Willkommen an Bord„Ich möchte das Thema ‚Migration, Biografie und Religion‘ für eine erweiterte Zielgruppe öffnen“Prof. Dr. Claudia Jahnel verstärkt die Geisteswissenschaften
2. Oktober 2023, von Jahnel/Red.
Foto: EKD/Jens Schulze
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Theologin Prof. Dr. Claudia Jahnel.
Prof. Dr. Claudia Jahnel ist zum Wintersemester von der Ruhr-Universität Bochum gekommen und hat an der Fakultät für Geisteswissenschaften eine Professur für „Evangelische Theologie: Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaft“ angetreten.
Mein Forschungsgebiet in drei Sätzen:
Ganz allgemein gesprochen interessiert mich das, was im Zwischenraum interkultureller Kontakte und Grenzüberschreitungen passiert: kulturelle, theologische und religiöse Hybridisierungen, Neuerfindungen von Identität, VerAnderungen (othering) des „Fremden“, Aushandlungen von Deutungsmacht, körperbezogene Einschreibungen von Fremdheit, Ähnlichkeit und Identität, die Rolle von Sinnen und Affekten in der Konstruktion von Nähe und Distanz.
Schwerpunktmäßig konzentriere ich mich dabei auf transregionale religionsbezogene Diskurse zwischen Afrika und Europa sowie zwischen Afrika und Asien. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf autobiografischen Migrationsnarrationen und der Frage, wie hier Religion konzipiert und verändert wird – im Englischen spricht man hier vom „Doing Religion“. Und schließlich noch ein sehr aktuelles Thema: kulturelles, religiöses Wissen und ökologische Gerechtigkeit.
Und so erkläre ich meiner Familie, worum es da geht:
Ich frage, welche Vorstellung von Religion, „anderen“ Kulturen oder „Natur“ hinter Filmen wie Pocahontas, Avatar, Vaiana oder Black Panther stehen und warum diese Filme so erfolgreich sind.
Darum freue ich mich auf Hamburg – auf die Stadt und die Universität:
Es gibt für mein Fach wohl keinen geeigneteren Ort in Deutschland als Hamburg mit seinen internationalen Beziehungen und seiner historischen Weltoffenheit. Kein Wunder, dass das Fach hier durch namhafte Lehrstuhlinhaber kontinuierlich entwickelt und international profiliert wurde. Mit der Missionsakademie an der Uni Hamburg hat sich hier zudem ein einzigartiges Netzwerk des internationalen theologischen und religionswissenschaftlichen Nachwuchses etabliert. Meinem ersten Eindruck nach schlägt sich die Weltoffenheit Hamburgs auch in einem sehr konstruktiven interdisziplinären Miteinander nieder.
Besonders gespannt bin ich auf die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem neuen Fachbereich Religionen und auf den Kontakt mit dem Asien-Afrika-Institut – und auf viele weitere überraschende Kooperationsmöglichkeiten. Ich freue mich aber auch darauf, die interkulturelle und interreligiöse Vielfalt der Stadt im Alltag wie auch in den kulturellen Angeboten einschließlich der großartigen Museen, Sammlungen und – ganz wichtig – Kinos zu erleben.
Das sind meine Pläne an der Uni Hamburg:
Ein ganz konkreter Plan ist, das Thema „Migration, Biografie und Religion“ für eine erweiterte Zielgruppe zu öffnen, also etwa einen Weiterbildungs- oder Zertifikatsstudiengang für all jene anzubieten, die damit zu tun haben, z. B. Mitarbeitende aus den Bereichen Bildung, Verwaltung, Kirche oder Diakonie.
Mein Traum ist es außerdem, in Kooperation mit verschiedenen universitären und außeruniversitären Partnern, etwa dem Völkerkundemuseum, Räume zu bieten für das gemeinsame Nachdenken über das, was der global bekannte kamerunische Philosoph Achille Mbembe „future knowledges“ genannt hat: Zukünftiges Wissen und Wissensformen zwischen Afrika, Asien und Europa.
Viele Forscherinnen und Forscher sowie Studierende – nicht nur aus dem globalen Süden, sondern auch aus England oder den Niederlanden – fordern in den vergangenen Jahren verstärkt, dass wir unser Wissen dekolonisieren und Raum für eine Polyphonie von Wissenssystemen schaffen müssen. Nicht zuletzt der Klimawandel zeigt, dass unser westliches Wissenssystem – das ich keinesfalls missen oder abschaffen möchte – Schattenseiten hat.
Auch der sogenannte Westen steckt in einer Wissens-Krise. Wie können wir andere Wissenssysteme wahrnehmen, ohne die wissenschaftliche Überlegenheitshaltung zu perpetuieren oder uns „indigenes“ Wissen einfach anzueignen? Es geht mir um ein Forum für vielfältige ästhetische Narrative und dabei letztlich um Fragen der Nachhaltigkeit und der kulturellen Widerstands- und Überlebensfähigkeit.
Darum sollten Studierende unbedingt meine Veranstaltungen besuchen:
- weil sie den Horizont über Hamburg oder Deutschland hinaus eröffnen und trotzdem Fragen und Themen berühren, die für eine Vielfaltsgesellschaft von zentraler Bedeutung sind,
- weil sie in die kritische Auseinandersetzung mit häretischen Abgründen und starren religiösen und theologischen Identitätsbehauptungen führen,
- weil Religion und ihre globalen Transformationsprozesse hochaktuell sind (auch in der Popularkultur –etwa im Film „Dune“,
- weil sie Fragen der (Deutungs-)Macht stellen und postkoloniales, rassismuskritisches Denken fördern wollen und darüber engagiert diskutieren lässt,
- und weil sie auch die Theologie kontextualisieren.
Blick in die weite Welt: mit diesen internationalen Einrichtungen, Universitäten oder Institutionen arbeite ich zusammen.
Mein Fach wäre ohne internationale Beziehungen undenkbar. Ganz konkret arbeite ich gerade mit Universitäten in Südafrika, Ruanda und Kenia an einem mittelfristigen Projekt zu ökologischer Gerechtigkeit und Religion. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, „Brot für die Welt“ und einige kirchliche Einrichtungen fand 2022 eine digitale Konferenz und im März dieses Jahres eine Konferenz in Stellenbosch/Südafrika statt. Mit der Fakultät der Jesuiten in Abidjan/Côte d'Ivoire, dem Zentrum Theologie Interkulturell und Studium der Religionen in Salzburg sowie mit weiteren (interkulturell-) theologischen und religionswissenschaftlicher Partnern in Deutschland bearbeiten wir verschiedene religionsbezogene und postkoloniale Aspekte der Beziehung „Afrika–Europa“.
Die Missionsakademie an der Universität Hamburg, mit der ich schon lange verbunden bin, unterhält Beziehungen zu Hochschulen und Universitäten u. a. in Indien, Myanmar, Fidji, Tansania und Indonesien und ist ein optimaler Partner im Ausbau der internationalen akademischen Nachwuchsförderung, vielleicht auch in Form eines Graduierendenkollegs. Als Mitglied der gemeinsamen Beratungsgruppe zwischen dem Weltrat der Kirchen in Genf und Pfingstkirchen arbeite ich ebenfalls mit zahlreichen theologischen Fakultäten weltweit zusammen.