Willkommen an BordWie werden verschiedene Perspektiven sprachlich abgebildet und wahrgenommen?Prof. Dr. Stefan Hinterwimmer verstärkt die Geisteswissenschaften
9. April 2024, von Hinterwimmer/Red.
Foto: Rudi Feuser/DFG-Visual Communication
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Linguist Prof. Dr. Stefan Hinterwimmer.
Prof. Dr. Stefan Hinterwimmer ist zum Sommersemester von der Bergischen Universität Wuppertal gekommen und hat an der Fakultät für Geisteswissenschaften eine Professur für „Linguistik des Deutschen, insbesondere Semantik“ angetreten.
Mein Forschungsgebiet in drei Sätzen:
Generell liegt mein Forschungsgebiet in den Bereichen der Semantik und Pragmatik. Ich beschäftige mich also ganz allgemein damit, wie sich die Bedeutungen mündlicher oder schriftlicher Äußerungen aus dem Zusammenspiel der folgenden Komponenten ergeben: erlernte Wortbedeutungen, allgemeine Regeln zur Kombination dieser Bedeutungen, Annahmen über den Kontext, in dem eine Äußerung stattfindet, sowie die Intentionen der Person, die die Äußerung produziert.
Im Zentrum meiner aktuellen Forschung stehen die Mechanismen der Perspektivierung von Äußerungen und Texten, insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit, mehrere Perspektiven zugleich abzubilden. Zudem beschäftige ich mich mit der Frage, wie Lautsprache und sprachbegleitende Gesten bei der Etablierung von Perspektiven zusammenspielen. Weitere Themen, die mich aktuell sehr beschäftigen und zu denen ich begonnen habe zu forschen, sind die Beziehung zwischen grammatischem und sozialem bzw. biologischem Geschlecht sowie die Frage danach, inwiefern sich gesellschaftliche Machtverhältnisse auch in sprachlichen Struktuern niederschlagen bzw. welche Rolle diese Strukturen bei der Etablierung und Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen spielen.
Und so erkläre ich meiner Familie, worum es da geht:
Auch wenn wir es manchmal eigentlich gar nicht möchten, zum Beispiel bei Fahrten in vollen Bussen oder Zügen, bei denen man eigentlich lieber lesen oder seinen Gedanken nachhängen möchte: Wir können schlicht nicht anders, als die Äußerungen von Menschen in unserer Umgebung zu interpretieren – sofern diese in einer Sprache getätigt wurden, die wir beherrschen. Das gilt selbst dann, wenn die Aussagen aus Sätzen bestehen, die wir so noch nie gehört haben und die von Dingen handeln, die mit unserem eigenen Leben wenig zu tun haben. Ich möchte gerne genauer verstehen, wie das funktioniert und wie dabei Erlentes, unbewusst verinnerlichte Regeln und allgemeines Wissen über die Welt, in der wir leben, sowie Annahmen über die Absichten der jeweiligen Sprecherinnen und Sprecher zusammenspielen.
Darum freue ich mich auf Hamburg – auf die Stadt und die Universität:
Ich kenne Hamburg schon seit vielen Jahren von Besuchen bei dort lebenden Freundinnen und Freunden – und bin jedes mal wieder vom reichhaltigen kulturellen Angebot ebenso begeistert wie von der architektonischen Schönheit der Stadt und auch davon, wie grün Hamburg für eine Stadt dieser Größe ist. Auch der Hafen und die Nähe zum Meer haben mich immer sehr fasziniert. Umso mehr freue ich mich darauf, nun mehr Zeit in Hamburg zu verbringen und all diese Dinge regelmäßig auskosten zu können.
Was die Universität betrifft, freue ich mich sehr darüber, an einer so renommierten und forschungsstarken Universität forschen und lehren zu können und ich bin auf die Studierenden ebenso sehr gespannt wie auf die zukünftigen Kolleginnen und Kollegen. Ich hoffe, dass sich viele spannende Kooperationen im Bereich der Forschung ebenso wie der Lehre ergeben.
Darum ist meine Forschung für die Gesellschaft wichtig:
Ich möchte einen Beitrag leisten zu einem fundierten Verständnis der Mechanismen der sprachlichen Perspektivetablierung sowie der Entwicklung der Fähigkeit, Perspektivwechsel ebenso wie die gleichzeitige Präsenz mehrerer Perspektiven in Texten und Äußerungen zu erkennen.
Da die Fähigkeit zur Einnahme ebenso wie zur Metarepräsentation verschiedener Perspektiven eine wichtige Voraussetzung für die Teilhabe an und das friedliche Zusammenleben in einer sich zunehmend diversifizierenden, global vernetzten Gesellschaft ist, hat meine Forschung in diesem Bereich hohe gesellschaftliche Relevanz und bietet sich auch für den Erkenntnistransfer in eine interessierte Öffentlichkeit an.
Darüber hinaus halte ich es für wichtig, sich sowohl im Rahmen der universitären Forschung als auch der Lehre kritisch mit den verschiedenen Formen gesellschaftlicher Diskriminierung auseinanderzusetzen. Da Sprache eine zentrale Rolle bei der Produktion, Aufrechterhaltung und Verfestigung von Feindbildern bis hin zur Dehumanisierung ganzer Bevölkerungsgruppen ebenso wie bei der Legitimierung ungerechter Verteilungen gesellschaftlicher Ressourcen spielt, kommt der Sprachwissenschaft hier eine wichtige Funktion zu, da ein besseres Verständnis dieser Mechanismen eine Voraussetzung dafür ist, sie auch aufbrechen zu können.
Darum sollten Studierende unbedingt meine Veranstaltungen besuchen:
Generell ist mir in meiner Lehre ebenso daran gelegen, die Studierenden für das hohe Maß an Ordnung, das sich hinter der zunächst verwirrenden Komplexität sprachlicher Phänomene verbirgt, zu begeistern wie ihnen die Einsicht zu vermitteln, dass sprachwissenschaftliche Konzepte und Erkenntnisse einen wichtigen Beitrag leisten können zum Verständnis der Wirkungsweise von Sprache im gesellschaftlichen Raum.
Mir liegt dabei insbesondere auch die Verknüpfung von Theorie und Empirie am Herzen, weshalb ich Studierende in meinen Seminaren stets dazu anrege, in Hausarbeiten kleine und in Abschlussarbeiten auch größere empirische Studien, etwa Experimente und Korpusstudien, zur Überprüfung theoretischer Konzepte und Analysen durchzuführen und sie bei deren Durchführung unterstütze.
Meine laufenden sowie geplanten Forschungsprojekte zu Perspektivnahme, Multimodalität und zum Zusammenhang von grammatischem und semantischem Geschlecht bieten alle hervorragende Anknüpfungsmöglichkeiten für Haus- und Abschlussarbeiten. Ich bin auch davon überzeugt, dass die exzellente fachwissenschaftliche Ausbildung in den Lehramtsstudiengängen mit einer didaktischen Aufbereitung verbunden werden muss, bei der die Frage im Zentrum steht, wie linguistische Erkenntnisse sinnvoll im schulischen Unterricht vermittelt werden können. Ich stelle daher in meinen Lehrveranstaltungen gezielt Bezüge sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse zur schulischen Praxis her.
Das sind meine Pläne an der Uni Hamburg:
Ich möchte in Hamburg gerne meine Forschung zu Perspektive und Multimodalität fortführen und ausbauen und dabei auch stärker gesellschaftliche Aspekte einbeziehen. Dazu plane ich erstens die Fortsetzung meines gemeinsamen Projekts mit Prof. Dr. Cornelia Ebert von der Goethe-Universität Frankfurt zu Multimodalität und Perspektivnahme, das in das Schwerpunktprogramm „Visual Communication“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingebunden ist. In der zweiten Projektphase wollen wir zum einen den Fokus auf einen Vergleich zwischen dem Zusammenspiel von Lautsprache und sprachbegleitenden Gesten einerseits und Gebärdensprache andererseits beim Ausdruck von Perspektive erweitern. Dabei arbeiten wir auch mit Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Deutsche Gebärdensprache an der Uni Hamburg zusammen. Zum anderen wollen wir das Zusammenspiel von schriftsprachlich vermittelter Information mit in Abbildungen und Memes enthaltener Information beim Ausdruck von Perspektive untersuchen, insbesondere auch im Hinblick auf die Frage, wie die beiden Modalitäten bei der Auf- bzw. Abwertung und Markierung von Individuen und Gruppen als Identifikationsobjekte bzw. Feindbilder zusammenwirken.
Zweitens plane ich die Beantragung zweier Einzelprojekte bei der DFG. Im ersten möchte ich untersuchen, wie durch die Wahl verschiedener Arten von referenziellen Ausdrücken zur Bezeichnung von Individuen und Gruppen im öffentlichen bzw. politischen Diskurs die Perspektive der Rezipientinnen und Rezipienten auf diese Individuen und Gruppen beeinflusst wird und damit Prozesse des Ein- und Ausschlusses begünstigt werden. Im zweiten steht zum einen die Frage im Zentrum, wie Kinder Multiperspektivität in Texten sowie Wechsel zwischen Figuren- und Erzählperspektive interpretieren und verarbeiten bzw. in eigenen Texten realisieren. Zum anderen geht es um die Frage, ob Multiperspektivität das kindliche Textverständnis erschwert oder die dadurch gegebene Möglichkeit der Empathie und Identifikation mit im Text prominenten Figuren im Gegenteil auch zu einem besseren Textverständnis führen kann. Für dieses Projekt strebe ich eine Kooperation mit Hamburger Schulen an, in die auch Studierende im Rahmen von Lehrprojekten eingebunden sind.
Drittens bin ich als Co-Projektleiter in zwei Projekte eingebunden, die bei der DFG im Rahmen des in Köln angesiedelten Sonderforschungsbereichs „Prominenz in Sprache“ beantragt werden und möchte damit einen weiteren Beitrag zur Vernetzung der Universität Hamburg mit anderen deutschen Universitäten leisten. Im ersten Projekt, das ich gemeinsam mit Dr. Elen LeFoll beantrage, gehen wir der Frage nach, inwiefern sich grammatische Genushierachien bzw. soziele Geschlechtshierarchien im Deutschen, Französischen und Englischen in verschiedenen sprachlichen Prominenzhierarchien widerspiegeln. Im zweiten Projekt, das ich gemeinsam mit Prof. Dr. Sophie Repp beantrage, untersuchen wir die Bedigungen, unter denen Pronomen nicht nur den gesamten Inhalt eines negierten Satzes, sondern auch den Inhalt des jeweiligen Satzes ohne die Negation aufgreifen können.
Da insbesondere meine Forschung zur Interpretation und sprachlichen Realisierung von Perspektive durch Kinder im Grundschulalter sowie zur Rolle von Sprache an sich bzw. Sprache in Kombination mit visueller Information bei der (Re)Produktion und Aufrechterhaltung von Feindbildern sich hervorragend für einen Transfer in die schulische Öffentlichkeit eignet, plane ich, entsprechende Veranstaltungen und Workshops an Hamburger Schulen zu organisieren, bei denen auch Studierende die Ergebnisse eigener kleinerer Forschungsprojekte vorstellen sollen.
Blick in die weite Welt: mit diesen internationalen Einrichtungen, Universitäten oder Institutionen arbeite ich zusammen:
Ich arbeite aktuell mit Jesse Harris von der University of California at Los Angeles (UCLA) sowie Dorothy Ahn von der University of Rutgers im Rahmen einer Reihe gemeinsamer experimenteller Studien zum Zusammenhang von Perspektivnahme, grammatischem Geschlecht und semantischem Geschlecht sowie zur Interpretation verschiedener Arten von Pronomen und Artikelwörtern im Deutschen und Englischen zusammen. Außerdem kooperiere ich im Rahmen eines von der DFG geförderten Netzwerks mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Kanada, Ghana, Tschechien, der Ukraine und Deutschland bei der Erstellung eines Leitfadens zur Identifikation und Klassifikation von demonstrativen und definiten Artikeln in verschiedenen Sprachen.