Neuer Fonds: Mehr Weitblick nach der Coronavirus-KriseKönnen sich Bestatter eigentlich anstecken?
22. September 2020, von Christina Krätzig
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Im Rahmen der Förderung von Transferprojekten hat die Universität Hamburg in diesem Jahr das Sonderformat „Mehr Weitblick nach der Coronavirus-Krise“ geschaffen. Mit bis zu 10.000 Euro werden 13 Forschungsvorhaben unterstützt, die das neuartige Coronavirus und seine gesundheitlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Folgen untersuchen und nach Wegen aus der Krise suchen. Der Fonds wird aus Mitteln der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder finanziert. Wir stellen drei Projekte vor.
Wie ansteckend sind Covid-19-Verstorbene?
Seit sich das neuartige Coronavirus in Deutschland verbreitet, herrscht Unsicherheit bei vielen Menschen – vor allem bei denen, die mit Erkrankten oder auch mit den Verstorbenen umgehen müssen. Also zum Beispiel beim Personal in Krankenhäusern, in Kirchen oder in Bestattungsunternehmen. Sind die Toten ansteckend? Wie groß ist die Gefahr? Und wie kann man sich schützen? Das sind elementare Fragen, auf die es bisher keine befriedigenden Antworten gibt - ebenso wenig lässt sich sagen, ob es wirklich notwendig ist, dass die Toten gänzlich isoliert werden und Angehörige sie vor der Bestattung nicht noch einmal sehen dürfen.
Antonia Fitzek, Assistenzärztin im dritten Jahr im Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, bezweifelt den Sinn dieser derzeit geltenden Praxis. „Das Virus wird durch eine Tröpfcheninfektion übertragen. Dass man sich allein vom Anschauen oder auch durch die Berührung einer verstorbenen Person anstecken kann, erschien mir nicht schlüssig“, sagt sie. Um Klarheit zu schaffen, untersucht die Rechtsmedizinerin nun, ob an Verstorbenen, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, Spuren des Virus nachweisbar sind.
Ihr Vorhaben: „Wir nehmen Abstriche von der Haut der Toten, von Leichensäcken und Särgen - von allen Stellen also, wo häufig angefasst wird“, erklärt Fitzek. Bis Ende des Jahres wird sie diese Tests an allen Toten, die in Hamburg an oder mit Covid-19 gestorben sind, durchführen. Bezahlen kann sie die Tests mit Hilfe der Förderung der Universität Hamburg in Höhe von 10.000 Euro – ebenso wie das Versenden von Fragebögen an Hamburger Bestattungsunternehmen und Kirchengemeinden. Durch diese Ergebung möchte Fitzek offene Fragen identifizieren und Verbesserungsvorschläge aus der Praxis sammeln.
Testergebnisse von Verstorbenen liegen bislang in acht Fällen vor, alle Tests waren negativ. „Noch ist die untersuchte Fallzahl zu klein, um eine allgemeingültige Aussage zu treffen“, betont die Gerichtsmedizinerin. Trotzdem seien die ersten Ergebnisse beruhigend.
Wie verändert die Corona-Pandemie den weltweiten Güterverkehr?
Der weltweite Handel ist während der Corona-Pandemie stark eingebrochen – mit teils dramatischen Folgen. Besonders bei der Versorgung mit medizinischer Ausrüstung, Schutzkleidung oder auch Medikamenten kam es zu Engpässen. Denn kaum ein Land produziert alle Güter, die es zur medizinischen Versorgung seiner Bevölkerung und zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 benötigt. So hat sich Deutschland beispielsweise auf die Produktion von medizinischen Geräten spezialisiert, während Schutzkleidung aus China oder Malaysia importiert werden muss.
Am Beispiel medizinischer Ausrüstung untersucht die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Qing Liu von der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre die Warenströme zwischen Deutschland und China während der Krise und nimmt besonders die Verkehrsmittel unter die Lupe, mit welchen dieser Handel abgewickelt wurde. Denn der Seehandel, über den normalerweise mehr als 90 Prozent der Waren global transportiert werden, ist während der Pandemie stark eingebrochen, auch weil viele Häfen gesperrt wurden. Im Flugverkehr explodierten die Kosten, weil Güter häufig an Bord von Passagierflugzeugen transportiert werden und auch Passagierflüge dramatisch reduziert wurden. Nur der Schienenverkehr scheint profitiert zu haben: Die Zahl der Züge, die im Frühjahr 2020 aus der Volksrepublik China über die sogenannte Neue Seidenstraße bis nach Duisburg gefahren sind, ist stark gestiegen.
In ihrem Forschungsvorhaben wird Prof. Liu die Daten zum Handel mit medizinischen Gütern auf dem Luft- und Seewege wie auch auf der Schiene zusammentragen. „Die Ergebnisse sollen es ermöglichen, in einer zweiten Welle oder auch einer ganz anderen Krise vorausschauend zu agieren. Denn wir leben in einer vernetzten Welt, die vom Handel abhängig ist“, sagt Prof. Liu. Die Fördersumme in Höhe von 10.000 Euro wird sie für die Bezahlung von wissenschaftlichem Personal verwenden und um die benötigten Daten zusammen zu tragen. Ihren Forschungsbericht wird sie über das Internet allen Interessierten zugänglich machen; mündliche Präsentationen sind ebenfalls geplant.
Wie wirkt sich die Pandemie auf das Konsumverhalten aus?
Tiefergehende Krisen, wie die aktuelle Covid-19-Gesundheitskrise, ändern die Lebensumstände und können damit auch menschliche Bedürfnisse verschieben. Diese Verschiebungen zu messen ist eine Herausforderung. Krisen sind selten im Vorhinein bekannt. Somit fehlt es an geeigneten psychometrischen Untersuchung vor, während und nach einer Krise.
Univ.-Prof. Dr. Mark Heitmann greift mit seinem Team hierfür auf historische Daten zur Online-Suche zurück. Seine Annahme ist, dass sich Veränderungen menschlicher Bedürfnisse in einem veränderten Suchverhalten niederschlagen. Anhand der gegenwärtigen Covid-19-Krise entwickelt er mit seinem Team eine Methodik, um das tägliche Suchverhalten mit Veränderungen menschlicher Bedürfnisse in Verbindung zu bringen.
„Noch wissen wir wenig darüber, ob und wie sich Bedürfnisse durch Krisen verändern“, erklärt Mark Heitmann, Professor für Marketing und Customer Insight an der Fakultät für Betriebswirtschaft. „Dies ist jedoch relevant, weil unser gesellschaftliches Zusammenleben und unsere Volkswirtschaft letztlich der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dienen. Nur wenn die Bedürfnisse verstanden sind, können die richtigen Leistungen und Waren angeboten und geeignete politische Maßnahmen getroffen werden.“
Um die Öffentlichkeit über die Forschungsergebnisse zu informieren, publiziert Prof. Heitmann in wissenschaftlichen wie auch in praxisorientierteren Zeitschriften. Aus den entwickelten Verfahren sind international tätige Start-ups entstanden, die mittlerweile mehrere Hundert Mitarbeiter beschäftigen. Die Förderung von 9.000 Euro erlaubt es, Repräsentativstudien zu finanzieren, das umfangreiche Datenmaterial auf geeignete Weise zu kodieren und mit modernen Machine-Learning-Verfahren zu analysieren.
Sonderfonds „Mehr Weitblick nach der Coronavirus-Krise“
Im Transferfonds aus Mitteln der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder werden mit dem Sonderformat „Mehr Weitblick nach der Coronavirus-Krise“ Transferprojekte gefördert, die sich entlang des Leitmotivs „Innovating and cooperating for a sustainable future“ mit einer nachhaltigen Überwindung der Krise beschäftigen. Ziel ist, Unternehmen sowie Gründerinnen und Gründern, die durch die Auswirkungen der Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind, forschungsbasiert zu unterstützen und Neugründungen, die auf die Herausforderungen der Pandemie reagieren, wissensbasiert zu begleiten. Durch universitäre Erkenntnisse können auch neue Geschäftsmodelle ermöglicht werden. Denn die aktuelle Coronavirus-Pandemie und der damit verbundene Lockdown haben massive Auswirkungen auf alle Bereiche der Gesellschaft, und die politischen, zivilgesellschaftlichen, sozialen, psychischen und wirtschaftlichen Herausforderungen sind enorm.
Hier finden Sie einen Überblick über alle geförderten Projekte (PDF).