„Willkommen an Bord“„Die Grundbausteine meiner Forschung sind Papier, Bleistift, Zeit und Ruhe“Prof. Dr. Jens Rademacher verstärkt die Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften
4. Januar 2023, von Maria Latos
Foto: UHH/Esfandiari
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Mathematiker Prof. Dr. Jens Rademacher.
Professor Dr. Jens Rademacher ist zum Wintersemester 2022/23 von der Universität Bremen an die Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften gewechselt und hat die Professur für „Mathematik, insb. Angewandte Dynamische Systeme“ am Fachbereich Mathematik angetreten.
Herr Rademacher, woran forschen Sie an der Universität Hamburg?
Ich forsche zu angewandten dynamischen Systemen, also zu Systemen, die aus Anwendungen in den Naturwissenschaften motiviert sind. Dabei handelt es sich meist um zeitabhängige Prozesse mit räumlicher Ausdehnung, das heißt, die Lösung hängt von Ort und Zeit ab. Oft geht es dabei auch um die Frage von Musterbildung, Selbstorganisation und sogenannten nichtlinearen Wellen. Ein klassisches Thema sind zum Beispiel Aktionspotenziale in Nerven. Diese Wellen findet man in Modellgleichungen wieder und kann sie dann mathematisch untersuchen. Weitere Beispiele von solchen wellenbildenden Systemen finden sich in den Klima- und Materialwissenschaften oder bei Erregungswellen in der Hirnrinde.
Sie erwähnten gerade die Klima- und Materialwissenschaften. Ist Ihre Forschung demnach also eher anwendungsorientiert?
Im Prinzip schon, obwohl ich zum Beispiel nicht direkt mit Ingenieurinnen und Ingenieuren zusammenarbeite, sodass meine Ergebnisse indirekt zur Anwendung kommen. Ich schreibe zum Beispiel nicht beim IPCC-Report des Weltklimarats mit, aber der Mathematik kommt eine wichtige Rolle zu, kritisch nachzuhaken und einzelne Aspekte zu überprüfen. Und damit greift sie in die Kette von der Grundlagenforschung bis zu den Anwendungen hinein. Manchmal hinkt die Mathematik ein bisschen hinterher, weil man genauer wissen möchte, was in Simulationen zu sehen ist und welche Vorhersagen möglich sind. Man möchte wissen, ob das wirklich so ist, oder ob es nur so scheint und welche Bedingungen eine zentrale Rolle spielen.
Geht es bei Ihnen also darum, bei Simulationen und Vorhersagen zu prüfen, ob sie auch funktionieren?
Mir geht es meist erst um die Phänomene und deren mathematische Beschreibung. Wenn man zum Beispiel in einer Simulation ein Aktionspotenzial sieht, dann stelle ich mir die Frage, wie man die Entstehung erklären kann. Das führt zur mathematischen Analyse des simulierten Modells oder einer Vereinfachung, die nur ganz grundlegende Bausteine beinhaltet. Ein solches Modell ist für mich immer eine Gleichung, meist eine Differentialgleichung. Es geht mir dann unter anderem um die Frage, ob diese Gleichung eigentlich ausreicht, um das Phänomen zu erklären.
Welche Ausstattung beziehungsweise Hilfsmittel benötigen Sie für diese Arbeit? Arbeiten Sie zum Beispiel viel mit Rechnern oder sogar Großrechnern?
Die wichtigsten Hilfsmittel meiner Forschung sind Papier, Bleistift, Zeit und Ruhe. Mein Labor ist sozusagen die Bibliothek. Diese befindet sich heute natürlich häufig online, aber ich schaue noch sehr gerne in gedruckte Bücher. Auch der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ist ein ganz wichtiger Baustein, denn erst durch Diskussionen lassen sich Ideen weiterentwickeln. Ich erstelle auch Simulationen, aber das eher im kleineren Rahmen. Dafür benötige ich keinen Großrechner – ein Laptop reicht für diese Zwecke aus.
Welche Pläne haben Sie an der Universität Hamburg?
Vor allem der Transregio 181, „Energietransfer in der Atmosphäre und im Ozean“, passt sehr gut in meinen Wechsel nach Hamburg. Aber auch zum Graduiertenkolleg 2583, „Modellierung, Simulation und Optimierung mit fluiddynamischen Anwendungen“, des Fachbereichs Mathematik möchte ich gerne meinen Beitrag leisten. Was mir ebenfalls vorschwebt, ist mit den Materialwissenschaften, insbesondere in der Nanotechnologie, die Kontakte zu verstärken. Die Entscheidung, nach Hamburg zu gehen, hat auch damit zu tun, dass das Umfeld eben sehr viel zu bieten hat.
Welche Pläne haben Sie im Bereich der Lehre?
Ich werde im Sommersemester eine Vorlesung zu gewöhnlichen Differentialgleichungen und Dynamischen Systeme anbieten. Diese schafft die Grundlagen für die Studierenden, die ich dann gerne weiter ausbilde. Im Anschluss geht es dann auch um Themen wie partielle Differentialgleichungen und nichtlineare Wellen, Musterbildung und Selbstorganisation im mathematischen Sinne. Darüber hinaus habe ich mir auch vorgenommen, ein Modell auszutesten, welches ich aus den USA kenne: die sogenannten Research Experiences for Undergraduates, also Forschungserfahrungen für Bachelorstudierende.
Worum geht es dabei?
Hier arbeiten Studierende in den Semesterferien an spezifischen Forschungsprojekten oder „Vor-Forschungsprojekten“ und teils werden für externe Studierende Anreise und Unterkunft finanziert.
Richtet sich dieses Angebot an alle Semester des Bachelorstudiums?
Realistisch gesehen richtet es sich eher an Studierende, die sich am Ende des Bachelorstudiums befinden. Es ist etwas für diejenigen, die daraus entweder eine Bachelorarbeit entwickeln oder eine Orientierung für das Masterstudium bekommen wollen. Inwiefern sich das auch für noch jüngere Studierende ausbauen lässt, werde ich versuchen herauszufinden.