Willkommen an BordBildungsbarrieren, (Un-)Gerechtigkeit und TeilhabeProf. Dr. Tanja Sturm verstärkt die Erziehungswissenschaft
3. April 2024, von Bente Gießelmann
Foto: foto-anhalt
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Tanja Sturm.
Prof. Dr. Tanja Sturm ist von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg nach Hamburg gekommen und hat zum Sommersemester 2024 die Professur „Erziehungswissenschaft, insbesondere Grundschulpädagogik mit dem Schwerpunkt des Diversitätsspektrums im Vor- und Grundschulalter“ an der Fakultät für Erziehungswissenschaft angetreten.
Ihr Weg als Wissenschaftlerin in fünf Sätzen:
Mein Weg als Wissenschaftlerin hat in der Sedanstraße begonnen, wo ich war als studentische Hilfskraft unter anderem bei Prof. Dr. Karl Dieter Schuck in der Pädagogik bei Behinderung und Benachteiligung tätig war. Anschließend habe ich im Graduiertenkolleg „Bildungsforschung“ an der UHH promoviert und mein Referendariat in Hamburg absolviert. Nun hat mich mein wissenschaftlicher Weg über Klagenfurt, Basel, Münster und Halle wieder nach Hamburg geführt.
Mein inhaltlicher wissenschaftlicher Weg zeichnet sich durch die Bearbeitung von Fragen von Diversität, Inklusion und Gerechtigkeit im Kontext von Schule und Unterricht in unterschiedlichen Schulsystemen aus. Mein wissenschaftliches Arbeiten ist wesentlich darin begründet, Perspektiven zur Überwindung bestehender Ungerechtigkeiten zu generieren.
Mein Forschungsgebiet in wenigen Sätzen:
Derzeit bin ich in zwei Projekte eingebunden. In einem untersuchen wir vergleichend, wie Schülerinnen und Schüler die Pandemie in Deutschland und Kanada erlebt haben. In Deutschland gab es sehr lange Schulschließungen und oft kaum verfügbare digitale Ausstattung, während die Schulen in Kanada vergleichsweise kurz geschlossen waren und im internationalen Vergleich über eine sehr gute digitale Ausstattung verfügen. Wir gehen der Frage nach, welche Erfahrungen der (Behinderung) der sozialen und akademischen Teilhabe die Schülerinnen und Schüler gemacht haben, die zu Beginn der Pandemie die vierte Klasse besucht haben.
Erste Ergebnisse zeigen, dass die Erfahrungen von Kindern aus nicht-privilegierten Milieus in Deutschland sich von denen ihrer kanadischen Peers sowie der deutschen Schülerinnen und Schüler aus privilegierten Milieus unterscheiden: ihre soziale und akademische Teilhabe wurde deutlich behindert.
In einem zweiten Projekt gehe ich mit Kolleginnen und Kollegen der Frage nach, wie Barrieren der Teilhabe von Grundschülerinnen und Grundschülern in peripheren Sozialräumen Sachsen-Anhalts abgebaut werden können. Dieser Frage gehen wir vergleichend für städtische und ländliche Bereiche nach. Forschung in ländlichen Gebieten stellt bisher ein Desiderat der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft dar.
Und so erkläre meiner Familie, worum es da geht:
Dass schulischer Bildungserfolg in Deutschland mehr als in anderen Ländern von der familiären bzw. insgesamt der Lebenssituation der Schülerinnen und Schüler abhängt, ist eine vielen bekannte Tatsache. In meiner Forschung gehe ich den Fragen nach, wie diese Ungerechtigkeiten unterrichtlich hervorgebracht werden. Dabei gehe ich nicht davon aus, dass dies allein an den Lehrpersonen liegen würde. Vielmehr betrachte ich ihre Praxen in Relation zum formalen schulischen Kontext, also den Normen und Erwartungen, die an sie gestellt werden.
International vergleichende Forschung eröffnet einen differenzierten Blick auf die Policy, also die formal kodifizierten Rahmungen, und die Praxen, v. a. des Unterrichts. Ein weiteres Forschungsinteresse stellen die Perspektiven der Schülerinnen und Schüler selbst dar, z. B. das Erleben von Schule in der Corona-Pandemie.
Darum ist meine Forschung für die Gesellschaft wichtig:
Bildung und eine gerechte und gleichberechtige Teilhabe an ihr stellen zentrale Momente einer demokratischen und nachhaltigen Gesellschaft dar. Dass alle Kinder und Jugendlichen diese Erfahrungen in Schule und Unterricht erleben und machen können, dazu möchte ich mit meiner Forschung einen Beitrag leisten. Konkret heißt dies, mithilfe wissenschaftlicher Methoden jene Barrieren zu erkennen und zu beschreiben, die diesen gesellschaftlichen Zielen, die u. a. in den Sustainable Development Goals (Ziele für nachhaltige Entwicklung) der Vereinten Nationen formuliert sind, aktuell im Wege stehen. So können sie perspektivisch abgebaut werden.
Darum sollten Studierende unbedingt meine Veranstaltungen besuchen:
In meinen Lehrveranstaltungen arbeite ich sehr gerne mit Daten aus aktuellen Forschungsprojekten, die mit theoretischen Erkenntnissen sowie mit normativen gesellschaftlichen Prämissen verglichen werden. Fragen nach Gerechtigkeit, Diversität und Inklusion in Schule und Unterricht sind mir dabei sehr wichtig ebenso wie Vergleiche unterschiedlicher schulischer Kontexte. In einem meiner Seminare im Sommersemester arbeite ich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen sowie ihren Studierenden aus Japan und Norwegen zusammen.
Blick in die weite Welt – mit diesen internationalen Einrichtungen, Universitäten oder Institutionen arbeite ich zusammen:
Derzeit arbeite ich intensiv mit Kolleginnen und Kollegen in Kanada, Norwegen und Japan zusammen. Der Einbezug weiterer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem globalen Süden in unsere gemeinsamen Lehrveranstaltungen ist eines meiner Ziele für die Lehre. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen in den USA schreibe ich derzeit an einem Aufsatz, in dem wir schulische Inklusion in Deutschland, Simbabwe und den USA vergleichen – sie sind an der UHH-Partneruniversität in Greensboro in North Carolina in den USA tätig.
Das sind meine Pläne an der Uni Hamburg:
Sehr gerne möchte ich meine bestehenden Kooperationen mit Schulen in Kanada ausbauen – für den Austausch zwischen Studierenden, Lehrenden und auch Lehrpersonen. Diversität in Schule und Unterricht stellt auch in kanadischen Schulen einen zentralen Bezugspunkt dar.
Ein weiteres Anliegen ist mir die Auseinandersetzung mit Fragen von Armut, v. a. Kinderarmut und ihrer Bedeutung für schulisch-unterrichtliches Lehren und Lernen. Ein nicht unerheblicher Teil von Kindern und Jugendlichen wächst in der reichen Stadt Hamburg unter diesen Bedingungen auf. Für ihre Lebenssituation möchte ich angehende Lehrpersonen sowie Pädagoginnen und Pädagogen sensibilisieren. Ergebnisse stelle ich gerne auch der Bildungs- und Schulpolitik vor und diskutiere sie mit ihren Vertreterinnen und Vertretern.
Darum freue ich mich auf Hamburg – auf die Stadt und die Universität:
In Hamburg freue mich sehr auf die Zusammenarbeit in der Fakultät und in der Universität sowie über diese hinaus, z. B. mit Schulen und sozialpädagogischen Einrichtungen in den Stadtteilen. Ich freue mich auf den Frühling an Elbe und Alster sowie auf die kulturelle Vielfalt der Stadt und der Universität.