„Tchuligom“, „büdde“ und „!!1elf“Wie die Digitalisierung unsere Schriftsprache verändert
15. März 2021, von Christina Krätzig
Foto: privat/UHH
Die Universität Hamburg fördert ab sofort fünf Forschungsvorhaben im Rahmen des Programms „Next Generation Partnerships – thematische Netzwerke“. Die Förderungen dienen der Vorbereitung langfristiger Drittmittelprojekte. Eines beschäftigt sich mit Veränderungen geschriebener Sprache durch die Digitalisierung.
In unserer globalisierten und digitalisierten Welt dient Geschriebenes anderen Zwecken als noch vor einer Generation. „Wenn Menschen über Smartphones und Laptops miteinander schreiben, geht es vermehrt um Interaktion und Austausch statt um sachliche Wissensvermittlung“, erklärt Jannis Androutsopoulos, Sprachwissenschaftler an der Universität Hamburg. „Dabei müssen eingetippte Schriftzeichen auch Funktionen übernehmen, die im direkten Austausch der Stimme, Gestik und Mimik vorbehalten sind. Deswegen verändern Schreibende digitale Schrift. Sie passen sie ihren kommunikativen Bedürfnissen an.“
„Tchuligom“ (für „Entschuldigung“), „büdde“ (statt „bitte“) oder „!!1elf“ (mit einer Persiflage eines wiederholten Rufzeichens) sind laut Androutsopoulos typische Beispiele für Schreibweisen, die emotionale oder soziale Bedeutungen in der digitalen Kommunikation transportieren sollen: Unbeholfenheit, Nachdruck oder eine dialektale Färbung, mittels derer der Schreiber oder die Schreiberin im getippten Dialog etwas über den persönlichen Hintergrund verrät.
Wie sich digitale Schriftsprache in verschiedenen Sprachen und Schriftsystemen verändert, möchten Jannis Androutsopoulos und Heike Zinsmeister vom Institut für Germanistik in den kommenden drei Jahren erforschen. Die beiden Hamburger Forschenden werden dazu mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von der Indiana University, der University of Luxembourg, der Utrecht University und dem King’s College London kooperieren und nicht nur deutsche Sprachdaten analysieren, sondern auch englische, niederländische, luxemburgische, griechische und chinesische.
„Besonders die beiden letztgenannten Sprachen sind spannend, weil es sich um andere Schriftsysteme handelt“, so Androutsopoulos. Im Chinesischen beispielsweise ist eine Dopplung von Buchstaben oder eine Schreibung in Versalien nicht möglich. „Wir sind gespannt, ob in dieser Sprache Schreibende aus ähnlichen Bedürfnissen heraus zu ähnlichen Veränderungen der Sprache kommen, wie wenn man auf Deutsch oder Englisch schreibt.“
Methodologisch wollen die Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler Synergien von qualitativen und quantitativen Verfahren ausloten. Sie greifen auf computerlinguistische Auswertungsverfahren zurück, um große Datenmengen auszuwerten, und auf ethnographische Methoden, um Schreibvariationen im Kontext zu interpretieren. Die Daten selbst werden sie den sozialen Medien entnehmen, darüber hinaus jedoch auch auf private Chats zurückgreifen. Dabei werden sich die Forschenden auf besonders emotionale Themen konzentrieren. „In den sozialen Medien lassen sich kommunikative Rituale des Feierns und Trauerns, in denen Userinnen und User expressive Möglichkeiten der geschriebenen Sprache ausloten, besonders gut beobachten“, so Androutsopoulos.
Next Generation Partnerships – thematische Netzwerke
Voraussetzung für eine Förderung im Rahmen des Programms „Next Generation Partnerships – thematische Netzwerke“ ist die Beteiligung von mindestens zwei weiteren internationalen Universitäten, wobei mindestens eine der strategischen Partnerhochschulen der Universität Hamburg beteiligt sein muss. Jedes Projekt wird mit max. 60.000 Euro p.a. für drei Jahre gefördert. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder.
Neben dem oben genannten Projekt werden ab 2021 folgende Projekte gefördert:
- Prof. Dr. Dr. h.c mult. Ingrid Gogolin & Prof. Dr. Sílvia Melo-Pfeifer (EW): Social participation across generations in linguistically diverse societies - risks and chances in times of crises
- Prof. Dr. Kai Jensen & Prof. Dr. Christian Beer mit Prof. Dr. Inga Hense, Prof. Dr. Ina Meier, Jun.-Prof. Dr. Philipp Porada und Jun.-Prof. Dr. Elisa Schaum (MIN): Partnership for Research on BIota-Climate-Feedbacks (PERICLES)
- Prof. Dr. Thomas Marlovits (MED): Tuberculosis: Discovering novel molecular targets preventing of tubercle infection
- Dr. Thore Posske (MIN): Next generation network on topological spin and superconducting physics