5 Fragen an Dr. Anna WolfDie Macht der Musik
21. September 2018, von Anna Priebe
Foto: Stefan Loock
Spätestens seit dem Vietnamkrieg in den 1960er-Jahren wird Musik bei politischen Protesten eingesetzt. Am 3. September traten einige der bekanntesten deutschen Bands in Chemnitz auf, um unter dem Motto „#Wirsindmehr“ ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Gleichzeitig erobert der Remix des ehemaligen Widerstandsliedes „Bella ciao“ die Charts. Welche politische Macht hat Musik? Und wie wirkt sie? 5 Fragen an Musikpsychologin Dr. Anna Wolf.
Wieviel Macht hat Musik?
Bei Musik schwanken wir immer zwischen „Wo man singt, da lass dich nieder; böse Menschen haben keine Lieder“ und „Oh Gott, die Musik manipuliert uns“. Die Wahrheit über die Wirkkraft liegt irgendwo dazwischen. Da ist Musik nicht mächtiger oder weniger mächtig als andere Dinge. Wenn jemandem Musik wichtig ist, dann funktioniert das sehr gut, aber auch Sport kann eine verbindende Wirkung haben, wenn es ein starker Teil der Identität einer Person ist.
Was ist bei der Musik wichtiger – die Melodie oder der Text?
Text und Melodie sind beim Hören eine Einheit, aber es lohnt sich, auf beides zu schauen. Ich kann mir kein Musikstück vorstellen, das aus sich heraus eine politische Botschaft formulieren kann – wir brauchen dafür die Sprache. Wenn man politische Wirkungen untersuchen möchte, sollte daher immer auch jemand aus der Literatur- oder Politikwissenschaft auf ein Lied schauen, weil dort viele Zeichen und Codes verwendet werden, die mir als Musikwissenschaftlerin nicht bekannt sind.
Etwas anderes ist es natürlich, wenn bekannte Melodien benutzt werden, etwa die von „Bella ciao“ oder die eines Nazi-Liedes. Aber dann brauchen wir kulturelles Wissen, um das zuzuordnen und die Bedeutung darin zu sehen.
„Bella ciao“ – ein ehemaliges Widerstandslied, das sein Revival als Sommerhit hat. Was passiert hier beim Hören?
Da müsste man schauen, welche Symbole neben der Musik transportiert werden, zum Beispiel, worum es in dem Text geht und welche Passagen übernommen wurde. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Hörer von dem Hintergrund wissen und sich erinnern, dass das ursprünglich ein politisches Lied ist. Für viele spielt das aber auch eine weniger große Rolle. Wenn man die Symbole nicht kennt, die transportiert werden, dann gehen sie an einem komplett vorbei und es ist einfach ein schönes Sommerlied.
Wie wirkt Musik?
Dadurch, dass Musik – im Gegensatz zum Film – ein rein auditives Medium ist, kann es im Hintergrund laufen und trotzdem bedeutsam für uns sein. Musik kann uns einen sehr großen Teil des Tages begleiten und beeinflussen. Und es ist ein Medium, das starke Emotionen auslöst und das wir oft wie ein „Batch of identity“ an uns tragen, etwa durch Fan-T-Shirts oder Buttons. Mit diesen Symbolen kann man zeigen: Ich höre diese Musik, ich gehöre zu dieser Szene. Die kann dann auch politisch sein.
Wegen der politischen Haltung einiger teilnehmenden Bands gab es Diskussionen um das Benefiz-Konzert in Chemnitz. Gleichzeitig sind auch immer wieder sogenannte „Nazi-Konzerte“ in den Schlagzeilen. Welche Bedeutung haben Konzerte für die politische Bildung bzw. Prägung?
Grundsätzlich bringen Konzerte Menschen zusammen, die eine Sache verbindet – in den meisten Fällen die Musik. Ich kenne das selbst von Konzerten: Wenn ich da bin und vorne spielt eine Band, die ich sehr gerne mag, dann hab ich auf einmal alle Leute in dem Raum gern, ohne sie zu kennen. Ich denke: Hey, wenn du diese Musik hörst, dann bist vermutlich ähnlich wie ich, dann verbindet uns direkt etwas. Das führt dazu, dass aus vielen Individuen oder Kleingruppen auf einmal eine größere Gruppe wächst.
Bei den meisten Bands, die beim Konzert in Chemnitz waren, weiß man, dass sie gegen Nazis sind. Durch die große musikalische Bandbreite waren aber viele verschiedene Fans da, und ich kann mir schon vorstellen, dass das für viele Leute ein Anstoß war, sich politisch zu positionieren.