Inszenierte Tradition: Die Erfindung des Hafengeburtstags
8. Mai 2019, von Christina Krätzig
Vom 10. bis 12. Mai feiert Hamburg den 830. Hafengeburtstag. Historische Großsegler, Stückgutfrachter und Windjammer locken jährlich über eine Million Besucher in die Stadt. Begonnen aber hat das heutige Volksfest als elitäre Veranstaltung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, erklärt Dr. Christoph Strupp von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg.
„Einen Hafengeburtstag zu feiern, ist eine Erfindung der Neuzeit“, erklärt der Historiker, dessen Spezialgebiet der Strukturwandel des Hamburger Hafens seit den 1950er Jahren ist. „Im Grunde ist das die Geschichte einer Entfremdung. Denn den Hafen durch ein Fest erlebbar zu machen wurde erst notwendig, als beispielsweise durch den Siegeszug der Container immer weniger Menschen dort arbeiteten und ihn täglich erlebten.“
Akribisch hat Dr. Christoph Strupp die Geschichte des Hafengeburtstags recherchiert: Vom Mai 1889 an, im vermeintlich 700. Gründungsjahr. Damals wurde das Jubiläum erstmals gefeiert. Das Datum geht auf einen gefälschten Freihandelsbrief von Kaiser Friedrich Barbarossa zurück; trotzdem hält Hamburg bis heute an ihm fest.
So auch 1939, als die Stadt den 750. Jahrestag unter nationalsozialistischen Vorzeichen begeht: Mit Gästen aus Antwerpen, Brügge, Rotterdam, Amsterdam, Kopenhagen, Helsinki, Göteborg, Riga, Triest und Venedig – während Briten und Franzosen die Einladung vier Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs ausschlagen.
Die eigentliche Geschichte des Hafengeburtstags aber beginnt erst nach dem Krieg. „Durch die Teilung Deutschlands und den eisernen Vorhang war Hamburg von seinem traditionellen Hinterland im östlichen Mitteleuropa abgeschnitten“, erklärt Strupp die damalige Situation. „Das weckte große Ängste in der Stadt.“
Handel, Im- und Export sind für Hamburg „eine Frage auf Leben und Tod“
Das betonte Bürgermeister Max Brauer bei der Eröffnung des ersten „Überseetags“ am 6. Mai 1950. Gemeinsam haben Politiker und Wirtschaftskapitäne Gäste aus dem In- und Ausland zu diesem informellen Treffen eingeladen, wollen dabei für ihren Hafen werben. „Es ging um die Positionierung in Nachkriegseuropa, Lobbying spielte eine wichtige Rolle“, ordnet Dr. Christoph Strupp ihre Motivation ein.
Gut ein Jahrzehnt bleibt der „Überseetag“ eine geschlossene Veranstaltung für geladene Gäste. Dann werden Stimmen laut, die „ein großen Fest“ für die Bevölkerung fordern, „einen Hamburger Hafentag!“ – so die Bild-Zeitung 1962. Oder die CDU-Opposition in der Bürgerschaft: Ein „Gewimmel im Hafen“ mit vielen Schiffen und kostenlosen Hafenrundfahrten. „Der Hamburger kennt ja doch seinen Hafen“, wiegelten SPD-Politiker ab. Und: Es gebe zwei Arten zu feiern: Seriös, anständig und bescheiden oder „aufwendig, lautstark, als reicher Playboy.“ Echte Hanseaten würden letzteren Eindruck lieber vermeiden.
Den 775. Hafengeburtstag will die Stadt schließlich mit einem Kompromiss feiern
Mit Empfängen, Hafenrundfahrten, Opernbesuchen und sogar einer Dampferfahrt nach Helgoland für geladene Gäste – und einem großen Feuerwerk auf der Elbe für die Hamburgerinnen und Hamburger. Doch die Planung geht nicht auf. Am 6. Mai 1964 strömen 750.000 Menschen zur Elbe, dreimal so viele wie angenommen. Der Verkehr in der Innenstadt bricht zusammen, selbst ein Großaufgebot der Polizei bekommt das Chaos nicht in den Griff. Im Bahnhof Klein-Flottbek werden „Kinder zu Boden getrampelt. Frauen verlieren ihre Schuhe. Ihre Strümpfe und ihre Kleider zerreißen. Verletzte versuchen vergeblich, aus der Menge herauszukommen“, berichtet die Bild-Zeitung. Und das „Hamburger Abendblatt“ titelt am nächsten Tag: „Senat: Kein zweites Riesenfest an der Elbe!“
Doch die Hamburger Bevölkerung hat gezeigt, dass sie mitfeiern will – und nach und nach bekommt sie ihren Willen. Bis der Überseetag 1977 endgültig zum Volksfest wird, mit 800.000 Besuchern. „Inszeniert wird allerdings ein Mythos, ein Hafen mit Stückgutfrachtern und Segelschiffen, den es zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr gibt“, sagt der Historiker Christoph Strupp. Verwundert ist er darüber nicht: „Der Hafen steht im Zentrum der Hamburger Identität. Aus ihm leitet die Stadt ihre Stellung in der Welt und innerhalb Deutschlands ab; auf ihm beruht ihr Anspruch, ein politisch selbstständiger Stadtstaat zu sein. Gleichgültig, ob in Hamburg die Elbvertiefung diskutiert wird oder die Zahl der Arbeitsplätze im Hafen: Der Mythos spielt stets eine Rolle.“