen ein Post erzeugt, desto mehr Menschen wird er durch den Algorithmus angezeigt.
Eine aktuelle Studie von Marketing- und Medienforschern aus Hamburg und Münster kommt zu dem Schluss, dass Menschen, die Social Media intensiv nutzen, unzufriedener, aggressiver und radikaler sind als moderate Nutzer…
Die Aussagen stimmen mit anderen Studien überein. Menschen, die sich besonders stark über Social Media und insbesondere Facebook informieren, haben tendenziell weniger Vertrauen zu klassischen Nachrichtenmedien und einen Hang zu Verschwörungstheorien. Da weiß man aber nicht, was Henne und was Ei ist, denn das ist erst einmal nur eine Korrelation und keine Kausalaussage. Im Gegensatz zu den USA haben wir in Deutschland aber selten Leute, die sich ausschließlich über die Sozialen Netzwerke informieren. Man kann davon ausgehen, dass die meisten Menschen auch mitbekommen, was in den klassischen Medien passiert.
Ist es sinnvoll, Verschwörungstheorien widerlegen zu wollen?
Die Forschung zeigt, dass genau das problematisch ist, weil dadurch die ursprünglichen Inhalte noch weiter verbreitet werden. Bei vielen Menschen bleibt nicht die sachliche Widerlegung, sondern eher die meist emotionale dramatisierende Verschwörungstheorie hängen. Helfen kann hingegen das Setzen von Gegennachrichten, die aber die ursprüngliche Falschinformation nicht aufgreifen. Zudem sind Faktenchecks sinnvoll, also gut recherchierte und dokumentierte Seiten, auf denen sich Menschen informieren können, wenn sie sich unsicher sind, ob etwas stimmt.
Machen die Betreiber der Netzwerke etwas gegen Verschwörungstheorien?
Manche Anbieter haben das Problem erkannt und auch der gesellschaftliche Druck hat mittlerweile zugenommen. Bei Falschinformationen zum Impfen, was auch ein klassisches Thema für Verschwörungstheorien ist, gab es beispielsweise ein Gegensteuern von Anbietern mit Links zu seriösen Quellen. Aber es gibt Studien, die zeigen, dass man zum Beispiel auf Youtube mit wenigen Klicks bei Verschwörungstheorien landet, auch wenn man relativ neutrale Suchwörter eingegeben hat. Es bleibt dabei: Inhalte, die Reaktionen auslösen, sind gut für die Anbieter. Das bringt Klicks und hilft, Menschen länger auf den Seiten zu halten. Das bringt dann wiederum Werbeeinnahmen und darum geht es ja.
Weitere Informationen
Eine Zusammenfassung der Facebook-Studie von Prof. Kleinen-von Königslöw bietet dieser Artikel.