„Das deutsche Geschäftsmodell unter Druck: Wie geht es weiter?“Wirtschaftsweise Prof. Dr. Monika Schnitzer hält Vortrag an der UHH
3. Juli 2024, von Tim Schreiber
Foto: Sachverständigenrat Wirtschaft
Wie steht es aktuell um die deutsche Wirtschaft und wie ist der Ausblick für die kommenden Jahre? Darüber spricht die Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schnitzer am 4. Juli an der Universität Hamburg. Im Interview erläutert sie vorab Herausforderungen und Lösungsansätze.
Frau Schnitzer, worin genau besteht das „deutsche Geschäftsmodell“?
Vereinfacht kann man es auf drei Komponenten herunterbrechen: Technologie, Handel und Köpfe. Unsere Wirtschaft ist besonders gut darin, hochwertige Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Dabei profitiert sie von globaler Arbeitsteilung, indem sie Vorprodukte und Rohstoffe günstig aus anderen Ländern importiert, hierzulande weiterverarbeitet und für gutes Geld überall hin verkauft. Diese Produkte und Dienstleistungen sind am Weltmarkt gefragt, weil sie zum einen stetig weiterentwickelt worden sind und zum anderen mit einem umfangreichen Qualitätsversprechen kommen. Und da kommt letztlich die dritte Komponente ins Spiel: Unsere sehr gut ausgebildeten Facharbeiter:innen und exzellenten Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen. Das Fundament für diesen Erfolg bilden zudem ein funktionierender Rechtsstaat und Verwaltungsapparat sowie eine solide Infrastruktur.
Was sind die größten Herausforderungen für das Modell?
Unsere Wirtschaft hat in einigen wichtigen Sektoren, wie etwa der Automobilindustrie, Investitionen vernachlässigt, Trends, wie die Digitalisierung und Elektromobilität verschlafen, und so die Technologieführerschaft aus den Händen gegeben. Hinzu kamen die gestiegenen Energiepreise in Folge des russischen Angriffskrieges und die Disruptionen im globalen Handel wegen der Pandemie, worunter unsere exportorientierte Wirtschaft besonders gelitten hat. Diese Gemengelage hat die Wettbewerbsfähigkeit gemindert, gleichzeitig ist besonders die Konkurrenz aus China gewachsen und drückt die Preise, sodass unsere Unternehmen nicht mehr so gute Geschäfte machen können wie früher. Zusätzlich fängt das Fundament an zu bröckeln. Straßen, Schienen und Brücken sind in einem so schlechten Zustand, dass sie zum Kostentreiber für Unternehmen und, wie gerade bei Europameisterschaft zu sehen, auch zum Imageproblem werden. Gleiches gilt für die digitale Infrastruktur und die Stromnetze, die nicht schnell genug für die anstehende Transformation um- und ausgebaut werden. Es wurde und wird schlicht und ergreifend zu wenig investiert, sowohl vom Staat als auch der Privatwirtschaft.
Welche Herausforderungen könnten in den kommenden Jahren hinzukommen?
Hier würde ich besonders die dritte Komponente gefährdet sehen: uns gehen die Köpfe aus. In den nächsten Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente. Diese sind häufig gut ausgebildet und bilden gerade in Engpassberufen wie Pflege, im Baugewerbe oder im Handwerk eine tragende Säule. Diese Berufe sind wichtig für die anstehenden Transformationen unserer Energieversorgung und für den sozialen Zusammenhalt. Deswegen ist es wichtig, dass wir sowohl mehr gute Leute von außen holen als auch die Jugend hierzulande besser ausbilden. Es ist ein Armutszeugnis, dass unter den jungen Erwachsenen fast 3 Millionen keinen Berufsabschluss haben. Laut Nationalem Bildungsbericht ist das Kita- und Schulsystem am Limit und es leiden besonders Kinder mit Einwanderungsgeschichte darunter. Das ist jetzt schon fatal und für die Zukunft noch mehr.
Wir müssen außerdem die Erwerbsanreize, vor allem von Frauen, verbessern und dürfen die geburtenstarken Jahrgänge nicht noch dabei unterstützen, eher in Rente zu gehen. Gelingt es uns nicht, den Rückgang an Erwerbspersonen abzumildern, wird auch das Fundament weiter bröckeln. Dennunser Verwaltungs- und Gerichtsapparat leidet jetzt schon massiv unter Fachkräftemangel und eine Verschärfung könnte die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates sowie die Umsetzung staatlicher Entscheidungen gefährden.
Welche Veränderungsprozesse müssen am dringendsten vorangebracht werden, damit die Wirtschaft stabil bleibt bzw. es wieder mehr Wachstum gibt?
Neben der Stärkung des Erwerbspotentials müssen wir vor allem dafür sorgen, dass eine neue Generation an Unternehmen entsteht und die bestehende Wirtschaft fit gemacht wird für die Themen der Zukunft: Künstliche Intelligenz, Elektromobilität und Digitale Dienstleistungen. Wir brauchen mehr AlephAlpha, Deepl oder Celonis. Wir müssen dafür endlich mehr Startups aus den Hochschulen und Forschungseinrichtungen ins Wachstum bringen. Dazu brauchen wir mehr Wagniskapital sowie groß aufgelegte Investoren, und die kommen erst, wenn wir endlich einen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt haben. Regelungen des Insolvenzrechts müssen vereinheitlicht und regulatorische Hemmnisse bei der Berichterstattung und Besteuerung reduziert werden. Außerdem sollte der Staat Pensionsfonds sowie Versicherungen dazu befähigen, in risikoreichere Anlageklassen wie z.B. junge Unternehmen zu investieren.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Dr. h. c. Monika Schnitzer hält ihren Vortrag zum Thema „Das deutsche Geschäftsmodell unter Druck: Wie geht es weiter?“ am Donnerstag, den 4. Juli 2024 von 16:30 bis 18:00 Uhr im Hörsaal ESA B im Hauptgebäude der Universität Hamburg (Edmund-Siemers-Allee 1).
Die Veranstaltung findet im Rahmen des Forschungsseminars „Labour Economics“ der Fachbereiche SozÖk und VWL der WiSo-Fakultät statt. Das vollständige Programm ist auf der Seite des Seminars zu finden. Es wird um eine Anmeldung per Formular gebeten.