„Ist das wirklich wichtig?“Podiumsdiskussion über exzellente Forschung und den Wert von Wissenschaft
4. Juni 2019, von Christina Krätzig
Müssen wir wissen, was im ersten Sekundenbruchteil nach dem Urknall geschehen ist? Oder aus welchen Gründen Menschen erstmals Zeichen in Tontafeln geritzt haben? Oliver Hollenstein von der ZEIT diskutierte mit den Sprecherinnen und Sprecher der Hamburger Exzellenzcluster nicht nur über das „Was“ und „Wie“ ihrer Forschungen, sondern fragte auch nach dem „Warum“ – und erhielt verblüffende Antworten.
Physiker sind ein neugieriges Völkchen. 14 Milliarden Jahre Geschichte des Universums können sie nachvollziehen, nur ein winziger Augenblick fehlt. „Wir interessieren uns für die erste 0,0000000001 Sekunde nach dem Urknall“, erklärte Prof. Dr. Jan Louis, Sprecher des Clusters Quantum Universe. Dieser Sekundenbruchteil ist mit den heute bekannten Gesetzen der Physik nicht zu erklären. Ihn zu erforschen sei aber beispielsweise elementar für das Verständnis von Zeit. Denn Zeit habe in diesem Moment vermutlich noch nicht existiert – oder nicht in der Form, wie wir sie uns vorstellen können. Deswegen sei die Erforschung des lange zurück liegenden Augenblicks durchaus wichtig.
Dass sogar seine Karteikarten mit etwas zeitlichem Abstand potentielle Forschungsobjekte seien, überraschte den Moderator Oliver Hollenstein etwas später sichtlich. „Alles, worauf ein Mensch einmal geschrieben hat, ist ein Schriftartefakt“, erklärte Prof. Dr. Kaja Harter-Uibopuu, Sprecherin des Clusters Understanding Written Artefacts. „Wir würden untersuchen, aus welchem Material die Karten bestehen, womit sie beschrieben wurden und wie sie genutzt wurden.“ Solche Informationen erlaubten Rückschlüsse auf kulturelle Gepflogenheiten; beispielsweise darauf, dass und wie Anfang des 21. Jahrhunderts in Deutschland moderiert worden sei.
Grundlagenforschung ist nicht sofort anwendbar – Klimaforschung wäre es theoretisch schon
Ohne sich in den für Laien schwer verständlichen Details zu verlieren, erklärten die drei Sprecher und die Sprecherin der Exzellenzcluster Grundzüge ihrer Forschungen – und ließen sich immer wieder auf Fragen nach deren Sinn ein. „Ich kann auch nicht erklären, warum wir schon so lange wissen, was Kohlendoxid in der Atmosphäre anrichtet und warum auf politischer Ebene trotzdem so wenig passiert ist“, sagte Prof. Dr. Detlef Stammer, Sprecher des Klimaclusters Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS). Doch sei die Aufgabe der Wissenschaftler nicht, Politik zu machen, sondern Politikern Wissen zur Verfügung zu stellen, sagte der Ozeanograph und hielt zu Demonstrationszwecken den jüngsten, mehr als telefonbuchdicken Bericht des Weltklimarats hoch, an dem Forschende der Universität Hamburg mitgewirkt haben.
Um Anschaulichkeit bemühte sich auch Prof. Dr. Horst Weller vom Cluster CUI: Advanced Imaging of Matter. Der Chemiker zeigte kleine Fläschchen mit Nanopartikeln, die in unterschiedlichen und reinen Farben leuchten: Eine Entdeckung aus der Quantenphysik, die heute Anwendung in hochwertigen Fernsehern findet. Grundlagenforschung suche jedoch keine Lösungen für bestimmte Probleme, betonte Weller. Häufig dauere es lange, bis sie in praktische Anwendungen einfließe. Wichtig sei sie nichtsdestotrotz.
Die Talkrunde begann mit einer Einführung durch Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Lenzen und endete mit einem Ausblick auf Erkenntnisse, die die Cluster in ein paar Jahren gern vorstellen würden: Die Entdeckung von Dunkler Materie beispielsweise, oder genauerem Wissen über das Klima von morgen.
Zum ersten Teil der Serie mit dem Cluster Quantum Universe im Fokus geht es hier
Zum zweiten Teil der Serie mit dem Klimacluster CLICCS im Fokus geht es hier
Zum dritten Teil der Serie mit dem Cluster Understanding Written Artefacts im Fokus geht es hier
Zum vierten Teil der Serie mit dem Cluster CUI: Advances Imaging of Matter im Fokus geht es hier