„Willkommen an Bord“„Interdisziplinäre Fragestellungen müssen immer im Team gelöst werden“Prof. Dr. Maria Buchweitz verstärkt die Chemie
10. Mai 2023, von Buchweitz/Latos
Foto: privat
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Chemikerin Prof. Dr. Maria Buchweitz.
Prof. Dr. Maria Buchweitz ist zum April von der Universität Stuttgart nach Hamburg gekommen und hat die W2-Professur für „Lebensmittelchemie“ an der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften angetreten.
Frau Buchweitz, Sie haben die Professur Lebensmittelchemie am Fachbereich Chemie angetreten. Mit welchen Themen werden Sie sich zukünftig beschäftigen?
Ich arbeite zu den klassischen Themen der Lebensmittelchemie, das heißt der qualitativen und quantitativen Analyse von Lebensmittelinhaltsstoffen. Darüber hinaus interessieren mich die Interaktionen verschiedener Lebensmittelinhaltsstoffe während der Verarbeitung, dem Verzehr und der Verdauung.
Wie genau kann man sich das vorstellen?
Wenn Sie zum Beispiel in einen Apfel beißen oder ihn anschneiden, dann zerstören Sie dessen Zellen. Stoffe, die vorher nicht miteinander in Kontakt kamen, treffen nun aufeinander und können miteinander interagieren. Dies kann verschiedene Reaktionen nach sich ziehen. Besonders gut beobachtbar ist dies unter anderem durch eine Braunfärbung, insbesondere in traditionellen Apfelsorten.
Und wenn wir uns zum Beispiel mit dem Gesundheitsaspekt von Lebensmitteln beschäftigen, dann werden in klinischen Studien oft vereinfachte Modelllebensmittel eingesetzt und sogenannte Biomarker in Blut, Urin oder Gewebe gemessen. Doch was während der Verdauung im Körper eigentlich passiert, wissen wir nicht. Unsere Forschung will hier Licht ins Dunkel bringen – einerseits, durch die Begleitung klinischer Studien, um ein besseres Verständnis der Wirkungen von Lebensmittelinhaltsstoffen zu erhalten. Und andererseits, um Hinweise geben zu können, welche konkreten Lebensmittel sich für klinische Studien eignen würden, um gesundheitsrelevante Aspekte zu untersuchen.
Von welchen Gesundheitsnutzen reden wir? Geht es hier hauptsächlich um Vitamine und Mineralien oder auch um den Nutzen von Lebensmitteln bei der Behandlung von Krankheiten?
Nehmen wir das Beispiel Diabetes Typ 2: Diese Krankheit, welche zunehmend auch Jugendliche und junge Erwachsene betrifft, wird durch zahlreiche ernährungsbedingte Ursachen ausgelöst. Bei der Entwicklung dieser Krankheit kommt es vermehrt zu Blutzuckerspitzen nach einer Mahlzeit, einer sogenannten Hyperglykämie. Es gibt bereits Untersuchungen, dass einige Lebensmittelinhaltsstoffe, zum Beispiel bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe, die Aktivität der Verdauungsenzyme Amylase und Glucosidase im Dünndarm hemmen, aber auch während der Lebensmittelverarbeitung mit Stärke reagieren und so die Verdaubarkeit reduzieren. Beides bewirkt eine verringerte bzw. verlangsamte Glucoseaufnahme ins Blut, also eine Vermeidung von Blutzuckerspitzen.
An diesem Punkt setzen Sie an?
Richtig, wir untersuchen mit verschiedenen Methoden in Laborversuchen, wie Stoffe, die die Enzymaktivität hemmen, während dem Verzehr und der Verdauung aus komplexen Lebensmitteln freigesetzt werden und welche konkreten Struktureigenschaften für eine möglichst starke Reduktion der Enzymaktivität verantwortlich sind. Zudem schauen wir uns an, unter welchen Verarbeitungsbedingungen die Verdaubarkeit der Stärke durch die Interaktion mit weiteren Lebensmittelinhaltstoffen verringert wird.
Gibt es denn bestimmte Lebensmittel, mit denen Sie sich vorrangig beschäftigen und diese Fragen dann untersuchen?
Grundsätzlich beschäftigen wir uns mit verschiedenen pflanzlichen Lebensmitteln, der vorhin genannte Apfel ist aber ein besonders schönes Modell. Hier haben wir konkret die Wechselwirkungen zwischen sekundären Pflanzenstoffen und dem Allergen „Mal d 1“ untersucht. Diese werden dafür verantwortlich gemacht, dass Allergikerinnen und Allergiker angeblich weniger stark auf die traditionellen Apfelsorten als auf kommerzielle Züchtungen reagieren.
Wir haben diesen Zusammenhang untersucht und herausgefunden, dass die traditionellen Sorten zunächst einmal niedrigere Allergengehalte besitzen und dass die Lagerzeiten und -bedingungen einen erheblichen Einfluss auf die Menge an Allergen haben. Unsere Erkenntnisse und Methoden wären nun für klinische Studien geeignet, um in oralen Provokationstest den Zusammenhang zwischen dem Allergengehalt, den sekundären Pflanzenstoffen und dem allergenen Potenzial zu untersuchen.
Haben Sie denn vor, diese klinische Studie in Kooperation anzustoßen?
Das ist genau der Punkt: Man muss wissen, wo die Grenzen der eigenen Arbeit sind. Wir sind diejenigen, die sich mit den Fragestellungen auf analytischer Ebene beschäftigen. Aber interdisziplinäre Fragestellungen müssen immer im Team gelöst werden. Daher sind wir auf der Suche nach Partnern, die solche klinischen Studien zusammen mit uns durchführen können. Das wird sicherlich eines der Projekte sein, die wir weiterverfolgen wollen.
Gibt es weitere Projekte, die Sie anstoßen wollen?
Aktuell sind wir dabei, die Ausstattung in den Laboren zu modernisieren und stellen Anträge für Geräte. Unter anderem wollen wir ein Oberflächenplasmonenresonanzspektrometer anschaffen, mit welchem wir Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Biomolekülen genauer untersuchen können. Darüber hinaus wird ein neues Massenspektrometer zur Identifizierung und Quantifizierung von Lebensmittelinhaltsstoffen beantragt. Damit sind wir für weitere Projekte und Kooperationen mit dem Schwerpunkt der Interaktionen zwischen Lebensmittelmatrix und bioaktiven Molekülen gut aufgestellt.
Was können die Studierenden denn für Neuerungen erwarten?
Zunächst werde ich ganz klassisch die Lehrveranstaltungen meines Vorgängers übernehmen. Im kommenden Jahr steht zudem die Akkreditierung des Studiengangs an und das ist ein guter Zeitpunkt über Modernisierungen nachzudenken und zu diskutieren. Denn die Grundlagen, die unsere Studierenden aus der Schule mitbringen, ändern sich ständig – genau wie das Berufsfeld. Wichtig ist, dass wir am Ende des Studiums weiterhin gute Lebensmittelchemikerinnen und -chemiker in die Welt hinausschicken, die Dinge hinterfragen, abprüfen und auf Grundlage von Fakten immer einen Schritt weitergehen. Und zwar in die richtige Richtung, aufgrund der Erfahrungen, die sie bei uns im Studium gesammelt haben.
Warum sollten Schülerinnen und Schüler überhaupt Lebensmittelchemie studieren?
Die Sicherheit und der Gesundheitsnutzen von Lebensmitteln ist ein wichtiges Thema und Gegenstand vielfältiger aktueller Debatten. Lebensmittelchemikerinnen und -chemiker entwickeln analytische Methoden, um die Sicherheit von Lebensmitteln sicherzustellen und Prozesse und Reaktionen daraufhin zu prüfen.
Wenn wir zum Beispiel aus Pflanzen Proteinextrakte herstellen, um aus diesen unter anderem durch neue Verfahren Fleischersatzprodukte herzustellen, dann können Stoffe miteinander reagieren. Dadurch können die funktionellen Eigenschaften, aber auch die physiologischen Wirkungen verändert werden. Es geht also nicht nur um die Lebensmittelkontrolle, sondern auch darum, neue Trends und Produktentwicklungen zu begleiten. Und das werden auch zukünftig spannende Themenfelder sein.