Neues Seminarangebot im Rahmen des Studium GeneraleWas bedeutet ethisches Handeln in den Naturwissenschaften?
14. September 2023, von Christina Krätzig
Foto: privat
Die Exzellenzuniversität Hamburg fördert auch in diesem Jahr wieder interdisziplinäre Lehrteams, die gemeinsam ein innovatives Lehrformat entwickeln. Eines der vier geförderten Seminarangebote wird als Teil des Studium Generale ethische Fragestellungen in den Naturwissenschaften unter die Lupe nehmen.
Frau Riedner, Herr Himmel, um was für Fragesellungen wird es in Ihrem Seminar gehen?
Himmel: Es könnte beispielsweise um gentechnisch veränderte Lebewesen gehen, Viren oder auch Nutzpflanzen. Oder um neue Möglichkeiten, die Gentechnik medizinisch zu nutzen, denn hier hat die Wissenschaft in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. Heutzutage würde beispielsweise eine Blutprobe einer werdenden Mutter reichen, um Genommutationen des Ungeborenen zu entdecken. So können sehr früh in der Schwangerschaft auch gravierende genetische Defekte des Fötus festgestellt werden, beispielsweise eine Trisomie 21.
Riedner: Und das ab der 10. Schwangerschaftswoche – ohne bisher notwendige, aufwändige und risikoreiche Untersuchungen wie beispielsweise eine Fruchtwasserpunktion. Das wird nicht ohne Folgen bleiben. So besteht die Befürchtung, dass diese neuen Tests zu vermehrten Abtreibungen von Kindern mit genetisch bedingten Behinderungen führen. Hier gilt es also Chancen und Risiken neuer diagnostischer Verfahren auf ihre ethischen und sozialen Aspekte genauer zu hinterfragen.
Steht dieses Seminarthema bereits fest?
Riedner: Nein, wir wollen die Themen gemeinsam mit den Studierenden am Anfang des Seminars festlegen.
Himmel: Das Seminar findet im Rahmen des Studium Generale statt, ist aber auch offen für angehende Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler. Für diese haben Frau Riedner und ich bereits viele Seminare zu ethischen Fragestellungen oder zu Guter Wissenschaftlicher Praxis angeboten. Jetzt werden die Studierenden einen ganz anderen Hintergrund haben, und wir sind gespannt, welchen Themen und Fragen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer besonders interessiert und welche Perspektiven sie einbringen.
Können solche Seminare für Studierende in den Naturwissenschaften auch problematische Konsequenzen haben? Denn wenn jemand bestimmte Technologien nicht unterstützen will, müsste er oder sie ja aus der Forschung aussteigen, oder?
Himmel: Das ist die Frage: Ist dem gesellschaftlichen Diskurs gedient, wenn sich Gegnerinnen und Gegner einer neuen Technologie einfach raushalten? Oder wäre es nicht besser, Probleme und Grenzen zu benennen und die notwendigen Diskussionen aktiv aus der Wissenschaft mitzugestalten?
Riedner: Viele Studierende bleiben ja auch nicht in die Forschung. Sie sind die Entscheiderinnen und Entscheider von morgen: in der Politik oder in Gremien und Organisationen wie beispielsweise Krankenkassen. Dort werden die Grenzen des Erlaubten oder auch des kassenärztlich Finanzierten abgesteckt. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass die Menschen in solchen Positionen Fachwissen und ein Bewusstsein für die ethischen Dimensionen ihres Handelns mitbringen.
Wie groß ist Ihrer Erfahrung nach das Interesse der Studierenden an solchen Themen?
Himmel: Für das von uns im Fachbereich Chemie angebotene Pflichtseminar Biomedizinische Ethik würde ich schätzen, dass etwa ein Viertel der Teilnehmenden ein sehr großes Interesse und Vorwissen aufweist. Ungefähr 50 Prozent packt es während der Lehrveranstaltungen und es entstehen lebhafte, produktive Diskussionen, während ein letztes Viertel der Studierenden nicht wie von uns gewünscht aktiviert werden kann. Wie stark das Seminar nachwirkt, sehen wir jedoch daran, dass sich regelmäßig frühere Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit ethischen Fragen bei uns melden.
Riedner: Um die genannte Hälfte zu erreichen, ist es natürlich wichtig, dass wir genug spannende Angebote machen und beispielsweise die Leitlinien der Universität Hamburg zur Guten Wissenschaftlichen Praxis vermitteln. Das sind berufsrelevante Themen, die in anderen Lehrangeboten nicht in dieser Tiefe zur Sprache kommen.
Wie wird das neue Lehrangebot konkret ablaufen?
Himmel: Um spannende Diskussionen mit ausreichend Zeit zu ermöglichen, werden wir vierstündige Blöcke während der ersten Hälfte des kommenden Wintersemesters anbieten.
Riedner: Und wir wollen einen Podcast entwickeln, um festzuhalten, welche ethischen Fragen aufkamen und wie die Diskussionen mit zunehmender Detailtiefe verliefen. Damit wird den Studierenden ein wichtiges Instrument der Wissenschaftskommunikation nähergebracht.
Das Seminar „Ethik in den Naturwissenschaften“ bietet 20 Plätze für Studierende eines Masterstudiengangs aus allen Fachrichtungen an. Die Förderung erfolgt aus Mitteln der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder.