Emmanuel Macron ist Frankreichs nächster Präsident. Interview mit unserem Experten Dr. Sébastien Rival
8. Mai 2017, von Giselind Werner
Foto: UHH/Dingler
Mit knapp 66% haben die Französinnen und Franzosen am 7. Mai in einer Stichwahl den unabhängigen Kandidaten Emannuel Macron zu ihrem nächsten Präsidenten gewählt. Seine Konkurrentin Marine le Pen, Chefin der EU-feindlichen Front National, kam auf gut 34%. Frankreich hat sich damit für einen liberalen EU-Befürworter entschieden. Doch die Wahlbeteiligung liegt mit rund 75% bei einem historischen Tiefpunkt. Was bedeutet dieser Sieg für Frankreich?
Monsieur Rival, ist das ein gutes Ergebnis für Frankreich und Europa?
Es ist auf jeden Fall das bestmögliche Ergebnis für die Institutionen der EU, die durch den Brexit bereits beeinträchtigt wurden. Aus deren Sicht wäre ein Sieg von Marine Le Pen natürlich katastrophal gewesen. In dieser Zeit, in der viele extrem rechte oder autoritäre Politiker in Europa Erfolge feiern, würde die Forderung Le Pens, die Eurozone zu verlassen und ihr Versprechen, die Grenzen wieder zu schließen, vermutlich das Ende der politischen und wirtschaftlichen EU bedeuten.
Emmanuel Macron fordert zwar ebenfalls die Europäische Union zu reformieren, doch möchte er einen aktiven Dialog auf Augenhöhe mit Angela Merkel. Er kündigte unter anderem, das Erstellen eines Budgets für die Eurozone, ein gemeinsames Wirtschaftsministerium für diese und den Kampf gegen das Sozial Dumping an.
Es stellt sich aber nun die Frage, wie und mit wem Emmanuel Macron regieren wird.
Der von ihm gewählte neue Mittelweg zwischen den traditionellen Parteien, der Parti Socialiste einerseits und Les Républicains andererseits, ist noch sehr neu und wurde im ersten Wahlgang lediglich von 24% der Wähler unterstützt. Das bedeutet, dass die Mehrheit der Franzosen, die im zweiten Wahlgang Macron gewählt haben, nicht unbedingt mit seinem Programm einverstanden sind, sondern vielmehr gegen Le Pen gewählt haben.
Wie er damit nach dem Sieg umgehen wird, ist noch ungeklärt. Sicher ist, dass ihm diese Wähler mit ihrer Wahl keinen Freibrief für seine Innenpolitik und vielleicht auch Außenpolitik ausgestellt haben.
Wie bewerten Sie die Wahlbeteiligung des zweiten Wahlgangs, nachdem die Beteiligung bei der ersten Wahl bei, für deutsche Verhältnisse unglaublichen, fast 80% lag?
Die Beteiligung bei der ersten Wahl war zwar für deutsche Verhältnisse unglaublich; für französische Verhältnisse jedoch war es nicht so außergewöhnlich und die Beteiligung war sogar niedriger als 2012 und 2007. Die Wahlbeteiligung in Frankreich zeigt aber, wie viel Gewicht die Wahl des französischen Staatspräsidenten, die extrem auf die Person fixiert ist, symbolisch hat, obwohl der Präsident ohne Parlamentsmehrheit letztlich nur schwer regieren und seine Wahlversprechen durchsetzen kann. Es gibt hier also ein strukturelles symbolisches Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Wahlen.
Es bedeutet also, dass der Front National trotzdem in dieser Wahl sehr an Zuspruch gewonnen hat und das ist erschreckend.
Auf den ersten Blick sehen die Wahlergebnisse von Emmanuel Macron (etwa 65%) und Marine Le Pen (etwa 35%) nach einem klaren Sieg Macrons im zweiten Wahlgang aus, doch sind die Ergebnisse weit vom Verhältnis Jacques Chirac (etwa 82,5%) und Jean-Marie Le Pen (etwa 17,5%) im Jahre 2002 entfernt. Es bedeutet also erstens, dass der Front National trotzdem in dieser Wahl sehr an Zuspruch gewonnen hat und das ist erschreckend.
Das sehr hohe Verhältnis von Nichtwählern (etwa 25% – die höchste Zahl seit 1969) und leeren Stimmzetteln (etwa 12%, die höchste Zahl überhaupt während der 5. Republik) zeigt zweitens, wie schwer es vielen Anhängern der ausgeschiedenen Kandidaten gefallen sein muss, ihre Stimme einem der Finalisten zu geben. Dies schwächt somit die Legitimität des Amts Macrons als neuen Präsidenten und er wird als geschickter Stratege handeln müssen, um im Juni eine parlamentarische Mehrheit erhalten zu können.
Was hat Sie an dieser Stichwahl am meisten überrascht?
Insgesamt hat mich an dieser Stichwahl die Art und Weise überrascht, wie jeder Kandidat sein Programm leicht gedehnt hat, um die Wähler anderer Parteien anzulocken.
Anders als in 2002, als Jean-Marie Le Pen in der Stichwahl gegen Jacques Chirac kandidierte, hat sich dieses Mal kein klarer Bund der anderen Parteien gegen den Front National gebildet: Es war daher zu erwarten, dass Macron als gute Geste den linken Wählern von Benoît Hamon und Jean-Luc Mélenchon mit einigen ihrer Programmpunkte wie beispielsweise der Ökologie die Hand reichen würde. Stattdessen beharrte er auf seinen Standpunkten und erinnerte sie lediglich an ihre moralische Verantwortung gegenüber dem Risiko der Machterlangung des Front National.
Im Gegenzug versuchte Marine Le Pen die linken Wähler von Jean-Luc Mélenchon anzulocken, jedoch ohne großen Erfolg. Um einen Teil der Fillon-Anhänger anzulocken, ging sie sogar so weit, die Forderung des kompletten Austritts aus der Eurozone aufzuweichen. In der Debatte des Zwischenwahlgangs kam sie jedoch in Erklärungsnot diese Aufweichung zu erläutern.
Mich hat auch die extreme Anspannung dieser Debatte des Zwischenwahlgangs überrascht. Sie warf Macron unter anderem vor, der Kandidat von Hollande, der EU und der Banken zu sein, was Emmanuel Macron in die Defensive trieb und er kaum die konkreten Maßnahmen seines Programms präzisieren konnte. Marine Le Pen hat hier wieder einmal bewiesen, dass eine rationale Debatte mit Rechtsaußen nicht möglich ist. Wie bereits viele Medien berichteten, hat somit vermutlich keiner der Kandidaten es geschafft, die noch unentschlossenen Wähler zu überzeugen.
Schlussendlich gab es am letzten Freitag noch die Überraschung der „Macron Leaks“, die jedoch kaum direkte Effekte erzielten, da die Medien in Frankreich, wie üblich, ab dem Freitag Abend vor einer Präsidentschaftswahl nicht mehr über die Kandidaten berichten durften. Ihre innerpolitischen und vor allem außenpolitischen Auswirkungen werden somit wahrscheinlich erst im Laufe der nächsten Wochen erkennbar werden.
Was glauben Sie, was die vordringlichsten Aufgaben eines Präsidenten Macron sein werden? Wo wird er seinen Fokus setzen (müssen): im Innen- oder Außenpolitischen?
Ich bin der Meinung, und vielleicht irre ich mich da, dass er als erstes seinen Fokus auf Außenpolitisches setzen wird, um die europäischen Institutionen und die wirtschaftlich internationalen Akteure zu beruhigen.
Im Innenpolitischen hat er angekündigt, zügig das französische Arbeitsgesetzbuch, im Sinne einer Flexibilisierung der Abkommen zwischen Arbeitgebern und Angestellten direkt im Unternehmen reformieren zu wollen und nicht mehr im Arbeitssektor wie es heute den Fall ist.
Jedoch gab es in der Vergangenheit bereits sehr viele Demonstrationen gegen die vorherige Arbeitsreform, das El-Khomri Gesetz, welches er selbst zum Teil vorbereitet hatte, und ihm wird vermutlich das Risiko, dies direkt nach seinem Amtseintritt und vor allem vor der Wahl im Juni durchzusetzen, zu hoch sein, wodurch er vermutlich einen großen Teil der Linkswähler und der Jugend gegen sich aufbringen würde.
Er wird für diese Art von Reformen wohl somit bis zum Sommer, nach der Parlamentswahl warten müssen.
Ich habe gelesen, dass in Frankreich vor allem die Älteren gemäßigt gewählt haben, während die unter 35-Jährigen zu einem guten Drittel extrem links und zu einem Fünftel extrem rechts wählen, also mehrheitlich den Umsturz gewählt haben (zumindest im ersten Wahlgang). Was sagt das über die französische Gesellschaft aus?
Je älter, desto konservativer. Tatsächlich hat die Mehrheit der Ü 70 im ersten Wahlgang den Konservativen Fillon gewählt und die unter 50-Jährigenmit ungefähr 50% Mélenchon und Le Pen.
Es gibt dafür meiner Meinung nach mehrere Gründe: Erstens die Höhe der Arbeitslosigkeit der französischen Jugend (etwa 20%), die u.a. die Schwäche des Bildungswesens widerspiegelt; zweitens der Eindruck meiner Generation, dass die Generation unserer Eltern gut gelebt hat, uns jedoch auch viele Probleme hinterlässt (Schulden, Umweltprobleme usw.); letztens besonders für die jüngere Generation sollte man die Bedeutung des Internets als neues Medium nicht unterschätzen, um sich zu informieren oder desinformieren, und die Parteien von Marine le Pen und Jean-Luc Mélenchon haben dies verstanden.
In dieser Hinsicht hat z.B. die Bewegung von Mélenchon, genauso wie Podemos in Spanien durch partizipative Demokratie im Internet einen neuen Wind in die Art der politischen Führung und Verwaltung gebracht.
Die Wahlergebnisse zeigen einen Generationswechsel der Wähler, der die Zerschlagung der traditionellen Parteien und das Schaffen neuer Bewegungen herbeiführt.
Welche Bedeutung wird der Weggang Hollandes für die Beziehung Frankreichs mit Deutschland haben? Wird das Verhältnis zwischen Macron und Merkel angespannter werden?
Das glaube ich nicht. Ich glaube hingegen, dass Merkel in Macron einen Partner finden wird, der genau so viel Lust hat, Europa in eine gemeinsame Richtung zu führen, auch wenn er von keiner parlamentarischen Mehrheit profitiert.
Falls er seine innenpolitischen Versprechen durchsetzen kann (insbesondere Sparpolitik im öffentlichen Dienst, um Staatsschulden zu senken, Reformierung des Arbeitsgesetzbuches und der Arbeitslosigkeit), wird er für Frankreich tun, was die Regierung Schröders vor 15 Jahren für Deutschland getan hat. Somit werden sich auch die französischen und deutschen wirtschaftlichen Systeme annähern, was für Deutschland insgesamt von Vorteil wäre.
Sie betreiben mit Ihren Studierenden den Wahlbeobachtungs-Blog Demofrance. Wie geht’s bei Ihnen auf Ihrem Blog jetzt weiter nach der Wahl?
Ziel des Blogs ist nicht unbedingt eine Expertise über französische Politik auszudrücken, sondern den Studierenden aus der Romanistik zu zeigen, dass die politischen Probleme in Frankreich und in Deutschland nicht so weit voneinander entfernt sind.Natürlich geht es auch darum, ihnen die sprachlichen Kompetenzen zu vermitteln, um über diese Probleme zu reden, auch in einer Fremdsprache.
Jede Gruppe hat sich mit einer Thematik beschäftigt und eine Gruppe hatte die Verantwortung, die Wähler aus Hamburg zu interviewen: Die Ergebnisse werden bald online gestellt werden. Wie es weitergeht, ist eine gute Frage. Die ursprüngliche Idee war, das Projekt nach den Wahlen einzustellen, doch es könnte sehr gut möglich sein, dass wir bis zur Parlamentswahl weitermachen.