Politikwissenschaftler Dr. Jan Wilkens über die Weltklimakonferenz„Man muss Gerechtigkeit in allen Punkten mitdenken“
4. November 2022, von Stephanie Janssen
Foto: Privat/Jan Wilkens
In diesem Jahr findet die 27. Weltklimakonferenz in Ägypten statt. Dr. Jan Wilkens vom Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS der Universität Hamburg reist als Beobachter dorthin. Er ist Experte für die Steuerung von Klimapolitik und Klimagerechtigkeit.
Dr. Wilkens, die weltweiten Emissionen steigen, dabei müssten sie bis 2030 halbiert werden. Gleichzeitig sorgt die weltpolitische Lage nicht unbedingt für Vertrauen in internationale Verhandlungen. Wird die diesjährige Weltklimakonferenz (COP) besonders schwierig?
Auf jeden Fall. Durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine stehen Themen wie die Ernährungskrise und Energiesicherheit weltweit vorn. Die Frage ist, wie trotz dieser Situation die dominierenden Staaten das Thema auf der Agenda halten.
Der Anspruch der diesjährigen Weltklimakonferenz ist die einer „Implementation COP“. Es wird also nicht um neue Ziele gehen, sondern darum, wie beschlossene Klimaziele und Maßnahmen umgesetzt werden. Außerdem wird Bilanz gezogen, wie erfolgreich die einzelnen Länder dabei sind, ihre Zusagen einzuhalten.
Neben der Umsetzung wird es hauptsächlich um Klimagerechtigkeit gehen. Die Länder, die bislang am meisten CO2 ausgestoßen haben, verpflichten sich, zum Beispiel in Anpassungsmaßnahmen gegen Klimafolgen zu investieren, oder in Erneuerbare Energien im Globalen Süden. Was ist hier besonders dringend?
Gerechtigkeit muss in allen Punkten von Anfang an mitgedacht werden. Es geht häufig um finanzielle Unterstützung. Wir brauchen eine Form der Finanzierung, die ohne große Hürden Gelder für gefährdete Regionen im Globalen Süden zur Verfügung stellt. Bereits zugesagte Finanzhilfen müssen ausgezahlt werden. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der versprochenen Gelder Kredite sind, die zu weiterer Verschuldung führen. Pauschal gesagt werden dadurch Gruppen, die besonders zu leiden haben und am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, in Abhängigkeit gehalten und die Ungleichheit verstärkt sich noch. Deshalb sollten Kredite in Förderungen umgewandelt werden. Aber die Staaten des Globalen Nordens setzen ihre historische Verantwortung bisher nicht ausreichend in praktische Schritte um.
Klimagerechtigkeit ist eng mit dem Konzept „degrowth“ verknüpft, also einem Ende des kapitalistischen Wirtschaftens. Wie ernst sind die Zusagen der Industriestaaten zu nehmen, wenn in allen diesen Ländern am Wirtschaftsziel Wachstum festgehalten wird?
Alle starken Staaten, die hier verhandeln, halten an der Vorstellung von Wachstum fest. Das drückt sich auch im Glauben an Innovation und technische Lösungen aus, um Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig unsere Art des Wirtschaftens zu erhalten. Davon bin ich persönlich nicht überzeugt. Auf einem endlichen Planeten müssen wir den Konsum von natürlichen Ressourcen einschränken. Auch für technische Lösungen werden wir Rohstoffe wie etwa seltene Erden brauchen.
Ohne technische Lösungen, um CO2 aus der Luft zu entfernen und zu speichern, werden wichtige Temperaturgrenzen jedoch nicht zu halten sein. Sollten die Staaten hier massiv in Forschung investieren?
Das tun sie bereits, wenn auch noch im begrenzten Umfang. Viele Staaten und Unternehmen sehen darin einen Zukunftsmarkt und möchten sich gut aufstellen. Die Hoffnung in technische Lösungen birgt aber auch die Gefahr, nicht wirklich zu handeln, sondern Veränderungen auf die Zukunft zu verschieben. Tatsächlich ist noch keine Technik ausreichend entwickelt, um diese Ziele auch nur annähernd zu erfüllen. Im Gegenteil, laut Climate Action Tracker steuern wir zurzeit auf eine Welt mit einer durchschnittlichen Erderwärmung von rund 2,7 Grad Celsius im Jahr 2100 zu – statt den Temperaturanstieg auf 1,5 zu begrenzen, so wie es auf der Weltklimakonferenz 2015 beschlossen wurde.
Eine Langfassung des Interviews finden Sie auf den Seiten des Exzellenzclusters CLICCS.