Die Fußball-WM in Russland – kein reines PrestigeprojektInterview mit der Politikwissenschaftlerin Dr. Regina Heller
4. Juli 2018, von Felix Willeke
Foto: UHH/Schöttmer
Am 2. Dezember 2010 hat der Fußballweltverband (FIFA) in Zürich die Weltmeisterschaft 2018 nach Russland vergeben. Drei Jahre zuvor hatte das Land den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi erhalten. Zwei sportliche Großveranstaltungen in vier Jahren. Im Interview erläutert Politikwissenschaftlerin Dr. Regina Heller vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, warum sich Russland für die Austragung dieser Großereignisse bewirbt und was das mit eigenem Statusstreben zu tun hat.
Was steht Ihrer Meinung nach hinter der Bewerbung Russlands für die Austragung der WM 2018?
Man muss da ein bisschen in der Zeit zurückgehen: Die Entscheidung für die Austragung der Fußball-Weltmeisterschaft ist 2010 gefallen, als die Beziehungen zum Westen noch einigermaßen in Ordnung waren. Außerdem stand der Sport noch nicht im Fadenkreuz der politischen Auseinandersetzung. Es gab mit Dmitri Medwedew einen Präsidenten, der den Fokus auf Russlands innere Modernisierung legte.
Die Entscheidung, sich um die WM 2018 und die Olympischen Winterspiele 2014 zu bewerben, kann durchaus als Teil der Modernisierungsstrategie gesehen werden, denn sie beinhaltete zum Beispiel Investitionen – auch aus dem Ausland – in Regionen, die nicht so sehr im Blickfeld stehen.
Hat sich die Strategie Russlands seitdem verändert?
Das Modernisierungsziel ist mit der Wahl Putins zum Präsidenten 2012 aufgegeben worden; es hat eine machtpolitische, auch nach innen gerichtete nationalistische Wende gegeben. Die Regierung legitimiert sich nicht mehr über die Modernisierungspolitik, sondern über einen äußeren Feind. Dazu entwickelt man jetzt das Narrativ: Wir sind groß, wir sind wieder wer, wir können was, wir finden zu unserer alten Größe zurück. Da kommt die WM gerade richtig.
Gibt es einen Unterschied zwischen dem russischen Selbstverständnis und der „Sicht des Westens“?
Da muss man unterscheiden: Russland besteht als Land aus der Gesellschaft – mit ihrem ausgeprägten Nationalstolz – und den Eliten, die das politische System tragen. Diese und insbesondere die „Silowiki“ – ein Kreis von Personen, die aus dem Militär und Geheimdienst stammen – haben durchaus das Selbstverständnis, dass Russland politisch eine Großmacht sein soll. Russland verfügt tatsächlich über die politischen und militärischen Ressourcen für dieses Bestreben.
In der heutigen Welt ist aber auch ökonomische Macht wichtig; hier hakt es in Russland am meisten. Gleichzeitig hat die politische Eilte das Gefühl: Man nimmt uns in der Welt nicht so wichtig, wie man sollte. Dieser Statuskonflikt hat sich in den vergangenen 15 bis 20 Jahren immer weiter verstärkt.
Welche Rolle spielt die WM bei diesem russischen Selbstverständnis?
Die Bilder von modernen Sportstätten und jubelnden Menschen unterstützen natürlich das erwähnte neue Narrativ von der eigenen Größe. Nachrichten von Groß- und Sportveranstaltungen haben schon in der Sowjetunion eine große Rolle gespielt. Durch reibungslosen Ablauf der WM könnte Russland zudem zeigen: Wir sind in der Lage, so etwas auszurichten.
Gibt es Ziele abseits der Wirkung nach innen?
Außenpolitisch soll das Turnier schon helfen, Russlands Image ein bisschen aufzupolieren. Wobei durch die öffentliche Aufmerksamkeit immer die Gefahr besteht, dass die politischen Missstände, wie Menschenrechtsverletzungen oder die Einschränkung der Presse- und Versammlungsfreiheit, besonders in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit geraten. Bisher ist die Ehrentribüne allerdings nicht leer geblieben. Es gibt durchaus Staatsoberhäupter oder prominente Personen, die kommen.
Natürlich gibt es immer die Hoffnung, dass so eine WM durch Investitionen die ökonomische Lage verbessert, wobei diese Erwartungen bei solchen Großveranstaltungen meistens nicht eintreffen. Es gibt zum Beispiel keinen Markt wie die Bundesliga, um die großen Arenen hinterher auszulasten.
Verändert sich unser Bild von Russland mit der WM?
Mir scheint, dass sich die Berichterstattung in unseren Medien oft sehr auf Putin und die politische Situation im Land beschränkt. Es ist zwar enorm wichtig, darüber zu berichten, aber es verengt unseren Blick auf Russland und wir tendieren dazu, das Land mit Putin und dem politischen System gleichzusetzen.
Russland ist groß und vielfältig, das zeigt sich bei der WM. Dieses Fenster der medialen Berichterstattung, das sich im Moment geöffnet hat, kann dazu beitragen, dass die Menschen ein anderes Interesse an Russland entwickeln.