Weltweite Bilanz der Treibhausgase„Wir sehen in unseren Zahlen noch immer kein Bemühen beim Klimaschutz“
22. November 2024, von Thomas Merten
Foto: UHH
Pünktlich zur Weltklimakonferenz wurde auch in diesem Jahr das sogenannte Global Carbon Budget berechnet. Es zeigt, wieviel Kohlendioxid sich in der Atmosphäre befindet und wo die Menschheit beim Klimaschutz steht. Erstmals enthält diese Bilanz auch umfassende Prognosen für das kommende Jahr, entwickelt am Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS der Universität Hamburg. Ozeanografie-Professorin Tatiana Ilyina erklärt, was die Zahlen bedeuten.
Wie berechnen Sie, wie viel CO2 sich in der Atmosphäre befindet?
Wir sammeln alle Daten, die wir haben, alle Messungen, alle Modellierungsmöglichkeiten, die wir vorher überprüft haben und denen wir vertrauen. Daraus berechnen wir dann, welche Mengen des Klimagases CO2 weltweit ausgestoßen werden und wie viel davon im Ozean und an Land gebunden wird, in den sogenannten Kohlenstoffsenken. Das machen wir unter anderem auch mit aufwändigen Erdsystemmodellen, die auch Klimaschwankungen mit einbeziehen.
Das sind gigantische Datenmengen, mit denen wir am Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg den Kohlenstoffkreislauf der Erde simulieren. Wir starten bei der vorindustriellen Zeit im Jahr 1850 und lassen die Modelle reproduzieren, wie sich das Klima entwickelt. So können wir genau ermitteln, welche Menge CO2 in der Atmosphäre verbleibt. Es ist eine Bilanz, die schonungslos zeigt, wo die Menschheit beim Klimaschutz steht: Bislang ist keine CO2-Reduktion gelungen.
Woher kennt man diese Zahlen so genau?
Natürlich gibt es Unsicherheiten. Nicht alle Länder dokumentieren ihren genauen Ausstoß. Auch Emissionen durch Kriege werden nicht berichtet. Darum beobachten wir den CO2-Gehalt an verschiedenen Orten auf der Welt und schauen, ob unsere Werte plausibel sind. Verbleibende Unsicherheiten führen wir im Bericht transparent mit auf. Die Ergebnisse sind dennoch sehr präzise.
Wie sieht die Bilanz in diesem Jahr aus?
CO2-Emissionen und -Konzentration sind weiter gestiegen, weil wir weiterhin enorme Mengen Öl, Gas und Kohle verbrennen. Auf der anderen Seite nehmen Ozean und Land enorme Mengen CO2 auf. Die Senken funktionieren also noch und helfen uns, die Folgen abzumildern.
Welchen Beitrag leistet Ihr Team am Forschungsstandort Hamburg?
Wir liefern jedes Jahr die Zahlen für die Ozeane. Das ist für uns business as usual. Aber nun haben meine Kollegin Hongmei Li und unser Team etwas Neues gemacht: Uns ist gelungen, genaue Vorhersagen darüber zu errechnen, wie viel Kohlendioxid im kommenden Jahr in der Atmosphäre und in den Senken vorhanden sein wird. Das war ein richtiger Durchbruch. Mit unseren speziellen Modellen in Hamburg waren wir die Ersten, denen das gelungen ist. Seit dem vergangenen Jahr sind diese Daten so robust, dass sie ins Global Carbon Budget mit einfließen. Darauf bin ich richtig stolz.
Wozu sind diese Daten nützlich?
Sie helfen uns, genau zu bestimmen, ob CO2-Schwankungen in der Atmosphäre auf die Menschheit zurückzuführen sind oder beispielsweise auf ein Naturphänomen.
Wie blicken Sie als Klimaforscherin auf die bisherigen Entwicklungen?
Ich lese immer in den Medien: „Trotz Bemühungen beim Klimaschutz…“. Dabei sehen wir in unseren Zahlen noch immer keine Bemühungen. Bei der Weltklimakonferenz war bisher noch nie die Rede von einem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, nur von einem vagen Herunterschrauben. In diesem Jahr hatten wir vergeblich gehofft, dass die Emissionskurve ein Plateau erreicht. Mein Wunsch ist, das noch zu erleben.
Tatiana Ilyina und Hongmei Li forschen im Exzellenzcluster „Climate, Climatic Change, and Society“ CLICCS der Universität Hamburg. Hongmei Li arbeitet am Helmholtz Zentrum Hereon, Tatiana Ilyina an der Universität Hamburg. Ilyina wird im April 2025 die Fridtjof-Nansen-Medaille für exzellente Forschung verliehen.
Global Carbon Budget
Seit 2006 erscheint mit dem Global Carbon Budget eine jährliche Bilanz darüber, wie viel Kohlenstoffdioxid sich in der Atmosphäre befindet. Herausgegeben wird es vom Global Carbon Project, einer internationalen Forschungsgemeinschaft, die gezielt den Verlauf des CO2-Ausstoßes ermittelt. Daraus lassen sich Rückschlüsse ziehen, welche Folgen steigende Emissionen für die Erde haben werden.