Touren und Ausstellung zeigen Orte der ErinnerungHamburg und die DDR aus neuer Perspektive entdecken
4. Oktober 2023, von Anna Priebe
Foto: UHH/Röttger
Ob Landungsbrücken, Jungfernstieg oder Reeperbahn – viele bekannte Plätze der Hansestadt sind auch Orte der Erinnerung an Flucht oder Ausreise aus der DDR. Fünf multimediale Touren und eine Ausstellung, die im Rahmen eines Forschungsprojektes der Uni Hamburg entstanden sind, machen sie nun neu erlebbar.
„Jetzt haust du hier ab!“ Das dachte sich Manfred E. im Januar 1965, als er mit der „MS Halberstadt“ im Hamburger Hafen anlegte. Das Schiff kam aus Rostock, E. war als Seemann an Bord. Er nutzte einen Landgang, um heimlich bei der Polizei seinen Bleibewunsch in der Bundesrepublik zu melden, und kehrte nicht in die DDR zurück.
Wie er sich fühlte und an wen er sich bei seiner Ankunft wandte, erzählt Manfred E. durchaus mit Humor in „Tour 3“ zu den „Orten der (Un)Sichtbarkeit“. Die multimedialen Angebote sind im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts des Arbeitsfeldes Public History der Universität Hamburg und der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg entstanden.
Fünf Touren zu 16 Stationen
Auf Basis von Gesprächen mit insgesamt 80 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Theresa Hertrich und Jan Krawczyk unter der Leitung von Prof. Dr. Thorsten Logge fünf sogenannte Audiowalks zu 16 Stationen im Hamburger Stadtgebiet erarbeitet. Pünktlich zum Tag der deutschen Einheit wurden sie vorgestellt und veröffentlicht. Bei der Eröffnungsfeier am 2. Oktober 2023 waren unter den Besucherinnen und Besuchern auch viele der Projektmitwirkenden und ihre Familien.
Neben Manfred E. erzählen an den Erinnerungsorten auch 17 weitere ehemalige DDR-Bürgerinnen und -Bürger selbst ihre Geschichten, wie sie ausreisten oder flüchteten und in Hamburg ankamen. Neben den audio-geführten Touren gibt es online jeweils auch eine detaillierte Beschreibung mit ergänzenden historischen und aktuellen Fotos und Dokumenten.
Neue Möglichkeit des Erinnerns
Der Audiowalk, bei dem Seemann Manfred E. mitwirkt, startet an den Landungsbrücken. Danach geht es mit der Linie 62 auf die Elbe und nach Finkenwerder, wo es bis in die 1970er-Jahre ein Durchgangslager für Geflüchtete gab. Andere Touren führen an den Jungfernstieg und in den Hamburger Osten nach Wandsbek.
Das Projekt zeigt ein neues, lokales Erinnern an die DDR
„Wir freuen uns sehr, dass uns so viele Menschen ihre persönlichen Erlebnisse anvertraut haben und bereit waren, Teil der Touren zu werden. Das Forschungsprojekt zeigt ein neues, lokales Erinnern an die DDR und wirft auch einen Blick auf Hamburg als Migrationsziel“, erklärt Theresa Hertrich. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Public History und hat das Projekt gemeinsam mit ihrem Kollegen Jan Krawczyk koordiniert. Er ergänzt: „Die Touren machen diese Orte und die deutsche Geschichte nun für alle erlebbar. Daher haben wir besonders darauf geachtet, die Informationen umfassend einzubetten und durch Transkriptionen der Audiobeträge möglichst barrierefrei zugänglich zu machen.“
Ergänzende Ausstellung im Universitätsmuseum
Einen tieferen Einblick in das Forschungsprojekt, das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Bundesprogramm „Jugend erinnert“ finanziert und von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unterstützt wurde, gibt es bis März 2024 im Universitätsmuseum (Di 10–14 Uhr, Do 15–19 Uhr, Sa 14–18 Uhr; Eintritt frei). Hier bietet eine Sonderausstellung die Möglichkeit, in speziell umgebauten Strandkörben den Audiowalks zu lauschen und sich auf die Reise durch Hamburg mitnehmen zu lassen.
Darüber hinaus gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm, etwa Führungen mit den Kuratorinnen und Kuratoren am 05.10., 02.11., 07.12., 04.01.24 und 01.02.24 (jeweils um 15 Uhr). Bei diesen Führungen wird es auch die Möglichkeit geben, mit Zeitzeuginnen und -zeugen ins Gespräch zu kommen. Darüber hinaus sind zahlreiche Workshops und Lesungen in der Ausstellung geplant, etwa mit Nicole Weis („Elbe 511“, 18.10.) und Aron Boks („Nackt in die DDR“, 31.10.).
Weitere Informationen
Alle Termine, etwa für Schulen und Bildungseinrichtungen, sowie die multimedialen Touren gibt es online auf der Webseite der „Orte der (Un)Sichtbarkeit“.