„Willkommen an Bord“„Pflanzen als Inspiration für Technik nutzen“Prof. Dr. Linnea Hesse verstärkt die MIN-Fakultät
8. Juni 2023, von Maria Latos
Foto: Marc Thielen
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Prof. Dr. Linnea Hesse.
Prof. Dr. Linnea Hesse ist zum 1. Mai von der Universität Freiburg nach Hamburg gekommen und hat die W1-Professur mit Tenure Track W2 für „Holzwissenschaften, insb. Bionik auf Basis von Lignocellulose“ an der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften angetreten.
Frau Hesse, könnten Sie kurz erklären, womit Sie sich beschäftigen?
Bei meiner Forschung im Bereich Bionik geht es darum, dass wir die Biologie, in meinem Fall Pflanzen, als Ideengeber für technische Umsetzungen nutzen. Die belebte Natur dient als Inspiration für die Optimierung und Weiterentwicklung von Materialsystemen bis hin zu technischen Produkten und deren Fertigungsverfahren. Dabei geht es um einen Erkenntnistransfer von der Biologie in die Technik, die Modellorganismen werden aber nicht in die Herstellung bionischer Produkte eingebunden. Wir schauen uns an, welche Zusammenhänge zwischen Form, Struktur und Funktion bestehen, analysieren diese und nehmen sie als Vorbild.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Das Paradebeispiel ist der Lotuseffekt, bei welchem die abperlende und selbstreinigende Oberflächenstrukturierung von Pflanzen abgeschaut wurde. Die Lotusblume (Nelumbo) wird in einigen Ländern auch aufgrund dieser Fähigkeit als heilig angesehen. Der Effekt wurde unter anderem bei einer Fassadenfarbe verwendet, mit welcher sich Häuser selbst reinigen können.
Beschäftigen Sie sich auch mit Oberflächeneigenschaften von Pflanzen oder setzen Sie den Fokus auf andere Funktionen?
Ich habe aktuell vier Kernbereiche: Leichtbau und Faserverbundmaterialien, Fabrikation, funktionelle Bildgebung sowie Self-X, z.B. Selbstregulation, Sensorik und Bewegung. Im Faserverbundprojekt untersuchen wir einige Pflanzen die per se sehr faserig aufgebaut sind – zersägt man zum Beispiel eine Palme oder Bambus, kommen ganz viele Faserstrukturen zum Vorschein. Wir analysieren ob deren Faserverbundaufbau lastoptimiert vorliegt und dem Leichtbaudesign entspricht. Ich beschäftige mich hier mit den Fragen, wie die Fasern dreidimensional angeordnet sind und ob wir aus diesen Designprinzipien bzw. Designmustern etwas für die Technik lernen können. Natürlich stehen dabei auch Nachhaltigkeitsaspekte im Fokus.
Sie sprachen gerade das wichtige Stichwort Nachhaltigkeit an. Welcher Fokus liegt hierauf und geht es um Ressourcenschonung?
Wenn die Lebenssituation von Pflanzen schlechter wird, können sie nicht einfach die Wurzeln unter die Arme nehmen und woanders hingehen – sie müssen mit den Gegebenheiten am Standort klarkommen. Deshalb gehen wir davon aus, dass sie mit dem geringsten Materialaufwand das Maximum aus ihrem Design herausholen. Das heißt, das pflanzliche Design ist per se schon materialschonend. Des Weiteren sind alle lebenden Organismen multifunktional, das heißt, Dinge können mehrere Funktionen ausführen. Das Leitbündelsystem von Pflanzen zum Beispiel ist mechanisch relevant, mit ihm können Pflanzen stehen. Aber es dient auch als Transportsystem von Wasser und Assimilaten. Wir schauen mit verschiedenen Methoden in die Pflanzen rein und analysieren, wie diese Systeme funktionieren. Meine Vision ist, nachhaltige multifunktionale Designprinzipien in der Natur zu finden und diese dann in die Technik zu übertragen.
Welche Methoden verwenden Sie, um die Pflanzen zu untersuchen?
Ich möchte pflanzliche Funktionen mittels verschiedener bildgebender Verfahren sichtbar machen. Ich arbeite dabei im Rahmen eines DFG Projekts eng mit der Medizinphysik der Universitätsklinik Freiburg zusammen, um dynamische Prozesse in Pflanzen mittels der Magnetresonanztomographie (MRT) zu analysieren. Ich nutze aber auch Computertomographie sowie Lichtmikroskopie und weiterer optischer Verfahren. Dabei kooperiere ich auch mit dem DESY. Aber ich arbeite auch mit technischen Prüfmaschinen, die Dinge biegen, drücken und drehen. Da kommt einiges zusammen, weil mein Forschungsfeld einfach sehr divers und sehr interdisziplinär ist. Und deswegen brauche ich viele Methoden und Ansätze, um mein Material über verschiedene Hierarchieebenen anzuschauen: von einer ganzen Pflanze oder einer ganzen Frucht bis hin zur Zellwand und den Biomolekülen in der Zellwand.
Sie sprachen gerade die Universitätsklinik Freiburg und das DESY an. Haben Sie weitere Kooperationspartner?
Aufgrund der Interdisziplinarität der Bionik sind Kooperationen von zentraler Bedeutung. Ich kooperiere zum Beispiel mit dem Botanischen Garten der Universität Hamburg, wo die Kolleginnen und Kollegen mir helfen, die geeigneten Pflanzen zu ziehen. Ich habe (Inter-)nationale Kooperationen zur Architektur, Materialwissenschaft und Ingenieurwissenschaften und Physikerinnen sowie Physiker des DESY. Ich sehe Hamburg als optimalen Standort für weitere spannende Kooperationen, beispielsweise mit der Technischen Universität Hamburg.
Bei diesen Kooperationen würde es dann schon in den Bereich der Anwendungen gehen. Ist das etwas, womit Sie sich beschäftigen?
In der Bionik geht es immer auch um eine technische Umsetzung. Viele meiner Projekte sind aktuell in dem Bereich der Grundlagenforschung als Bottom-up angesiedelt. Das heißt, ich entdecke das Potenzial, erforsche dieses und arbeite auf eine Produktumsetzung hin. Es gibt aber auch sogenannte Top-down-Projekte, bei denen die Fragestellungen konkret aus der Industrie kommen. Hierfür bin ich ebenfalls offen.
Ein Teil ihrer Aufgabe wird auch die Lehre sein. Worauf können sich die Studierenden hier freuen?
Ich möchte mich natürlich mit dem Feld Bionik besonders einbringen, zum Beispiel im Rahmen von Vorlesungen und Praktika in denen wir durch spannende Versuche die Bionik greifbar machen. Darüber hinaus habe ich zahlreiche Vorlesungen zum Thema Bildgebung in der Botanik, Holzwissenschaften und Bionik geplant. Ich liebe es, mit Studierenden zu arbeiten, da sie einen ganz neuen kreativen Wind in die Forschung bringen. Ich mag es auch, meine aktuellen Forschungsthemen in die Vorlesung zu nehmen, weil die Studierenden mit einem kritischen Auge daraufschauen. Das bringt mich in meiner Persönlichkeitsentwicklung, aber auch in meiner Forschung immer voran. Meine Devise ist immer: Man lernt am besten, wenn man Spaß hat. Und das ist die Philosophie meiner Lehre.