Gebetspraktiken im WandelBeten und beten lassen
17. Dezember 2024, von Christina Krätzig
Foto: s.u.
Welchen Stellenwert nehmen Objekte beim Beten ein – vom frühneuzeitlichen Gebetsautomaten bis zur aktuell erhältlichen „Baby’s first Prayer Doll“? Diese Frage untersucht die Historikerin Dr. Carolin Gluchowski, die als „Postdoctoral Fellow“ durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert wird.
Im Jahr 1562 erhielt der Astronom und Uhrmacher Giovanni Turriano einen seltsamen Auftrag. Für den spanischen König Philipp II. sollte er nichts weniger als ein Wunder anfertigen. Er schuf einen betenden Automaten aus Holz und Eisen: die Statuette eines Franziskanermönchs, der sich – einmal wie ein Uhrwerk aufgezogen – mit der rechten Hand auf die Brust schlägt und die linke zu den Lippen führt.
„Noch heute wirft der Automat eine Vielzahl von Fragen auf. Wer betet hier eigentlich – Mensch oder Maschine? Eröffnet das Objekt dem Menschen ein Angebot zum Beten? Und was bedeutet Beten eigentlich?“, erklärt Dr. Carolin Gluchowski, die für ihre Doktorarbeit handgeschriebene Gebetsbücher untersucht und ihr Forschungsfeld nun erweitert hat. In den kommenden drei Jahren will sie die Rolle von frühneuzeitlichen Objekten in der Praxis des Betens erforschen.
„Beten ist zunächst ja einmal etwas Flüchtiges. Der oder die Betende kommuniziert mit einer höheren Macht und wie das genau vonstattengegangen ist, können wir Jahrhunderte später nur bedingt wissen“, sagt sie. Doch sie hofft, die Wissenslücke mit Hilfe von erhaltenen gebliebenen Objekten schließen zu können. Manche von ihnen tragen Spuren ihrer Nutzung, sind abgegriffen oder sogar beschädigt. Andere, wie beispielsweise Duftstoffe, lösen vielleicht ein bestimmtes Gefühl aus.
„Derzeit konzentriere ich mich auf Puppen und andere Abbilder von Menschen. Dabei bin ich äußerst überrascht über die Vielfalt meiner Funde“, erzählt sie. Da sind die frühneuzeitlichen Automaten, die auch durch ihre ausgeklügelte Mechanik beeindrucken. Jesusstatuen, die in wohlhabenden Klöstern wie Puppen in verschiedene Gewänder gekleidet oder in die Krippe gelegt und wieder herausgeholt wurden. Oder Tonkrippen für die Hosentasche, die häufig im Besitz von Kindern waren.
Vor diesem historischen Hintergrund muten Objekte aus der Gegenwart etwas weniger befremdlich an: beispielsweise der Segen spendende Roboter, der 2017 in der Lutherstadt Wittenberg zum fünfhundertjährigen Jubiläum der Reformation gezeigt wurde, oder eine aktuell von der Einzelhandelskette Walmart in den USA vertriebene, betende Babypuppe: „Baby’s first Prayer Doll“ für knapp 20 Dollar. „Streng genommen endet die Frühe Neuzeit, in der mein Forschungsprojekt angesiedelt ist, zwar um circa 1800 n. Chr. Aber die Universität Hamburg legt großen Wert darauf, langfristige Entwicklungslinien aufzuzeigen und so die Fundamente sichtbar zu machen, auf denen unsere Gegenwartskultur gründet. Zu diesem Zweck schauen Forschende hierzulande auch mal über den Tellerrand, bis in die heutige Zeit“, sagt die Forscherin, die für das „Postdoctoral Fellowship“ von der Universität Oxford nach Hamburg gekommen ist.
Mit dem Förderprogramm Postdoctoral Fellowships unterstützt die Universität Hamburg herausragende promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland dabei, sich auf den nächsten Karriereschritt vorzubereiten. Das kann die Leitung einer Nachwuchsgruppe sein oder auch die Berufung auf eine Juniorprofessur. Die Geförderten erhalten ein hohes Sachmittelbudget: 20.000 Euro pro Jahr über einen Zeitraum von drei Jahren. Mit diesem Geld können beispielsweise Publikationen finanziert oder Workshops organisiert werden. Dr. Carolin Gluchowski will es zu einem großen Teil für Forschungsreisen nutzen, um die von ihr untersuchten Objekte selbst in Augenschein nehmen zu können.