Rettet die Sumpfschrecke – Vortrag zum Insektensterben
1. April 2019, von Anna Priebe
Gibt es tatsächlich immer weniger Insekten in Hamburg? Am 5. April 2019 diskutieren Wissenschaftler des Centrums für Naturkunde Fakten zum Insektensterben sowie dessen Ursachen und Lösungen. Dr. Martin Kubiak vorab im Interview.
Wie steht es aktuell um die Insekten in Hamburg?
Zu zahlreichen Insektengruppen fehlen uns Zahlen zur Vorkommens- und Bestandsituation, aber für Gruppen wie etwa Tagfalter, Libellen oder Heuschrecken gibt es ein Monitoring oder Langzeitbeobachtungen. So sind laut der aktuellen Roten Liste bei den Tagfaltern innerhalb der vergangenen 100 Jahre in Hamburg 25 der ehemals 77 vorkommenden Arten verschollen bzw. ausgestorben. Das sind 32 Prozent. Lediglich 19 Prozent der Tagfalterarten, etwa das Tagpfauenauge oder der Zitronenfalter, gelten aktuell als häufig und werden nicht auf der Roten Liste Hamburgs geführt.
Insgesamt lässt sich also ein abnehmender Trend in der Artenzahl und/oder Häufigkeit einzelner Insektengruppen erkennen – analog den Beobachtungen in anderen Bundesländern oder auch Bundesebene. Andererseits treten auch immer wieder einzelne Arten im Gebiet neu auf. Die Ursachen hierfür können etwa klimatische Veränderungen sein. Die Artengemeinschaft ist somit einem fortwährenden Wandel unterworfen.
Gibt es Unterschiede zwischen den Arten? Sind vielleicht einige besonders bedroht, andere dagegen gar nicht?
Zwischen den einzelnen Arten gibt es mitunter deutliche Unterschiede in der Häufigkeit ihres Auftretens. Dies hängt in erster Linie vom Spezialisierungsgrad der Arten ab. Manche sind Generalisten und können unterschiedliche Lebensräume besiedeln; sie gelten als vergleichsweise häufig und weit verbreitet. In Hamburg zählt beispielsweise das Grüne Heupferd zu dieser Gruppe. Andere Arten hingegen sind sehr spezialisiert auf einen bestimmten Lebensraum und daher seltener – auch durch den Einfluss des Menschen. Die feuchtigkeitsliebende Sumpfschrecke zum Beispiel besiedelt ausschließlich Nass- und Feuchtwiesen – ein Lebensraum, der in der Vergangenheit aufgrund von Entwässerungsmaßnahmen durch menschliche Aktivitäten zurückgedrängt wurde. Derzeit gilt die Sumpfschrecke in Hamburg als „Gefährdet“.
In welchen Projekten erforschen Sie die Insektensituation in der Region?
Derzeit untersuchen wir, wie sich Insektengemeinschaften in den Gewässern Hamburgs langfristig entwickeln. Hierbei liegt der Fokus zum einen auf Fließgewässern, aber auch auf Sonderstandorten wie Mooren. Gerade die hamburgischen Gewässer wurden in den letzten 100 Jahren massiven wasserbaulichen Veränderungen wie Begradigungen oder Vertiefungen sowie stofflichen Belastungen unterworfen. Dies wirkt sich auf die dort lebenden Arten aus. Analysiert man historische Besiedlungsmuster, sieht man die Veränderungen im Vorkommen einzelner Arten und kann eine aktuelle Gefährdungseinschätzung vornehmen.
An ausgewählten Standorten in Hamburg führen wir ein sogenanntes Dauermonitoring durch, das 2018 erstmalig auf der ehemaligen Deponie Georgswerder erprobt wurde. Wir arbeiten hier auch mit Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern des Verein Neuntöter e.V. sowie der Hamburger Behörde für Umwelt und Energie zusammen und wollen durch das Monitoring detaillierte Vorkommens- und vor allem Bestandentwicklungen für eine Vielzahl der in Hamburg vorkommenden Insektenarten ermöglichen.
Kann man die (negative) Entwicklung des Bestandes denn noch aufhalten bzw. umkehren?
Artenschutz- und Artenhilfsprogramme zeigen durchaus Erfolge. So nehmen aktuell die Bestände der als „Gefährdet“ eingestuften Sumpfschrecke aufgrund von Renaturierungsmaßnahmen in Hamburg und anderen Teilen Deutschlands wieder deutlich zu. Dieses Beispiel verdeutlicht, was konsequenter Natur- und Artenschutz leisten kann.
Darüber hinaus erscheint es mir enorm wichtig, Programme zur Umweltbildung insbesondere von Kindern und Jugendlichen auszubauen. Die Wertschätzung von Natur und Artenvielfalt als Erwachsene steht maßgeblich in Zusammenhang mit der Kenntnis und Auseinandersetzung mit der Umwelt in unserer frühen Prägungsphase. Das Centrum für Naturkunde (CeNak) engagiert sich in diesem Bereich seit vielen Jahren.
Wir brauchen aber weiterhin eine umfassende Analyse der Gefährdungsursachen, zum Beispiel durch das von uns gestartete engmaschige Biodiversitäts-Monitoring.
Was kann die Politik tun und was liegt in der Macht jedes einzelnen?
Jeder einzelne von uns kann aktiv werden! Auch wer nur einen Balkon oder kleinen Garten besitzt, kann über die Anpflanzung einheimischer Gehölze und Blühstauden ein Nahrungsangebot für bestäubende Insekten wie Wildbienen, Schwebfliegen oder Schmetterlinge schaffen. Wichtig ist dabei die Verwendung einheimischer Pflanzen statt der häufig im Handel angebotenen, mitunter gebietsfremden Kulturarten, die von den einheimischen Insekten nur sehr begrenzt als Wirtspflanzen genutzt werden können.
Und: Im eigenen Garten darf es gerne auch einmal urwüchsig sein – viele einheimische Tagfalterarten besiedeln als Raupe zum Beispiel Bestände der Großen Brennnessel. In unseren meist stark gepflegten Kulturgärten finden sich immer seltener Wildkräuterecken, die für die Tiergemeinschaft wichtige Lebensgrundlagen darstellen.
Zudem gilt auch, dass die Bürgerinnen und Bürger über ihre Verbraucherentscheidung maßgeblich darüber entscheiden, welche Form von Landwirtschaft und Industrieproduktion betrieben wird – gerade die konventionelle Landnutzung und der Landnutzungswandel gelten als Treiber des gegenwärtig zu beobachtenden Biodiversitätswandels.
Die Politik muss dringend die notwendigen Rahmenbedingungen für die Einführung eines umfassenden Monitorings schaffen, welches zur Ursachenanalyse der teilweise dramatischen Bestandsrückgänge dringend gebraucht wird. Der derzeit ablaufende Biodiversitätswandel ist neben dem Klimawandel eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Die Prozesse und das Ursachengefüge sind hoch komplex und bisher nur in Ansätzen bekannt. Diese Forschungslücke sollte dringend durch die Schaffung adäquater Forschungsinfrastruktur zur Analyse des Biodiversitätswandels geschlossen werden.
„Insektensterben – Fakten, Ursachen und Lösungsansätze“
Dr. Martin Kubiak und Dr. Martin Husemann machen am Freitag, den 5. April 2019, um 18 Uhr im Zoologischen Museum der Universität Hamburg den Faktencheck. Dabei werfen sie einen Blick in Gegenwart und Zukunft der artenreichsten und ökologisch wichtigsten Tiergruppe.