Willkommen an Bord„Gegenwartsreligion – sozial, öffentlich, empirisch!“Prof. Dr. Felix Roleder verstärkt die Geisteswissenschaften
3. Juli 2023, von Roleder/Red.
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Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Theologe Prof. Dr. Felix Roleder.
Prof. Dr. Felix Roleder ist zum 1. Juli von der Eberhard Karls Universität Tübingen gekommen und hat an der Fakultät für Geisteswissenschaften eine Juniorprofessur für „Evangelische Theologie: Praktische Theologie (Kybernetik)“ angetreten.
Mein Forschungsgebiet in drei Sätzen:
Mein Habilitationsprojekt untersucht (chronische) Vereinsamung und soziale Isolation als empirisches Phänomen und als Thema von Seelsorge und kirchlicher Diakonie. Der Mixed-Methods-Ansatz zeichnet mit quantitativen Paneldaten die diachronen Lebens- und Einsamkeitsverläufe von Individuen und Haushalten bevölkerungsbreit nach, die mit qualitativen Erkundungen in seelsorgerlichen und diakonischen Praxisfeldern, etwa der Telefonseelsorge, kombiniert werden. Einsamkeit kommt sowohl in ihrer gesellschaftlichen Dimension als soziale Exklusion als auch als individuelle Situation von Biografie, Kognition und Bewältigungshandeln in den Blick.
Der Schwerpunkt der Professur liegt auf der Erforschung der gegenwärtigen Sozialgestalten von Religion. Dabei interessiere ich mich genauso für die institutionalisierte kirchliche Form (Kirchenbindung, Kirchenaustritt) wie für den religiösen Formwandel (digitale Religion, Säkularität). Ich forsche zur öffentlichen Bedeutung von Religion, zu ihren positiven wie ambivalenten Wirkungen – etwa bei der Konstitution von gesellschaftlichem Sozialkapital und von politischem Vertrauen in die demokratischen Institutionen.
Und so erkläre ich meinen Freunden und meiner Familie, worum es da geht:
Die allermeisten von uns kennen vorübergehende Emotionen von Einsamkeit. Die soziale Distanzierung während der Pandemie war für manche von uns eine Einsamkeitserfahrung. Davon zu unterscheiden sind Situationen chronischer Vereinsamung, die ca. fünf Prozent der Bevölkerung betreffen und die mit psychischer Belastung sowie mit gesundheitlichen Risiken verbunden sind. Mich interessiert: Inwiefern spielt Religion bei der Prävention und Bewältigung von Vereinsamung eine Rolle? Wie können Seelsorge und Diakonie, jenseits der Individualisierung von Einsamkeit, auch ihre sozialstrukturellen, soziokulturellen Ursachen als Phänomen sozialer Exklusion adressieren?
Religion ist nach dem französischen Soziologen Émile Durkheim ein sozialer Tatbestand, der für empirische Forschung zugänglich ist und der sich zugleich kontinuierlich wandelt. Die aktuelle Popularität von religiösen Influencern in den sozialen Medien, sogenannten „Sinnfluencern“, ist ein Beispiel für die neuen Sozialformen des Religiösen, die im Zuge des Transformationsprozesses der Mediatisierung entstehen und die zugleich auf die etablierten religiösen Institutionen zurückwirken.
Darum freue ich mich auf Hamburg – auf die Stadt und die Universität:
Ich freue mich auf Forschung und Lehre im innovativen wie diversen Kontext der Universität Hamburg sowie auf die ebenso kollegiale wie ambitionierte Zusammenarbeit an der Universität, der Fakultät für Geisteswissenschaften und dem Fachbereich Evangelische Theologie. An Hamburg reizt mich, neben vielen anderen Vorzügen, die vielfältige religiöse und zivilgesellschaftliche Landschaft der urbanen Metropolregion, die ich als attraktiven Lebensraum kennenlernen und als spannendes Forschungsfeld erkunden möchte.
Das sind meine Pläne an der Uni Hamburg:
Ich möchte die Zusammenarbeit mit dem neuen Fachbereich der Religionen weiter ausbauen und so Forschung und Lehre im Hamburger Kontext und im Zuge der universitären Profilinitiative Weltanschauungen weiter interreligiös profilieren. Darüber hinaus plane ich, das Thema der digitalen Religion in die Digitalisierungsstrategie der Fakultät für Geisteswissenschaften einzubringen.
Die gesellschaftliche Herausforderung der Vereinsamung bietet Kooperations- und Transfermöglichkeiten mit zivilgesellschaftlichen, kommunalen und diakonisch-kirchlichen Partnern in Hamburg, deren Bearbeitung zudem an das Leitbild Universität der Nachhaltigkeit anschließt.
Darum sollten Studierende unbedingt meine Veranstaltungen besuchen:
Praktische Theologie versteht sich als wissenschaftliche Theorie der religiösen und religionsprofessionellen Praxis. In meinen Lehrveranstaltungen arbeiten wir an der produktiven Schnittstelle von Theorie und Praxis. Zum einen erkunden wir religiöse Gegenwartsphänomene und wenden diese theologieproduktiv. Zum anderen setzen wir uns mit Theorie und Praxis der religionsbezogenen Berufe auseinander. Denn eine reflektierte (Selbst)Wahrnehmung und eine versierte theologische Orientierung sind elementar wichtig für eine professionelle religiöse Berufspraxis.
Bei der Konzeption meiner Lehrveranstaltungen lege ich Wert auf die Mitbestimmung der Studierenden, auf Methodenvielfalt, auf praktische Übungen und die eigene Erkundung von Praxisfeldern sowie die theologische Reflexion der gewonnen Praxiseindrücke und -erfahrungen.
Blick in die weite Welt: mit diesen internationalen Einrichtungen, Universitäten oder Institutionen arbeite ich zusammen:
Jüngst habe ich mit praktisch-theologischen Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt auf der bi-annual conference der International Academy of Practical Theology in Seoul, Südkorea, zu sozialer Vereinsamung als globale Herausforderung kultur- und gesellschaftsvergleichend gearbeitet. Im Rahmen meines Habilitationsprojektes plane ich einen Forschungsaufenthalt in Großbritannien (University of Sheffield, Centre for Loneliness Studies). Außerdem werde ich mich zukünftig verstärkt für das International Journal of Practical Theology engagieren.
Darum ist meine Forschung für die Gesellschaft wichtig:
Anders als manche kulturpessimistischen Medienbeiträge suggerieren, droht unserer Gesellschaft keine Pandemie der Einsamkeit. Dennoch ist ein persistenter Bevölkerungsanteil feststellbar, der von chronischer Einsamkeit belastet ist und der sich in seelsorgerlichen und diakonischen Handlungsfeldern konzentriert. Meine Forschung möchte einen Beitrag dazu leisten, Menschen in Einsamkeitssituationen wissenschaftlich informiert und professionell begleiten zu können.
Grundsätzlich gesprochen: Trotz funktionaler Differenzierung, Individualisierung und Säkularisierungstrend bleibt Religion gesellschaftlich signifikant – als gesellschaftliche Herausforderung genauso wie als gesellschaftliche Ressource. Erster adäquat zu begegnen und zweitere zu stärken, erachte ich als eine ebenso faszinierende wie wichtige Aufgabe. Als praktischer Theologe leiste ich hierzu einen Beitrag, indem ich die gegenwärtige Religionskultur über sich selbst aufkläre.