Geheimnisvolle SchädenWertvolle Manuskripte aus Kairouan, Tunesien, werden in Hamburg untersucht
13. Januar 2025, von Jakob Hinze
Foto: CSMC
Ein bisher unbekannter Schaden hat zahlreiche Manuskripte einer der weltweit bedeutendsten Sammlungen islamischer Handschriften befallen. Ende 2024 brachte eine Delegation aus Tunesien 15 Objekte nach Hamburg und analysierte sie gemeinsam mit den Expertinnen und Experten des Artefact Lab am Centre for the Study of Manuscript Cultures (CSMC) der Universität Hamburg. Tarek Baccouche, Generaldirektor des National Heritage Institute Tunesiens und Leiter der Delegation, erklärt, er sei „sehr zufrieden mit dem Analyseprozess und dem sicheren Umgang mit den Manuskripten“ und „beeindruckt von der bilateralen Zusammenarbeit“.
In Kairouan befindet sich die nach Einschätzung von Fachleuten weltweit älteste nahezu vollständige Bibliothek islamischer Manuskripte. Die Sammlung des National Laboratory for the Preservation and Conservation of Parchment and Manuscripts (NLPCPM), einer Abteilung des National Heritage Institute (NHI), ist eine der größten in Nordafrika und eine der historisch und intellektuell bedeutendsten Sammlungen islamischer religiöser und literarischer Manuskripte, insbesondere aus dem 10. Jahrhundert n. Chr. oder früher. Sie entstammt der Lehrmoschee der Stadt – das älteste muslimische Gotteshaus in Nordafrika – und anderen religiöser Einrichtungen.
Mehrere Pergamenthandschriften in der Sammlung des NLPCPM weisen Schäden auf, die selbst erfahrenen Konservatorinnen und Konservatoren unbekannt sind: Die Pergamentblätter verziehen sich stark, ihre Ränder verdunkeln sich und werden spröde. Trotz aller Versuche, die Manuskripte korrekt zu lagern, dehnen sich die beschädigten Bereiche mit der Zeit aus. „Das Pergament weist eine lokale Degradation auf, die offenbar nicht mit der Tintenkorrosion zusammenhängt. Die Schwere und das schnelle Einsetzen des Verfalls sind ungewöhnlich und unterscheiden sich deutlich von den gleichmäßigen und allmählichen Schäden, die ich bei anderen islamischen Manuskripten auf Pergament gesehen habe“, sagt Kristine Rose-Beers, Leiterin der Abteilung für Konservierung und Kulturerbe an der Bibliothek der Universität Cambridge und Mitglied des Kairouan Manuscript Project (KMP) am CSMC. Bisher gibt es kein erkennbares Muster, welche Teile der Sammlung betroffen sind.
Um die Ursachen der Beschädigung zu verstehen, hat sich das NLPCPM an das CSMC gewendet, dessen Forscherinnen und Forscher über umfangreiche Expertise in der Entwicklung und Anwendung nicht- oder minimalinvasiver und zerstörungsfreier Analysemethoden zur Untersuchung historischer Schriftartefakte verfügen. Nach umfangreichen Vorbereitungen, darunter mehrere Reisen von Mitgliedern des KMP-Führungsteams und CSMC-Forscherinnen und Forschern nach Tunesien, wurde Ende 2024 ein Meilenstein erreicht: Eine vierköpfige Delegation aus Tunesien, bestehend aus Tarek Baccouche (Generaldirektor des NHI), Manel Rammeh (Direktorin des NLPCPM) sowie Samir Gdah und Adel Bedri (Konservatoren am NLPCPM), reiste mit 15 Fragmenten von Pergamentmanuskripten aus der Sammlung des NLPCPM nach Hamburg. Gemeinsam untersuchten die tunesische Delegation, das Führungsteam des KMP und die Forscherinnen und Forscher des CSMC die Objekte im Artefact Lab unter Verwendung von Techniken wie Röntgenfluoreszenz (XRF), 3D-Mikroskopie, multispektraler Bildgebung (MSI), Fourier-Transformations-Infrarotspektroskopie (FTIR) sowie Genom- und Proteomanalyse.
Nach Abschluss der Analysen hat die Auswertung der gesammelten Daten begonnen. Manel Rammeh drückt die Erwartungen aller Beteiligten aus: „Wir warten gespannt auf die Ergebnisse der Analyse, von denen wir hoffen, dass sie gute Nachrichten für diese wertvolle Sammlung bringen werden – nämlich das Wissen, mit dem wir die Ausbreitung des Problems verhindern und wirksame Konservierungsmethoden zur Stabilisierung der beschädigten Manuskripte entwickeln können.“
Mit ersten Resultaten wird im Frühjahr 2025 gerechnet. Neben wissenschaftlichen Publikationen planen die involvierten Parteien die Organisation eines internationalen Symposiums über Pergamenthandschriften aus der muslimischen Welt in Tunesien.
Von links nach rechts: Die Mitglieder der tunesischen Delegation – Adel Bedri, Tarek Baccouche, Manel Rammeh und Samir Gdah – mit Konrad Hirschler, Direktor des CSMC, im Artefact Lab.