Neue Runde im Förderprogramm „Advanced Fellowships“Wie europäische Vorstellungen die Tropen bis heute prägen
5. März 2024, von Christina Krätzig
Foto: Hias/C. Höhne
Einmal jährlich lädt die Exzellenzuniversität Hamburg gemeinsam mit anderen Hamburger Hochschulen Forschende sowie Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt zu einem mehrmonatigen Studienaufenthalt ein. Wir stellen einen Geförderten vor.
Herr Funes Monzote, womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung?
Mein Thema sind die sozioökonomischen und ökologischen Folgen der Sklaverei und des Plantagensystems in der Karibik. Insbesondere untersuche ich, wie beides das Landschaftsbild von heute geprägt hat. So existiert in meiner Heimat Kuba keine unberührte Natur mehr. Im 19. und 20. Jahrhundert mussten die Wälder Tausenden von Zuckerrohrplantagen weichen. Europäische Plantagenbesitzer importierten Sklavinnen und Sklaven aus Afrika, um eine aus Ostasien stammende Pflanze anzubauen. Ihre Vorstellungen von „den Tropen“ formten Gesellschaft und Landschaft. Das Verrückte ist: Es hätte auch anders kommen können. Denn Kuba ist nicht nur für den Zuckerrohranbau geeignet, auch viele andere Nutzpflanzen gedeihen dort. Doch die Kolonialherren schufen riesige Monokulturen und eine Gesellschaft mit wenigen Besitzenden und vielen fast rechtlosen Menschen. Das wirkt sich bis heute aus.
Ist der Prozess der Landschaftsformung nun abgeschlossen?
Nein. Auf Kuba hat der Tourismus den Zuckerrohranbau als wichtigsten Wirtschaftszweig abgelöst. Um 1850 herum war Kuba der größte Zuckerproduzent der Welt. Doch mit der zunehmenden Zuckergewinnung aus Rüben – ein Verfahren, das hier in Deutschland erst um 1800 entdeckt wurde – verlor der kubanische Zucker seine Konkurrenzfähigkeit. Während des Kalten Krieges zahlte die Sowjetunion noch Vorzugspreise dafür. Doch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wird für den Aufbau einer Tourismusindustrie anderes benötigt: eine funktionierende Infrastruktur, hochwertige und vielfältige Lebensmittel, große Mengen Trinkwasser. Darüber hinaus ist eine schöne, ursprünglich wirkende Natur ein wichtiger Touristenmagnet – das ist vielerorts eine Chance für den Naturschutz. Doch dem zu Grunde liegt ein ähnlicher Mechanismus wie in der Kolonialzeit: Die europäischen und nordamerikanischen Gesellschaften prägen mit ihren Vorstellungen von „den Tropen“ oder „der Karibik“ das Land und seine Nutzung.
Ist dieser Prozess in der gesamten Karibik ähnlich? Und wie definiert sich diese eigentlich?
Tatsächlich ist die Ähnlichkeit dieser Prozesse ein Definitionsmerkmal für die Karibik. Geografisch gesehen handelt es sich um die Inseln und Regionen rund um das Karibische Meer. Doch eine rein geografische Definition greift zu kurz. Die gemeinsame Geschichte, die ganz wesentlich durch die Kolonialzeit und den Sklavenhandel geprägt wurde, spielt ebenso eine Rolle wie die darauf entstandene Kultur. In manchen Staaten gehört nur ein Teil zur Karibik, beispielsweise die Ostküste von Mexiko. Manche zählen sogar die Südostküste der USA zur Karibik, obwohl diese am Golf von Mexiko liegt und nicht am Karibischen Meer. Sie ist jedoch durch vielen Einwanderer kulturell karibisch geprägt.
Als Advanced Fellow haben Sie sich ein Jahr lang an Ihrer Heimatuniversität in Havanna beurlauben lassen. Wofür nutzen Sie diese Zeit?
Ich arbeite an zwei Büchern parallel. Das erste ist eine Monografie über die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der Plantagenwirtschaft nach den Besuchen Alexander von Humboldts auf Kuba, 1800 und 1804. Humboldts kritische Äußerungen über Sklaverei und Monokultur bieten einen Ausgangspunkt, um die Folgen der Ausbeutung von Mensch und Natur zu untersuchen. Für dieses Buch sammle ich hier in Deutschland Material.
Das zweite Buch soll den Blick weiten und die gesamte Karibik untersuchen. Dieses Buch ist ebenso für die interessierte Öffentlichkeit gedacht wie auch für Forschende und Umweltschützerinnen und Umweltschützer, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen. Beide Bücher werden nicht bis zum Sommer fertig werden. Aber dadurch, dass ich hier in Hamburg weitgehend frei bin von den alltäglichen Verpflichtungen eines Lehrstuhlinhabers, komme ich sehr gut voran.
Förderprogramm „Advanced Fellowships“
Die Exzellenzuniversität Hamburg finanziert jährlich Fellowships für exzellente Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler sowie Künstlerinnen und Künstler am Hamburg Institute für Advanced Study (HIAS). Diese können mehrere Monate in Hamburg leben und arbeiten, ihre Forschungsfragen im Austausch mit Hamburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verfolgen und ihr Netzwerk stärken. Bewerbungen für das akademische Jahr 2025/26 können bis zum 15. April 2024 eingereicht werden