Willkommen an Bord„Eine tote Sprache zu lernen, erschließt neue Welten“Prof. Dr. Nicole Brisch verstärkt die Geisteswissenschaften
22. August 2023, von Brisch/Red.
Foto: Inger Ulrich
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Assyriologin und Philologin Prof. Dr. Nicole Brisch.
Prof. Dr. Nicole Brisch ist zum Sommersemester 2023 von der Universität Kopenhagen nach Hamburg gekommen und hat in der Fakultät für Geisteswissenschaften eine Professur für „Assyriologie“ angetreten.
Mein Forschungsgebiet in drei Sätzen:
Mein Fachgebiet ist die Assyriologie, die sich mit den schriftlichen Hinterlassenschaften der Keilschriftkultur des alten Mesopotamiens (3300 v. Chr.–100 n. Chr.) beschäftigt. In den vergangenen Jahren habe ich mich verstärkt mit der Religionsgeschichte des alten Vorderen Orients befasst, da die reichhaltige Quellenlage uns eine einzigartige Möglichkeit bietet, die Langzeitperspektiven menschlicher Religiosität zu beobachten. Das letzte Buch, das ich zusammen mit meiner Kollegin Fumi Karahashi an der Chuo Universität in Japan herausgegeben habe, hat die Rolle von Frauen in der Religionsgeschichte des alten Vorderen Orients und Asiens beleuchtet und trägt sowohl historische als auch nicht-westliche Perspektiven zur Frauenforschung bei.
Und so erkläre ich meiner Familie, worum es da geht:
Die Assyriologie beschäftigt sich mit dem vorchristlichen Vorderen Orient bzw. Westasien, also mit dem Gebiet, in dem heute die Staaten Syrien und Irak liegen. Das Gebiet wird oft als die Wiege der Zivilisation bezeichnet – auch weil hier gegen 3300 vor Christus die Schrift erfunden wurde und wir dadurch einzigartige, außerordentlich reiche und diverse textliche Hinterlassenschaften haben.
Das Schriftsystem wird Keilschrift genannt, weil kleine Zeichen mithilfe eines Griffels in Ton eingepresst wurden und die Schriftzeichen keilförmig aussehen. Bei den textlichen Quellen kann es sich um so banale Dinge wie Quittungen oder Abrechnung handeln, aber auch um poetische und religiöse Texte, wie zum Beispiel das Gilgamesch-Epos, eine der ältesten epischen Erzählungen der Weltgeschichte. Die Keilschrift blieb für mehr als 3000 Jahre in Verwendung. Die Sprachen und Kulturen des alten Mesopotamiens ermöglichen somit faszinierende Einblicke in die frühe menschliche Geschichte und Gedankenwelt.
Darum freue ich mich auf Hamburg – auf die Stadt und die Universität:
Ich stamme ursprünglich aus Berlin, habe aber seit 1998 – mit ein paar Unterbrechungen – im Ausland gelebt, zuerst in den USA, dann in Großbritannien und zuletzt in Dänemark. Mein Eindruck ist, dass sowohl die Stadt als auch die Universität Hamburg sehr dynamisch sind. Und meiner Erfahrung nach ergeben sich sowohl durch die Dynamik als auch durch eine verstärkte Internationalisierung aufregende neue Perspektiven und Synergien. Das finde spannend.
Ich freue mich daher sehr, mit den Kolleginnen und Kollegen am Asien-Afrika-Institut der Geisteswissenschaftlichen Fakultät sowie am Excellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ zusammenzuarbeiten.
Das sind meine Pläne an der Uni Hamburg; das würde ich gern ins Leben rufen oder verstärken:
Am Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg wird die Assyriologie als Studiengang neu eingerichtet. Das stellt einerseits eine große Herausforderung dar, bietet aber auch viele Möglichkeiten, ein spannendes neues Studienprogramm zu schaffen.
Darüber hinaus freue mich besonders, als Assyriologin zu der interdisziplinären Forschung zu Manuskripten am Center for the Study of Manuscript Cultures beizutragen. Auch finde ich die Profilinitiative „Thought and Religions“ an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät sehr interessant. So könnte ich mir gut vorstellen, mit einem Projekt über die Rolle von Priesterinnen beizutragen, die sich historisch im Laufe des 2. Jahrtausends v. Chr. geändert hat.
Darum sollten Studierende unbedingt meine Veranstaltungen besuchen:
Wer sich für Geschichte und Kulturgeschichte interessiert, sollte unbedingt meine Kurse belegen! Wenn wir, im Westen, einen Dialog mit nicht-westlichen Gesellschaften führen wollen, müssen wir uns auch mit deren Kulturerbe beschäftigen, das eine der frühesten menschlichen Errungenschaften darstellte.
Dafür beschäftigen uns unter anderem mit dem schon erwähnten Gilgamesch-Epos – einer der ältesten epischen Erzählungen aus nicht-westlichem Kontext, die an Schulen in den USA inzwischen als Teil der nicht-westlichen Weltliteratur unterrichtet wird –, und mit den Werken eines der ersten Autoren in der Weltgeschichte überhaupt – der Priesterin Enheduanna!
Ich biete zudem sowohl Sprachkurse in Akkadisch, der ältesten semitischen Sprache, und Sumerisch als auch Kurse über die Geschichte an. Die Geschichte bezieht dabei auch immer Religion, Literatur, Wirtschaft und Gesellschaft mit ein. Eine tote Sprache zu lernen, stellt immer eine Herausforderung dar, erschließt aber auch neue Welten.
Blick in die weite Welt: mit diesen internationalen Einrichtungen, Universitäten oder Institutionen arbeite ich zusammen:
Die Assyriologie als kleines Fach muss international vernetzt sein, um zu überleben. Ich arbeite mit den zwei wichtigsten digitalen Initiativen in der Assyriologie zusammen, die in Kooperationen zwischen Oxford, Berlin, München, Philadelphia und Berkeley durchgeführt werden. Das Archiv, an dem ich arbeite, befindet sich in Chicago, Yale und Bagdad. Mit Kolleginnen und Kollegen in Frankreich arbeite ich zudem seit einigen Jahren an einem Buch über das Färben von Textilien im alten Mesopotamien und habe vor einiger Zeit eine Zusammenarbeit mit iranischen Kollegen begonnen, die archäologische Ausgrabungen im westlichen Iran durchführen.
Darum ist meine Forschung für die Gesellschaft wichtig:
Die Freiheit der Forschung ist meiner Meinung nach von enormer Wichtigkeit, auch wenn sich der Nutzen nicht immer unmittelbar erkennen lässt. In manchen Fällen zeigt sich erst nach Jahren oder Jahrzehnten, wie wichtig Erkenntnisse der Forschung waren.
Dennoch sollte man seine Ergebnisse immer auf ihre Relevanz untersuchen, was meine Kollegin Fumi Karahashi und ich etwa in unserem erwähnten Buch über die Rolle von Frauen in der Religionsgeschichte getan haben. Wir haben dabei angeführt, dass die Genderforschung von großer Wichtigkeit für ein kleines Fach wie die Assyriologie war. Wir hielten dies insbesondere in diesen Zeiten für wichtig, in denen Philosophinnen wie Judith Butler der Genderforschung einen „backlash“ in der Gesellschaft zuschreiben.
Oft wird die Vergangenheit – selbst die sehr weit zurückliegende –, dazu benutzt, heutige Standpunkte zu untermauern, so zum Beispiel die altmesopotamische Tempelprostitution und die Göttin Ishtar, die manche dazu anführten, um moderne Sexarbeit zu entdiskriminieren. Aber sieht man sich die Quellen einmal genauer an, so findet man heraus, dass auch andere Interpretationen für die Rolle von Priesterinnen möglich und vielleicht sogar wahrscheinlicher sind.